WM-Duell auf unbekanntem Terrain
Am kommenden Wochenende steht erstmals der Grand Prix von Katar auf dem Formel-1-Plan. Kann Lewis Hamilton seine Aufholjagd in der arabischen Wüste fortsetzen? In der Vorschau haben wir die letzten Infos zur Losail-Premiere.
Wer geglaubt hat, dass der WM-Kampf in dieser Saison nicht mehr an Dramatik zulegen kann, der wurde in Brasilien eines Besseren belehrt. Es scheint, dass im Duell Mercedes gegen Red Bull und Hamilton gegen Verstappen immer noch eine Steigerung möglich ist. Auf und neben der Strecke liefen sich die beiden Parteien einen verbissenen Fight.
Drei Rennen vor Schluss ist völlig unklar, wer am Ende die WM-Trophäen mit nach Hause nehmen darf. Der Vorsprung von Verstappen ist auf 14 Punkte geschrumpft. Im Konstrukteurspokal beträgt der Abstand der beiden Top-Teams sogar nur 11 Zähler. Damit ist klar, dass nun jeder Fehler die Meisterschaft entscheiden kann.
Nur sieben Tage nach dem Interlagos-Krimi wird das nächste Kapitel der Geschichte in Katar geschrieben. Der Grand Prix in dem arabischen Emirat kam erst spät als Nachrücker für das ausgefallene Rennen in Australien in den Kalender. Hier war die Formel 1 zuvor noch nie zu Gast. Der Losail International Circuit ist deshalb wohl nur Motorrad-Fans ein Begriff. Aber auch der Tourenwagen-Weltcup war hier schon zu Gast.
Die Fahrer und Ingenieure der Vierrad-Königsklasse wissen also noch nicht ganz, was sie am Wochenende erwartet. Klar ist nur, wie die äußeren Bedingungen aussehen werden. Es ist trocken und heiß in Katar. Selbst zu den Startzeiten von Qualifying und Rennen, kurz nach Sonnenuntergang am späten Nachmittag, soll das Quecksilber noch an der 30°C-Marke kratzen. Das dürfte Mensch und Material an die Belastungsgrenze bringen.
Die Strecke – Losail International Circuit
Mehr als 1.000 Arbeiter haben den Losail International Circuit im Jahr 2004 innerhalb von nur gut zwölf Monaten aus dem Wüstenboden gestampft. Etwas mehr als 50 Millionen Euro wurden damals verbuddelt, was nach heutigen Maßstäben eine sehr geringe Summe ist. Zum Vergleich: Für den Grand-Prix-Kurs in Abu Dhabi sollen sich dortigen Machthaber mehr als eine Milliarde ausgegeben haben.
Deshalb wollen nun auch die Katar.r demnächst mit einer neuen, repräsentativeren Strecke nachlegen, wenn der Grand-Prix-Zirkus ab 2023 regelmäßig zu Gast ist. Die Scheichs haben gleich einen Vertrag für zehn Jahre unterschrieben. In der kommenden Saison macht Katar übrigens noch einmal Pause. Das Land will sich dann ganz auf die Fußball-WM konzentrieren, heißt es. Es wird also wohl ein einmaliges Gastspiel auf dem Losail International Circuit bleiben.
Das relativ schmale Asphaltband mit seinen 16 Kurven (10 rechts, 6 links) führt über 5,380 Kilometer. Insgesamt 57 Runden sind hier am Sonntag im Uhrzeigersinn zu bewältigen. Das Layout ist flüssig gesteckt. Es gibt aber praktisch nur eine gute Überholstelle am Ende der mehr als einen Kilometer langen Geraden. Hier wurde auch die einzige DRS-Zone eingerichtet. Der Weg von der Pole Position zur ersten Kurve ist mit gut 370 Metern relativ lang. Das könnte für Action am Start sorgen.
Extra für die Formel 1 umgebaut werden musste in den letzten Monaten noch die Boxeneinfahrt. Die alte Variante, die genau wie der Rest der Strecke für Motorräder entwickelt wurde, hatte die Sicherheitsanforderungen an einen Formel-1-Kurs nicht erfüllt. Zudem mussten für die Königsklasse noch einige erhöhte Randsteine an den Kurvenscheiteln eingesetzt und ein paar Banden am Streckenrand verstärkt werden.
Den aktuellen Streckenrekord für Autos hält übrigens Nico Hülkenberg. Der Rheinländer sicherte sich 2009 im Qualifying der GP2 Asia Serie die Pole Position. In einem spannenden Duell mit Sergio Perez gewann Hülkenberg damals dann auch das Hauptrennen. Im Sprint einen Tag später setzte sich dann der Mexikaner durch. Bis auf den heutigen Red-Bull-Piloten war damals übrigens sonst kein Fahrer aus dem aktuellen F1-Feld am Start.
Fast Facts:
Streckenlänge: 5,380 Kilometer
Rundenzahl: 57
Renndistanz: 306,8 Kilometer
Anzahl Kurven: 16 (10 rechts / 6 links)
Distanz Pole Position bis erste Bremszone: 371 Meter
Länge der Boxengasse: 420 Meter
Top-Speed (Simulation): 321 km/h
DRS-Zonen: 1 (T16-T1)
Reifenwahl: C1, C2 & C3
Rundenrekord: 1:35,741 Min. (Nico Hülkenberg, GP2 Asia, 2009)
Setup
Die Fahrer und Ingenieure müssen in den beiden Freien Trainings am Freitag auf dem unbekannten Terrain erst einmal Daten sammeln. Allerdings finden die erste und die dritte Session in der prallen Mittagssonne statt, während das zweite Training, das Qualifying und das Rennen unter Flutlicht bei deutlich kühleren Asphalttemperaturen ausgetragen werden. Bei wechselnden Asphalttemperaturen dürfen sich die Techniker mit dem Setup nicht verzetteln.
Die Simulationstools werden zwar immer besser, aber nichts kann die Realität ersetzen. Vor allem hinter dem Griplevel steht noch ein großes Fragezeichen. Der relativ alte Belag, der über die Jahre nicht erneuert wurde, sollte den Reifen in der Theorie viel Halt geben. Unklar ist aber, wie viel Sand in den Asphalt-Poren steckt und wie stark sich der Grip im Laufe des Wochenendes verbessert. Mit künstlichem Gras an strategisch ausgewählten Stellen versuchen die Verantwortlichen die Wüste von der Piste fernzuhalten. Aber das klappt bekanntlich nie 100-prozentig.
Pirelli geht von mittleren Haftungswerten aus. Trotzdem dürfte der Reifenverschleiß wegen der vielen schnellen Kurven überdurchschnittlich hoch ausfallen. Deshalb geht der Gummi-Zulieferer kein Risiko. Pirelli hat die drei härtesten Mischungen C1, C2 und C3 im Gepäck. Wir befürchten, dass man wieder einmal zu konservativ vorgegangen ist. Mehr als einen Stopp werden die Strategen wohl nicht auf ihren Marschplan für das Rennen setzen.
Beim Aero-Setup gilt es einen guten Kompromiss zu finden. Für eine optimale Rundenzeit im Qualifying müssen die Flügel relativ steil gestellt werden. Nach den ersten Simulationen werden die Autos aber nicht mit maximalen Abtrieb gefahren. Mangels langsamer Kurven spielt die Traktion keine große Rolle. Auch die flachen Kerbs werden die Ingenieure dazu verleiten, das Fahrwerk eher tief einzustellen. In den schnellen Kurven ist schließlich Stabilität gefragt. Ein Auge müssen die Techniker auf die Kühlung der Bremsen und der Motoren werfen.
Upgrades:
Die letzten Rennen haben bereits gezeigt, dass in Sachen Neuteile nicht mehr viel passiert. Die Ingenieure haben die Entwicklung an den 2021er Auslaufmodellen längst eingestellt. Trotz enger Fights an der Spitze und im Mittelfeld würde sich die Investition nicht lohnen, für die letzten drei Rennen noch einmal Upgrades zu bringen. Die Teams verwenden ihr begrenztes Budget und die Entwicklungsressourcen zu diesem Zeitpunkt der Saison lieber für die ganze neuen 2022er Autos.
Favoriten:
In den letzten Wochen haben die Experten mit ihren Favoriten-Tipps häufiger danebengelegen. In Austin gewann Red Bull überraschend. Ebenso unerwartet kam der Mercedes-Sieg in Sao Paulo. Beobachter rieben sich vor allem verwundert die Augen, mit welchem Speed-Vorteil Hamilton durch das gesamte Feld pflügte. Nimmt man nur die letzten Eindrücke, dann dürfte der Weltmeister auch bei der Katar.Premiere als Favorit antreten.
Doch es gibt auch ein paar Faktoren, die für einen Red-Bull-Sieg sprechen. Bei Hitzerennen war der RB16B dem AMG W12 dieses Jahr schon häufiger überlegen. Zudem kann Mercedes sein Heck wohl nicht so extrem absenken, sonst leidet der Grip in den schnellen Kurven. Der Top-Speed-Vorteil dürfte also nicht ganz so dramatisch ausfallen, wie noch am vergangenen Wochenende. Am Ende kommt es wohl darauf an, wer auf der neuen Strecke das Setup besser trifft.
Weniger spannend sieht es mittlerweile im Verfolgerduell aus. Die Ferrari-Piloten sind seit ihren Motoren-Upgrades von Sotschi und Istanbul klar die dritte Kraft im Feld. McLaren muss sich muss sich mit Rang vier begnügen. Nur Pierre Gasly konnte den beiden Traditionsteams mit seinem Alpha Tauri aber zuletzt – vor allem im Qualifying – regelmäßig etwas ärgern.
Bei den geringen Abständen im Mittelfeld wird es vor allem darauf ankommen, wie gut sich die Ingenieure und die Fahrer auf der unbekannten Strecke akklimatisieren. Damit könnten sich vielleicht für die Hinterbänkler von Williams und Haas ein paar Möglichkeiten ergeben, wenn die eigentlich schnelleren Autos vor ihnen Fehler machen. Die Rookies Mick Schumacher, Nikita Mazepin und Yuki Tsunoda sind ausnahmweise mal nicht die einzigen Piloten, die eine Strecke neu lernen müssen.