Ferrari 330 TRI LM
Im Mai wird im Rahmen der „Leggenda e passione“-Auktion der 330 TRI versteigert, mit dem Phil Hill und Olivier Gendebien 1962 Le Mans gewonnen haben. Experten erwarten Gebote bis zu 7,5 Millionen Euro.
Seltsam, wie sehr sich die Wertschätzung der Dinge ändern kann. „ Mitte der sechziger Jahre schien es kaum etwas Unnützeres zu geben als einen nicht mehr konkurrenzfähigen Frontmotor-Rennsportwagen“, schreibt Joel E. Finn in seiner Monographie über den Ferrari Testa Rossa. Damals, so der amerikanische Autor, hätte man runtergerittene TR mit Glück für weniger als 500 Dollar erwerben können – und selbst gut erhaltene Fahrzeuge hätten Mühe gehabt, 2000 Dollar zu erzielen. „Inzwischen haben die Preise allerdings erstaunliche Höhen erreicht“, erklärt Finn weiter: „Heutzutage hält man es für möglich, dass für restaurierte Exemplare bis zu 50 000, ja sogar bis zu 75 000 Dollar bezahlt werden.“ Das Buch erschien 1979. 28 Jahre später soll nun der letzte gebaute und vielleicht berühmteste aller 34 Testa Rossa versteigert werden.
Bewegte Vergangenheit
Der Anlass ist durchaus würdig: Auf der Teststrecke in Fiorano kommen am 20. Mai 2007 bei Leggenda e Passione weitere Rennlegenden mit dem springenden Pferd auf der Flanke unter den Hammer. Darunter der 340/375 MM, der 1953 in Le Mans auf den fünften Rang fuhr und Spa gewann. Sowie ein Dino 206 SP in perfektem Zustand und ein 512 S, der 1971 Zweiter in Daytona wurde.
Der 330 TRI LM von 1962 aber, Chassis- Nummer 0808, schlägt sie alle. Experten des amerikanischen Auktionshauses RM Auctions, die Leggenda e Passione zusammen mit Sotheby‘s organisieren, erwarten für den 330 Gebote zwischen sechs und 7,5 Millionen Euro – so viel wie für die drei anderen genannten Höhepunkte der Versteigerung zusammen. Wie geht man nun mit einem Auto um, das so viel kostet wie ein großzügig geschnittenes Anwesen an der Côte d‘Azur? Am besten vermutlich ganz normal, sonst wittert es den Angstschweiß und wird bockig. Der Ferrari wartet in der leicht patinierten Halle eines englischen Transportunternehmens, das die Reise des Wagens nach Maranello übernimmt. In der Nähe stehen weitere undefinierbare Industriehallen, dazu ein paar alte Wohnhäuser. Ansonsten gibt es hier nur weites, hügeliges Land, viele Rapsfelder und eine große Schweinezucht.
Vergrößertes Chassis und 390 PS
Irgendwo in der Ferne liegt die Universitätstadt Cambridge. Der Zündschlüssel steckt – ein Dreh nach rechts aktiviert die Bendix-Benzinpumpe. Kurz warten, bis die sechs 42er-Weber-Doppelvergaser mit Brennstoff versorgt sind. Zwei Mal pumpen, ein Druck auf den Starter, und der V12 lebt. Weich lässt sich der erste Gang links unten einlegen, mit erhöhter Leerlaufdrehzahl rollt der rote Ferrari in das, was die Engländer „ a light drizzle“ nennen und damit erhöhte Luftfeuchtigkeit meinen. Schon auf den ersten Metern fällt auf, wie hausfrauengerecht sich der Umgang mit diesem Vollblut gestaltet – tatsächlich hat ein früherer Besitzer den Ferrari fast neun Jahre lang als Straßenauto in New York verwendet. Zuvor allerdings hatte der 330 TRI ein zwar kurzes, jedoch überaus wildes Leben geführt, das mit einer Reglementänderung für die 1962er Konstrukteurs-WM begann. Bis dahin hatten die Testa Rossa, so benannt nach den roten Zylinderkopfdeckeln, bereits drei Mal den Titel abgeräumt und befanden sich eigentlich am Ende ihrer Karriere.
Die Zukunft würde den Mittelmotoren gehören, zudem war die WM ab 1962 nicht mehr für Rennsportwagen, sondern für Gran Turismo ausgeschrieben. Dazu aber erlaubte die FIA eine Klasse für Prototypen. Und es war klar, dass diese bei den großen Rennen in Sebring oder Le Mans den Sieg unter sich ausmachen würden. Enzo Ferrari entschied daher, den TR noch nicht aufs Altenteil zu schieben, sondern als Basis für einen Vier- Liter-Prototypen zu verwenden. Der Motor stammte aus dem Superamerika, erhielt frei atmende Zylinderköpfe und größere Ventile und leistete schließlich 390 stabile PS bei 7200 Umdrehungen. Weil der Superamerika- V12 ein paar Zentimeter länger ausfiel als der Dreiliter, mussten die Ingenieure das Chassis vergrößern. Frühere Quellen behaupten nun, dass einfach der Rahmen des TR 61 Prototyps (Nummer 0780) verlängert wurde und die neue Nummer 0808 erhielt – tatsächlich aber wurde laut Rahmenbauer Vaccari ein komplett neues Rohrgeflecht geschweißt.
330 TRI immer vorn
Es verfügt in jedem Fall über Einzelradaufhängung rundum (daher das I in der Bezeichnung für „Independente“) sowie Scheibenbremsen an allen vier Rädern. Über all dem formte Fantuzzi eine atemberaubende Aluminiumhülle mit riesigen Kühllufteinlässen vorn und einer scharfen Abrisskante hinten. „Aus heutiger Sicht erscheint die Form nahezu perfekt“, meinte 1982 der frühere Ferrari-Pilot Phil Hill. Trocken bringt der Wagen lediglich 685 Kilogramm auf die Waage – und was die 390 PS damit anstellen, gleicht einem Naturereignis. Schon bei 2000 Umdrehungen tobt der 330 TRI los wie ein moderner Turbodiesel; was dann ab dem mittleren Drehzahlbereich bei voll gefluteten Vergasern geschieht, lässt die meisten modernen Sportwagen blass aussehen. Nicht weiter verwunderlich, weil sie mindestens doppelt so schwer sind, aber nicht die doppelte Leistung bereitstellen. Der Klang aus den vier verchromten Endrohren ist dabei erstaunlich tieffrequent, im Vergleich zum Dreiliter eher ein gutturales Grollen.
Mit hoher Suchtgefahr: Hatte man einmal das Gaspedal in seiner Gewalt, möchte man fortan nichts anders mehr tun, als auf dieser Zwölftonorgel zu spielen. Zu dem unwahrscheinlich breiten nutzbaren Drehzahlband kommt ein gut abgestimmtes Fünfganggetriebe mit kurzen Schaltwegen und offener Kulisse sowie trickreichen Sperren. Sie verhindern, dass der Pilot im Eifer des Gefechts aus dem Fünften in die Zweiten zurückschaltet und Kernschrott produziert. Das Fahrwerk erscheint entprechend dem damaligen Standard überaus gutmütig, die Bremsanlage fördert Vertrauen. Eher sinnlos ist hingegen der Blick in den Rückspiegel, der in Form und Größe an eine Espressotasse erinnert. Doch dies konnte am 23. und 24. Juni 1962 in Le Mans den Fahrern Phil Hill und Oliver Gendebien auch völlig egal sein, denn der 330 TRI lag ohnedies immer vorn.
330 mit original LM-Kleid Wie weit, verdeutlicht folgende Annekdote: Zur Hälfte des Rennens rutschte Hill in der Arnage auf einer nicht markierten Öllache aus, fing den Ferrari wieder ein und rief zu den Streckenposten herüber, sie sollten gefälligst die Warnflaggen schwenken und das Öl abstreuen. Als er in der nächsten Runde wieder vorbei kam und erneut die Öllache vorfand, hielt der Amerikaner (und damals regierende Formel 1- Weltmeister) kurzerhand an und verpasste den Posten eine Standpauke. Er hatte wirklich viel Vorsprung. Gegen Rennende begann noch die überforderte Kupplung zu rutschen, sodass Hill und Gendebien den Wagen mit niedrigen Drehzahlen (und in der Folge durch verölte Kerzen mit hustendem Motor) ins Ziel tragen mussten. Der TRI gewann dennoch mit meilenweitem Vorsprung. Es war Hills dritter Sieg in Le Mans, Gendebien feierte Nummer vier, und Ferrari zog mit dem sechsten Triumph in der ewigen Statistik an Bentley und Jaguar vorbei. Nach Le Mans ging der siegreiche Testa Rossa zu Luigi Chinettis North American Racing Team und wurde in der Neuen Welt eingesetzt. 1963 kehrte 0808 mit Pedro Rodriguez und Roger Penske zurück nach Le Mans, wo Rodriguez bald in Führung ging. Kurz vor Mitternacht allerdings überlebte Penske einen Albtraum, als der V12 bei Vollgas auf der Mulsanne ein Pleuel durch den Block warf und Penske auf dem eigenen Öl ausrutschte und in die Bäume flog.
Mit reichlich ondulierter Karosserie und zerschossenem Block kehrte 0808 nach Maranello zurück, erhielt einen Dreilitermotor sowie eine Coupé-Karosserie von Fantuzzi und wurde nach New York veräußert. Später gelangte der 330 zurück nach Europa in die französische Sammlung Mas du Clos von Pierre Bardinon, der dem Wagen wieder in das originale LM-Kleid schneidern ließ und den Vierliter-V12 reanimierte. Und in dieser Form steht 0808, der letzte Testa Rossa und Le Mans-Sieger von 1962, nun zum Verkauf. Im Zweifel ist nur zu raten: Verscherbeln Sie Ihre Hütte an der Côte d‘ Azur, reisen Sie am 20. Mai nach Maranello und steigern Sie mit. Die Gelegenheit kommt so bald nicht wieder.