VW liefert 50.000-Euro-Tiguan mit China-Reifen aus

Im Netz werden Beschwerden von VW-Kunden bekannt, die nicht damit einverstanden sind, dass auf ihren Neuwagen Reifen des chinesischen Herstellers Linglong montiert sind. Warum und was steckt dahinter?
Bereits im Sommer 2024 verkündete der chinesische Reifenhersteller Shandong Linglong, dass man es auf die Liste der Erstausrüster für den Volkswagen-Konzern in Europa geschafft habe. Seither laufen Tiguan-Modelle also nicht nur mit Reifen von Michelin, Continental oder Hankook vom Band, sondern eben auch mit Linglong-Reifen. Als Produktionsstätte für die Pneus sollte das 2022 neu in Betrieb genommene Reifenwerk in Serbien dienen, wobei nach Medienberichten immer noch tausende Reifen aus chinesischer Produktion an Volkswagen geliefert werden.
Kunden reagieren teils ablehnend auf Reifen aus China
Den Kunden gefällt diese Maßnahme ganz und gar nicht. Seit Monaten tauchen in Foren und Bewertungsportalen immer wieder fassungslose Kommentare von enttäuschten Neuwagen-Käufern auf. Ende Juli hat nun auch ein VW-Händler via Linked-in Dampf abgelassen. "Jeden Tag kämpft der Service im Autohaus dafür, den Kunden bestmöglich zu beraten und ihn in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen. Dazu zählt natürlich auch die Wahl der Bereifung als einzige Verbindung zur Fahrbahn", erklärt der Teiledienstleiter.
Konkret geht es um einen neuen VW Tiguan mit voller R-Line-Ausstattung für insgesamt rund 50.000 Euro – aber eben mit vier Linglong-Reifen "Made in China". Mit viel Ironie schreibt der verärgerte Händler weiter: "Nun hat wohl jemand bei VW beschlossen, uns die Arbeit noch etwas zu erschweren. Warum nicht einen 'Billigreifen' auf unser neues Premiummodell montieren? Das kostet ja immerhin schon in der Grundausstattung knapp 40.000 €, da sollte man schon bei der Reifenauswahl auf die Kosten schauen. Für jeden Verkäufer ist das ein herber Schlag ins Gesicht, wenn man Reifen ab Werk aus einem Land montiert, gegen dessen Fahrzeugmodelle die deutschen Hersteller sich mit aller Kraft behaupten wollen."
Linglong-Reifen mit überschaubarem Testergebnis
Im SUV-Sommerreifentest 2024 des ADAC bekam ein Linglong-Reifen mit der Bezeichnung Sport Master die Gesamtnote Note 3,3. Damit war er der zweitschlechteste aller 16 getesteten Reifen im Format 215/55 R17. Beste Kandidaten im Testfeld waren der Continental PremiumContact7 (Note: 2,0), der Michelin Primacy 4+ (Note: 2,1) sowie der Kumho Ecsta HS52 (Note: 2,3). Der Linglong erhielt zudem beim Thema Fahrsicherheit eine schlechtere Note (3,5) als in der Gesamtwertung.
Im ADAC-Test heißt es: "Der Linglong Sport Master wird in der Summe seiner Eigenschaften bei der Fahrsicherheit mit gerade noch befriedigend bewertet. Der Sport Master bietet in der getesteten Dimension dem Fahrer auf trockener Fahrbahn eine nur ausreichende Rückmeldung am Lenkrad und kommt auch beim Fahrverhalten im Grenzbereich nicht über eine ausreichende Bewertung hinaus. Dafür neigt der Testwagen bei plötzlichen Ausweichmanövern zu stark zum Übersteuern und braucht recht lang, um sich zu stabilisieren. Beim Bremsweg schneidet der Linglong befriedigend ab, wodurch es in der Summe zu einer gerade noch befriedigenden Bewertung der Trockeneigenschaften reicht. Bei der Nachhaltigkeit kommt der in China produzierte Reifen nicht über eine ausreichende Bewertung hinaus."
Ein "+" macht einen Unterschied
Allerdings dürfte das Testergebnis nicht auf die Reifen der Tiguan-R-Line-Neuwagen übertragbar sein. Der Hersteller schreibt dazu in einem Statement, das auto motor und sport vorliegt: "Alle Linglong Reifen, insbesondere unsere Erstausrüstungsprodukte, erfüllen sämtliche Anforderungen und Vorgaben der Automobilindustrie. Dafür stehen nicht nur unser Name und unsere über Jahre gewachsene Partnerschaft mit führenden Automobilherstellern, sondern auch zahlreiche unabhängige Tests und Prüfungen. Ein aktuelles Beispiel ist der neue Volkswagen Tiguan, der serienmäßig ab Werk mit einem Linglong Erstausrüstungsreifen in der Größe 255/45 R19 100V ausgestattet wird. Dieser UltraHigh-Performance-Reifen wurde gezielt gemäß den strengen Volkswagen-Anforderungen entwickelt, getestet und als zertifizierter Erstausrüstungsreifen mit einem "+" auf der Seitenwand gekennzeichnet. Dies steht für ein spürbares Plus an Qualität, Komfort, Performance und Effizienz. Die Entwicklung erfolgte in enger Abstimmung mit Volkswagen, wobei Kriterien wie Fahrdynamik, Sicherheit, Komfort, Laufleistung und Emissionsreduzierung im Fokus standen. Selbstverständlich gelten für Linglong die identischen Lastenhefte wie für alle anderen Premium-Erstausrüstungsreifen – unabhängig von deren Herkunft."
Das bedeutet, der Linglong Sportmaster+ ist trotz sehr ähnlicher Bezeichnung ein anderes Reifenmodell als der Sportmaster im ADAC-Test, der dementsprechend ein anderes Testergebnis abliefern dürfte. Ob dieser Umstand die Kunden beschwichtigen würde, ist fraglich. Chinesische Reifen haben sich ein Image als Billigreifen erworben, oft genug vor allem wegen des Preises; Testergebnisse für Reifen verschiedener Hersteller werden wohl wegen exotischer Namen häufig pauschal übertragen auf alle Reifen aus dem Herkunftsland China. Tatsächlich ist die dezente Kennzeichnung von Erstausrüstungs-Reifen im Vergleich zu denen des gleichen Herstellers auf dem Nachrüstmarkt bei vielen Reifenproduzenten gängig, und Linglong-Reifen erzielen durchaus gute Ergebnisse in Tests, z.B. bei dem des ADAC für Anhängerreifen.
Serbisches Werk in der Kritik
Das Herkunftsland spielt indirekt auch im eingangs zitierten ADAC-Test thematisierten Bewertungskriterium Nachhaltigkeit eine Rolle: Weite Transportwege von Produktions- bis Verkaufsort schlagen sich in einem entsprechend hohen CO₂-Eintrag nieder. Der chinesische Reifenhersteller Shandong Linglong betreibt bereits seit Mitte 2022 ein Werk in Serbien, das Anfang 2023 offiziell eingeweiht wurde. Es verkürzt den Transportweg nach Deutschland natürlich erheblich.
Allerdings hatte der "Deutschlandfunk" bereits vor der Eröffnung über mögliche Verstöße gegen Umwelt- und Sozialstandards im Zusammenhang mit dem Werksbau berichtet. Ende 2024 griffen der "Tagesspiegel" und das "Manager Magazin" das Thema erneut auf und warfen dem Unternehmen schwerwiegende Verfehlungen vor – von Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Menschenhandel.
Unabhängig von der Frage, wie belastbar diese Anschuldigungen waren, reagierte Volkswagen auf die Vorwürfe und unternahm laut "Manager Magazin" "Schritte zur Sachverhaltsklärung." MAN, ein zum VW-Nutzfahrzeug-Ableger Traton gehörender Hersteller, hat unterdessen Konsequenzen gezogen: Aufgrund möglicher Menschenrechtsverletzungen hatte man bereits Ende November 2024 alle Lieferabrufe bei Linglong gestoppt.