Jaguar XKR im Test
Die betörende Formgebung ist nur ein Aspekt des neuen
Sportmodells auf XK-Basis. Der Jaguar XKR zeigt sich dank seines
stabilen Aluminiumchassis und seiner großherzigen Leistungsofferte
von 416 Kompressor-PS auch fahrdynamisch in der Lage, einem
gehobenen Anspruch zu genügen.
Die Vergänglichkeit der Schönheit beinhaltet in ihrer unerbittlichen Konsequenz durchaus auch beruhigende Aspekte: Erstens kann niemand die Tatsache des stetigen Verlusts ausblenden, und zweitens rücken im Idealfall sukzessive andere Werte in den Vordergrund. Zuweilen sogar solche, die einen noch attraktiveren Ersatz für die vergänglichen Tugenden schaffen. Die innere Schönheit zum Beispiel, eine auf den ersten Blick zwar unsichtbare, aber früher oder später doch oft von durchdringender Eleganz geprägte Eigenschaft. Im Idealfall ist beides in Kombination vorhanden. So wie zum Beispiels beim neuen Jaguar XKR. Dieser ist in seinen noch taufrischen Jahren nicht nur von einer betörenden äußeren Schönheit geprägt, die sowohl modernistische als auch traditionelle Elemente in Einklang bringt, sondern auch von einer inneren Überzeugungskraft beseelt. Gerade so, als habe sich die Crew um Chefdesigner Ian Callum darauf verständigt, von der sichtbaren Attraktivität abzulenken, um die Konzentration von vornherein auf die inneren Werte zu lenken, versteckten sie den konstruktiv äußerst attraktiven (weil in seinem tiefgründigem V-Ausschnitt mit einem Eaton-Kompressor bestückten) 90-Grad-Aluminium-V8 kurzerhand unter einem schnöden, schwarzen Kunststoffdeckel.
Der Motor des Jaguar XKR versteckt sich unter schwarzem Kunststoff
Gemessen an seinen eindrucksvollen hör- und fühlbaren Meriten ist es zwar durchaus zu verschmerzen, dass der V8 optisch nur noch als Blackbox in Erscheinung tritt – aber, um es mit der Queen zu halten: We are not amused. Die auf die Aufladungstechnik hinweisenden Schriftzüge "Supercharched" auf dem Plastikschild reichen für einen zusätzlichen emotionalen Anknüpfungspunkt nämlich kaum aus. Wie gut, dass die neue, in der XKR-Version wie gehabt von einem Kompresssor unter Druck gesetzte Sportversion davon ansonsten eine ganze Menge zu bieten hat. Das Design greift erwartungsgemäß traditionelle Bezüge zur Jaguar-Historie auf, ohne allerdings den bei den aktuellen XJ-Limousinen gemachten Fehler zu wiederholen und auf eine wirkliche Neuinterpretation zu verzichten. Auch wenn die durch die neuen Scheinwerfer geprägte Front auf den ersten Blick möglicherweise nicht die starke Überzeugungskraft des Vorgängers besitzt – die Heckansicht ist in ihrer Formvollendung einfach eine Wucht. So hält die lang gestreckte, von gemäßigten konvexen und konkaven Rundungen geprägte Seitenlinie für den automobilen Kunstliebhaber viele reizvolle Assoziationen parat.
Aber kommen wir zurück auf die versteckten inneren Werte. Der mit je zwei obenliegenden Nockenwellen und variabler Einlasssteuerung arbeitende, langhubig ausgelegte Achtzylinder bringt es in seiner neuesten Fassung auf eine standesgemäße Leistung von 416 PS bei zivilen 6.250/min. Damit zeichnet der nachträglich implantierte Kompressor gegenüber dem 4,2-Liter-Sauger für ein Leistungsplus von immerhin 118 PS verantwortlich. Das maximale Drehmoment wuchs auf 560 Newtonmeter bei 4.000 Umdrehungen an. Der Reiz dieser geheimnisvollen, neugierigen Blicken entzogenen Maschine speist sich zunächst aber weniger aus der hinzugewonnenen Leistung, als vielmehr aus einem sehr gekonnt komponierten Klangrepertoire. Das vormals sehr dominante Kompressor-Jaulen, das im Vorgänger die Melodie des Achtzylinders unter Leistungsdruck nachhaltig störte, geht neuerdings in eindrucksvollen, geradezu markigen V8-Klängen nahezu vollständig unter. Das heißt jedoch nicht, dass der Ton des Achtzylinders ungeziemt ruppig geworden wäre. Nur der Eaton-Kompressor hält sich nunmehr wohltuend zurück. Im Vergleich zum Vorgänger wurde sein Geräuschpegel um nicht weniger als 5 dB(A) gesenkt. Ob hier vielleicht das Geheimnis der schwarzen Motorabdeckung liegt? Die Leistungsentfaltung des mit einem Arbeitshub von 90,3 Millimeter agierenden Vierventilers geht gemäß des Kompressor-Prinzips wie gehabt sehr spontan und gleichmäßig vonstatten.
Die Leistung des XKR entfaltet sich spontan und gleichmäßig
Es ist aber nicht allein der Motor, der den Vortrieb im neuen XKR so genüsslich und kurzweilig gestaltet: Es sind seine Qualitäten im Verbund mit dem neuen Automatikgetriebe. Nanu, hat bei sport auto plötzlich ein Paradigmenwechsel stattgefunden? Nein, das sicher nicht. Aber die von ZF beigesteuerte Sechsgangautomatik, die in ähnlicher Form bereits im Aston Martin DB 9 Verwendung findet, schließt neben der Nutzung der bekannten Talente auch den sportlichen Einsatz nicht mehr aus. Die Arbeitsweise des ZF-Wandlers und die automatisierter mechanischer Getriebe à la SMG von BMW haben sich in der Wirkungswise einander in einer Weise angenähert, die noch bis vor Kurzem undenkbar war. Die Gangwechsel der ebenfalls per Schaltwippen am Lenkrad zu bedienenden Automatik erfolgen in überraschender Weise ebenso schnell wie elegant. Vom Auslösen bis zum Abschluss des Schaltvorgangs vergehen laut Hersteller 0,6 Sekunden. Das ist, gemessen an den besten automatisierten Schaltgetrieben, zwar nominell nicht rekordverdächtig – das Cambiocorsa-System von Ferrari veranschlagt in der "Race"- Einstellung beispielsweise nur 150 Millisekunden. Doch in der Praxis ist daraus schon deshalb kein Nachteil abzuleiten, weil im Gegensatz zum mechanischen Getriebe der Kraftfluss während des gesamten Schaltvorgangs aufrechterhalten bleibt.
Aus der platten Erkenntnis heraus, dass durch schnelle Gangwechsel weder Zeitvorteile zu erzielen sind noch der Schaltkomfort gesteigert wird, kann auf eine weitere Zuspitzung dieser Art in einem GT-Umfeld wie diesem leicht verzichtet werden. Kurzum: Die elegante Verschliffenheit des Vorgangs, noch dazu in so kurzer Zeitdauer, ist für ein Automatikgetriebe nachgerade ein bemerkenswertes Novum. Dass die Automatik auch im Sportmodus beim Erreichen des roten Drehzahlbereichs noch immer selbsttätig hochschaltet, kann aus sportlicher Sicht deshalb erstmals akzeptiert werden. Denn das Hochschalten nimmt auf die Fahrdynamik so gut wie keinen Einfluss. Die ehedem starken Lastwechsel in Form der bei herkömmlichen Wandlerkupplungen eingeleiteten Schwuppdizität, die im Verlauf der Kurven nicht selten unangenehme oder gar fatale Folgen zeitigten, gehören bei diesem System der Vergangenheit an. Ob allerdings auch der negative Einfluss der als Verbrauchsförderer eingestuften Automatikgetriebe in diesem Fall geringer geworden ist, lässt sich von unserer Warte aus nicht eruieren. Fakt ist aber, dass der XKR als Ganzes betrachtet sicher kein Kostverächter ist. Das Spektrum zwischen Minimal- und Maximalverbrauch ist weit gefasst und stark abhängig vom Umgang mit dem Gaspedal. Der Durchschnittswert pendelte sich unter sport auto-Verantwortung bei 18,9 Liter Super Plus auf 100 Kilometern ein.
18,9 Liter Super Plus verschlingt der XKR auf 100 Kilometern
Es wird allerdings auch einiges dafür geboten: So, wie sich der XKR vom Fleck weg in Richtung Horizont verabschiedet – damit lässt sich Eindruck schinden. Leicht und locker, geradezu federnd bringt er sich und seine Besatzung unter Hinterlassen der international verstandenen, sehr lautmalerischen V8-Sprache außer Sichtweite. Die Werksangabe für den Sprint auf 100 km/h unterbot das Testmodell bei kühler Sauerstoffzufuhr (Lufttemperatur 8 Grad Celsius) um 0,3 Sekunden. Das heißt: Nach 4,9 Sekunden war der Akt vollbracht. Die aussagekräftigere 200 km/h-Marke war nach 16,7 Sekunden passiert. Die kombinierte Beschleunigungs- und Bremsprüfung aus dem Stand bis 200 km/h und wieder zurück wird vom 2+2-sitzigen Coupé in einer Gesamtzeit von 22,1 Sekunden abgewickelt. Damit rangiert der XKR auf dem Niveau von Maserati Grandsport , Corvette C6 und Mercedes SLK 55 AMG. Dass der neue Jaguar dies tendenziell eher der Stärke seines Motor zu verdanken hat als der seiner Bremse, dürfte aber allenfalls von Spielern klassischer Autoquartetts honoriert werden. Der Fachmann würde es gern anders sehen. Denn mit Verzögerungswerten zwischen 10,3 und – im schlechtesten Fall – 9,8 m/s² rangiert der Jaguar XKR beileibe nicht im Spitzenfeld des Genres, also dort, wo er gemäß seiner Herkunft und seines Auftrags hingehört. Werte von bis zu 12 m/s² gelten dort als anzupeilende Marke.
Die gemessen am Basis-XK schon verstärkte Bremse mit an der Vorderachse im Durchmesser auf 355 Millimeter gewachsenen Scheiben offenbart also durchaus noch weiteres Entwicklungspotenzial – das hoffentlich nicht erst mit dem zu einem späteren Zeitpunkt erwarteten "Performance-Kit" für den XKR erschlossen wird. Analog des schon beim Vorgänger praktizierten Rezepts sollen nämlich auch dem aktuellen Sportcoupé durch nachträgliche Eingriffe an Motor, Fahrwerk und Bremse gegen Aufpreis jene Talente beigebracht werden, die ihm auf Strecken wie beispielsweise der Nordschleife das Mitfahren in der ersten Liga ermöglich sollen. Das funktioniert, wie die Rundenzeiten belegen, bisher noch nicht. Aber was sowohl das technische Layout als auch die neue Gesamtstruktur angeht, verfügt das XKR Coupé jetzt schon über bestechende Anlagen. Die erstmals bei den XJ-Limousinen angewandte Karosserietechnologie, die in der Luft- und Raumfahrt ihre Bewährungsprobe bestanden hat und bei der genietete und verklebte Gussteile und Pressbleche aus Aluminium die Grundstruktur bilden, offenbart gegenüber der herkömmlichen Stahlbauweise herausragende Vorteile. Gegenüber dem konventionell aus Stahl gefertigten Vorgängermodell ist beim neuen XKR eine Gewichtsersparnis von knapp 20 Prozent zu verzeichnen.
Das Aluminium bringt 20 Prozent weniger Gewicht für den XKR
In der Steifigkeit wurde beim Coupé eine Steigerung von 30, beim parallel angebotenen Cabriolet sogar von 40 Prozent erzielt. Mit einem Gesamtgewicht von vollgetankt 1.775 Kilogramm, das gemäß der Frontmotorbauweise nicht ganz paritätisch zwischen den Achsen verteilt ist, zählt der XKR auch in der Supertest-Fassung trotz seiner stämmigen 20-Zoll-Räder und aller übrigen (aufpreispflichtigen) Zutaten nicht umsonst zu den Leichtgewichten in der großen Gran-Turismo-Klasse. In Kombination mit der auch subjektiv spürbaren hohen Karosseriesteifigkeit ließen sich daraus die kühnsten Hochrechnungen hinsichtlich der sportlichen Anlagen ableiten. Aber bleiben wir beim Status Quo, der, wie die Preisliste ausweist, mit einer angemessenen Summe von 107.310 Euro bezahlt werden muss. Der Grundpreis beträgt 94.990 Euro. Wie schon der Vorgänger beruft sich auch der neue XKR ungeachtet seines "R" in der Typenbezeichnung selbstverständlich auf die gewohnten Anforderungen, die an die Marke mit der Raubkatze im Logo gekettet sind. Als da sind: stilsicherer Auftritt, überzeugender Fahrkomfort und natürlich die gewissermaßen hineinkonstruierte Eigenschaft, nicht nur im Reigen der Schnellsten einer der Besten im alternativen Langsamfahr-Modus zu sein. So gehört die gepflegte Art des Fahrens mit all ihren bekannten Facetten ganz selbstverständlich zur Pflichtvorstellung, der sich auch der XKR nicht entziehen kann. Dass er aufgrund dieses geschichtlich eingeforderten Anforderungsprofils fahrdynamisch nicht die Sau raushängen lassen konnte, sollte man ihm nicht verübeln.