Ferrari 550 Maranello
Über die Autos mit dem springenden Pferd gibt es unzählige Geschichten, weil sie Geschichte machten. Zum 50. Firmengeburtstag beschenkte Ferrari seinen Heimatort und die Welt mit einer neuen Frontmotor-Berlinetta.
Traumwagen sind Autos, die schon im Stand die Wirklichkeit des Kompromisses mit der Vision des Kompromisslosen überholen. Wie alle seine Vorgänger gehört der Ferrari 550 Maranello zweifellos dazu, denn er vertritt die reine Lehre vollendeter Form und Dynamik, der sich alle sonstigen Funktionen unterzuordnen haben. In seinem Streben nach makelloser Schönheit, das noch in der unscheinbarsten Ingenieursarbeit aufzuspüren ist, beansprucht er eher den Rang eines Kunstwerks als eines Industrieprodukts. Der Versuch von Hausdesigner Pininfarina, der vulgären Formenvielfalt des Alltags mit einer Mischung aus Schlichtheit und Extravaganz zu entkommen, kann insgesamt als gelungen gelten. Trotz aller Einwürfe, der Meister zitiere sich selbst oder gar andere Zunftangehörige, tritt das Coupé imposant, aber mit einer unaufgeregten Würde auf. Gegen die aggressive Exaltiertheit des Mittelmotor-Testarossa setzt er die Formensprache klassischen Sportwagenbaus, die eine lange Motorhaube und einen weit hinten positionierten, fließend ins Heck übergehenden Dachpavillon vorsieht. Auch dessen Enge bleibt den Maranello- Insassen erspart. Wenn man erst einmal auf den lederbezogenen Sitzen Platz genommen hat, entsteht ein – gemessen an Mittelmotor-Konkurrenten – geradezu üppiges Raumgefühl. Das liegt an der guten Ellenbogen- und Kopffreiheit, aber mehr noch daran, dass der Innenraum jenseits der Rückenlehnen nicht schlagartig endet. Statt dessen ergänzt dort eine Ablage den nur 185 Liter fassenden Kofferraum.
Selbst Männer mit Gardemaß sitzen im 550 so entspannt und komfortabel wie in keinem Ferrari zuvor. Auf straff gepolsterten, hervorragend ausgeformten Fauteuils mit verstellbaren Seitenwangen werden die Insassen zum integralen Bestandteil. Abgesehen von den edlen Materialien umgibt den Fahrer ein Cockpit von wohlgeordneter Rationalität, doch schon die großen Rundinstrumente für Geschwindigkeit und Drehzahl lassen erahnen, zu welchen Leistungen der Maranello fähig ist. Denn spätestens wenn man den kleinen Zündschlüssel dreht, ist es vorbei mit der Unauffälligkeit. Nach dem ferraritypischen hellen Surren des Anlassers erklingt reine Zwölfton-Musik, die jegliche Verwechslung mit herkömmlichen Motorengeräuschen ausschließt. Der elektrisierende Ansaug- und Auspuffsound betört freilich nur noch bei forcierter Gangart, während ansonsten ein gedämpftes baritonales Grummeln dominiert, das vom charakteristischen Ventiltriebs-Rasseln untermalt wird. Es erinnert stets daran, dass insgesamt 48 Ventile den Impulsen der vier obenliegenden Nockenwellen folgen, um dem Zwölfzylinder zu freier Atmung und effizienter Verbrennung zu verhelfen – wenn es sein muss bis zu 7600 Umdrehungen pro Minute. Dabei macht das 5,5 Liter große Triebwerk keinesfalls den Eindruck, als ob es sich vor solchen Drehzahlen scheut. Im Gegenteil: Mit spielerischer Leichtigkeit lässt es sich in lichte Höhen führen, bis ihm die Motronic bei 7600 Touren Einhalt gebietet. Verblüffender erscheint höchstens noch seine Fähigkeit, mit 50 km/h und Leerlaufdrehzahl im großen Gang dahinzutrödeln und ohne Schaltvorgang nach Belieben in höchste Geschwindigkeitsbereiche vorzustoßen. Das gewaltige Drehmoment von 569 Nm bei 5000/min beschert dem immerhin 1754 Kilogramm schweren Coupé Elastizitätswerte, die bestenfalls von Extremsportwagen wie Bugatti EB 110 oder McLaren F1 übertroffen werden. Mit 485 PS bei 7000/min erreicht auch die effektive Leistung des Leichtmetall-V12 schwindelnde Höhen, und bei 3000/min sind es immer noch 200 PS. In optimale Beschleunigung lässt sich diese brachiale Kraft nur umsetzen, wenn man bis etwa 1800 Touren verhalten und dann kontinuierlich Gas gibt. So ist mit minimalem Schlupf an den Hinterrädern nach 4,5 Sekunden Tempo 100 erreicht, und schon 9,7 Sekunden später liegen 200 km/h an. Dann hat man gerade erst in den fünften Gang geschaltet, von wo aus es ungestüm weitergeht bis zur Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h. Mit diesen Fahrleistungen begegnet man echten Konkurrenten allenfalls in Gestalt eines Lamborghini Diablo.
Das Sechsganggetriebe, zur optimalen Gewichtsverteilung mit dem Differential an der Hinterachse verblockt, erwies sich dabei als exakt, wenngleich in seiner offenen Kulisse keinesfalls spielerisch schaltbar. Besonders in kaltem Zustand erfordert es noch jenen beherzten Zugriff, der frühere Ferrari-Modelle zu typischen Männerautos machte. Für die Lenkkräfte gilt das hingegen nicht mehr, denn anders als sein Vorgänger verfügt der 550 über eine leichtgängige, aber präzise Servolenkung. Sie trägt mit bei zum guten Handling und den ausgezeichneten Fahreigenschaften, die den Maranello deutlich über den nervösen, im Kurvengrenzbereich bisweilen tückischen Testarossa erheben. Konstruktives Rückgrat ist ein stabiler Stahlrohrrahmen, an dem Vorder- und Hinterräder jeweils an doppelten Querlenkern aufgehängt sind. Zusammen mit der ausgewogenen Achslastverteilung sowie den extrem breiten 18 Zoll-Reifen, die leider allzu bereitwillig jeder Spurrille hinterherlaufen, zeigt sich der Ferrari gleichermaßen gerüstet für schnelle Autobahnfahrt wie für flottes Kurventempo. Mit seinem ausgeprägt neutralen, tendenziell untersteuernden Eigenlenkverhalten verkraftet er mühelos extrem hohe Querbeschleunigungen. Nur bei gezielten Gasstößen drängt das Heck nach außen, worauf die serienmäßige Antriebsschlupfregelung (ASR) mit einem sanften, aber wirksamen Eingriff in Motor oder Bremsen reagiert. Wer meint, sein Ego verkrafte soviel Fürsorge nicht, kann ASR auch ausschalten und das Heck schon bei leichtem Kraftüberschuss schwänzeln lassen wie einen wütenden Alligator. Im Grunde genommen sind die Bremsen das Eindrucksvollste an diesem Auto. Während den Insassen schon die Augen aus den Höhlen quellen, zeigen sie sich selbst von mehreren kurz aufeinanderfolgenden Verzögerungen aus hohem Tempo völlig unbeeindruckt. Weder Spurtreue noch Dosierbarkeit geben Anlass zur Kritik – auch im Kreis der superschnellen Exoten keinesfalls eine Selbstverständlichkeit.
Ein gediegener Federungskomfort gehört freilich noch weniger zum üblichen Repertoire, was angesichts der extremen Bereifung und des zur Verfügung stehenden Geschwindigkeitsspektrums nicht verwundern kann. Trotzdem muss man dem 550 eine gelungene Feder-Dämpfer-Abstimmung bescheinigen, die naturgemäß ziemlich straff ausfällt, mit ihren langen Federwegen den Testarossa jedoch deutlich überbietet. Querfugen quittiert der Ferrari mit trockener Härte und einem leichten Stuckern, was sich mit zunehmender Geschwindigkeit etwas verliert. Die Sportabstimmung ist allerdings ein klarer Fall für die Rennstrecke, denn mit ihr entwickelt er den diskreten Charme eines Nagelbretts. Ansonsten darf man sich in der Gewissheit sonnen, den besten Gran Turismo der Welt zu fahren. Wer Kompromisslosigkeit und Extraklasse sucht, muss auch bereit sein, sie zu honorieren. Das neue Paradepferd aus Maranello steht für 324 700 Mark zum Verkauf, und der Testverbrauch von 18 Liter auf 100 Kilometern macht nur den kleinsten Teil seiner Unterhaltskosten aus. Für Wesensverwandte geht es manchmal aber billiger: Michael Schumacher bekam seinen 550 vom Werk geschenkt, weil er zwei Siege in Folge für Ferrari herausfuhr.