Sportliches Kombi-Duell mit Sensations-Sieger

Familienväter aufgepasst: Diese deutschen Power-Kombis liefern Fahrspaß und Alltagstauglichkeit in Kombination.
Deutschland kann Power-Kombis. Heute tritt der Platzhirsch BMW M3 Touring gegen seinen Herausforderer Audi RS 4 Avant Edition 25 Years an. Fahrspaß im Alltag und auf dem Hockenheimring – wer gewinnt das Rennen um die Krone des schärfsten Familien-Kombis?
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Treffen sich ein Fahrer des BMW M3 Touring und ein Fahrer des Audi RS 4 Avant Edition 25 Years zufällig an der Autobahn-Raststätte "Am Hockenheimring Ost". Während Kind und Kegel eine Pause im Café einlegen, schnappen sich die Sportfahrer-Väter ihre Power-Kombis zum spontanen Querdynamik-Duell. Mit einer Ausnahmegenehmigung geht’s über den Raststätten-Schleichweg durch den Schwetzinger Hardt direkt auf die GP-Strecke des Hockenheimrings. Start frei zum Rennen um die Krone des schärfsten Familien-Kombi.
Der RS 4 der Baureihe B9 ist mittlerweile zwar in Produktionsrente, aber bei den Händlern werden noch Restbestände abverkauft – wie zum Beispiel das Sondermodell von 2024 zum 25. Geburtstag. Der 25 Years ist kein 08/15-Sondermodell, sondern eins für die Sportfahrer unter den Familienvätern. Carbon-Schalensitze packen einen hier mit Sportwagenähnlichem Seitenhalt. Die optionalen Carbonschalen des M3 Touring setzen sogar noch einen obendrauf: Mit tiefer Sitzposition und fesselndem Seitenhalt versprühen sie Rennsport-Atmosphäre.
Radikal, radikaler, 25 Years
Mit ihrem weitgehend analogen Charakter läuft die Bedienung im Audi-Cockpit intuitiver ab als im M3 Touring. Dessen gebogenes Curved Display erfordert Eingewöhnungszeit. Nur ein Beispiel: Während man beim RS 4 die Klimafunktionen mit prägnantem Klicken über Regler und Tasten justiert, muss im M3 dafür am Display getoucht werden. Moderner ist eben nicht immer besser.
Das RS-4-Interieur überzeugt zudem mit noch hochwertigerer Qualitätsanmutung. Während das fein belederte RS-Lenkrad aus einem Guss scheint, fallen am M-Lenkrad nicht entgratete, scharfkantige Stellen an den unteren Carbon-Applikationen auf. Der große Durchmesser des Lenkradkranzes erinnert im M3 an eine ungarische Salami. Lob für das BMW-Volant gibt’s wegen der roten Direktwahltasten, mit denen sich individuelle Fahrwerks- und Antriebseinstellungen hinterlegen lassen.
Startampel grün, Vollgas auf dem Hockenheimring. Bereits in Kurve 1 attackiert Nummer 3 der auf 250 Exemplare limitierten RS-4-Sonderserie mit 134 km/h Kurvenspeed den Platzhirsch M3 Touring (119 km/h).
Für Freudentränen bei Sportfreaks sorgen im RS 4 zum einen die Leistungssteigerung des V6-Biturbos von 450 auf 470 PS, zum anderen die mitgelieferten Rennhandschuhe im 25-Years-Look und der kleine Werkzeugkasten im Kofferraum. Darin finden sich Hakenschlüssel und Verstellrad für das serienmäßige Gewindefahrwerk, das in Zugstufe und Druckstufe (High- und Lowspeed) sowie in der Fahrhöhe (Tieferlegung um bis zu 20 mm) einstellbar ist.
Neben den dreifach verstellbaren Dämpfern besitzt das Fahrwerk auch Federn mit höherer Federrate und steifere Stabis. Exklusiv nutzt der RS 4 25 Years an der Vorderachse steifere Querlenkerlager. Zudem wurde der Negativsturz an der Vorderachse auf mehr als zwei Grad erhöht, um die Querdynamik zu steigern.
Allroundtalent: M3 Touring
Auf der Rennstrecke feiern Sportfans das Audi-Gewindefahrwerk, im Alltag gehen die Punkte aber zweifellos an das adaptive BMW-Fahrwerk. Während beim RS 4 die Dämpfer nur im Stand und von außen eingestellt werden können, wählt der M3-Pilot entspannt aus dem Cockpit eine der drei Kennlinien seiner Adaptivdämpfer ("Comfort", "Sport", "Sport Plus"). Selbst im schärfsten dieser drei Modi schluckt der M3 Unebenheiten noch immer komfortabler als der knochentrocken abgestimmte RS 4.
Die Racer unter den Familienvätern feiern hingegen ein weiteres Highlight des puristischen Audi: Es gibt den 25 Years in der Erstausrüstung ausschließlich mit Semislicks. Mit dem Pirelli P Zero Trofeo RS punktet der Audi auf trockenen Landstraßen und jetzt auf der Rennstrecke mit einem hohen Gripniveau, das fast Rennsport-Charakter hat. Der M3 trägt den deutlich alltagstauglicheren Allrounder Michelin Pilot Sport 4 S, der einen nicht ganz so hohen Trockengrip aufweist, aber bei Nässe im Alltag klare Vorteile bietet.
Volllast über die Parabolika in Hockenheim. Egal ob V6 oder R6 – beide Triebwerke gehen, flapsig formuliert, wie die Sau. Da sich die Sechszylinder auf der Rennstrecke jederzeit in idealen Gängen und bei hohen Drehzahlen bewegen, fällt das leichte Turboloch des BMW-Dreiliters unter 2500/min hier überhaupt nicht auf. Insgesamt überzeugt der Reihensechser des M3 mit kräftigerer Leistungsentfaltung als der V6 des RS 4. Erwartungsgemäß dominieren seine 530 BMW-PS die 470 Audi-PS beim Sprint über 100 km/h. Und auch Emotionen kann der M3 mit seiner bassigen Akustik besser als der RS 4 25 Years.
Wenig später: hart in die Eisen vor der Mercedes-Tribüne. Fast in Rennwagen-Manier bremst das RS-4-Sondermodell sehr spät tief in die Kurve rein. Während des Bremsvorgangs einlenken funktioniert hier nahezu rennsportähnlich.
Bremswunder Audi RS 4
Die Pedaldosierung der Audi-Keramikbremsanlage im Grenzbereich? Schulnote eins plus. Ihre ABS-Regelung auf der letzten Rille? Ebenfalls eins plus. Die ABS-Regelfrequenz und das hohe Gripniveau der Semislicks harmonieren perfekt. Bei der Standardmessung gelingt dem Audi später ein Bremswunder: Mit temperierten Reifen und Bremsen verzögert er aus 100 km/h auf null in nur 30,9 Metern – da werden echte Sportwagen fast neidisch. Mit Allround-Reifen kommt der M3 nicht an diese Glanzwerte heran. Sein Bremsweg aus Tempo 100 misst 34,4 Meter.
Auch der BMW setzt auf eine Keramik-Anlage, ganz so späte Bremspunkte wie mit dem RS 4 sind auf der Rennstrecke aber mit ihm nicht möglich. Zum einen merkt man dem M3 im Grenzbereich auf der Bremse sein höheres Gewicht an, zum anderen ist die ABS-Regelung des BMW nicht so gut wie jene des Audi. Beim Touring sollte der Anbremsvorgang besser vor dem Lenkvorgang abgeschlossen werden, ansonsten drängt er leicht ins Untersteuern.
Bremspedaldosierung beim BMW? Mit "Comfort" und "Sport" stehen hier zwei Kennlinien zur Wahl. Das Pedalgefühl ist im Sport-Modus einen Tick strammer als beim Audi. Im Alltag liefert der Comfort-Modus eine entspannter dosierbare Rückmeldung, wenn man beispielsweise an die Ampel rollt. Anders als beim RS 4 mit seinem rein hydraulischen Bremssystem arbeitet im M3 ein elektrischer Bremskraftverstärker.
Apropos Kennlinien: In beiden Kombis stehen auch unterschiedliche Lenkungskennlinien zur Wahl – zwei Settings beim M3 ("Comfort", "Sport") und drei beim RS 4 ("Komfortabel", "Ausgewogen", "Sportlich"). "Sport" und "Sportlich" erhöhen das Handmoment, übertreiben es aber nicht mit Schwergängigkeit.
Beide Lenkungen arbeiten mit ähnlichem Lenkwinkelbedarf präzise aus der Mittellage heraus, agieren aber nicht zu spitz. Vor allem im Alltag hilft das bei Hochgeschwindigkeitsfahrten auf der Autobahn, um nicht bereits durch kleine Lenkimpulse Unruhe in den Geradeauslauf zu bringen. Apropos: Mit ruhigem Geradeauslauf bei hohem Tempo ist der M3 der Alltags-Allrounder, während der RS 4 aufgrund seiner puristischen Fahrwerksabstimmung gern mal Spurrillen hinterherschnüffelt.
Attacke auf die letzten Kurven im Motodrom: Beim Herausbeschleunigen ab dem Scheitelpunkt ist es eine Philosophiefrage. Beide Power-Kombis vertrauen variablen Allradsystemen, bei denen die Momentenverteilung justiert werden kann.
In den Audi-Fahrprogrammen findet sich der Menüpunkt "Quattro mit Sportdifferenzial". Von den Kennlinien "Komfortabel", "Ausgewogen" und "Sportlich" nutzt der RS 4 25 Years die letztgenannte Allradeinstellung, um die GP-Strecke am agilsten zu erstürmen. Während er mit diesem Set-up im Alltag aus Landstraßen-Serpentinen auch mal leistungsübersteuernd rausslidet, präsentiert sein Heck in Hockenheim eine perfekte Mischung aus Agilität und Fahrstabilität. Unter Last agiert der RS 4 weitgehend neutral und hakt sich mit grandioser Traktion wie auf Schienen in die Ideallinie ein.
In puncto Allradabstimmung ist der M3 der agilere der beiden Kombis. Drei Fahrprogramme stehen zur Auswahl: "4WD", "4WD Sport" und der rein hinterradgetriebene Modus "2WD". Am Limit tendiert der M3 Touring sogar im normalen 4WD-Modus stärker zum Übersteuern unter Last als der Audi in seiner sportlichsten Allradabstimmung. Die gripfreudigeren Reifen und die extremere Fahrwerksauslegung bescheren dem 25 Years in nahezu allen Hockenheim-Kurven höhere Tempi. Der BMW kontert mit Leistung.
Mit einer Rundenzeit von 1.53,8 Minuten entscheidet der M3 das Hockenheim-Rennen gegen den RS 4 (1.54,2 min) zwar knapp für sich. Abgerechnet wird aber zum Schluss. Auch wenn der BMW die Kapitel Komfort, Antrieb und Fahrverhalten gewinnt, gelingt dem Audi die Sensation: Der RS 4 25 Years krönt sich mit dem Sieg in der Eigenschafts- und Gesamtwertung verdient zum schärfsten Familien-Kombi.