Mercedes 300 SL Roadster und Porsche 356 C Carrera
Soundstarke Motoren steigern die Lust am Cabrio fahren. Noch besser, wenn Renntechnik wie im Mercedes 300 SL oder im Porsche Carrera 2 die heißen PS liefert. Ein Vergleich der deutschen Traumcabrios.
Wer Anfang der 60er Jahre einen offenen Supersportwagen aus deutscher Produktion erstehen wollte, hatte im Gegensatz zu heute keine große Auswahl.
Sauschnell und sauteuer - die Definition des Supersportwagens Streng genommen kamen nur der Mercedes 300 SL Roadster und die Porsche 356 B und C Carrera mit Zweiliter-Königswellen- Motor in Frage - der eine mit stattlichen 215, der andere mit bescheidenen 130 PS. Ein weiterer deutscher Kandidat in der 200-km/h-und-mehr-Liga - der BMW 507 Roadster mit 150 PS starkem V8 - , war nur in den Jahren 1956 bis 1959 erhältlich und wurde lediglich 252 Mal gefertigt. Doch wie definiert sich im Jahr 1963 überhaupt ein Supersportwagen? Im Prinzip wie heute: sauschnell und sauteuer. Die Höchstgeschwindigkeit sollte mindestens bei 200 km/h liegen und die Beschleunigungszeit von null auf 100 km/h die Zehn-Sekunden-Grenze deutlich unterschreiten. Mercedes 300 SL Roadster - das Flügeltür- Coupé war seit 1958 nicht mehr im Programm - und Porsche 2000 GS Carrera 2 schafften in zeitgenössischen Testberichten einen Topspeed von 221 beziehungsweise 200 km/h. In der Sprintdisziplin schlug dagegen der Porsche den Mercedes um knappe 0,2 Sekunden und durcheilte nach nur 8,6 Sekunden die 100-km/h-Marke. Das kürzer untersetzte Vierganggetriebe und 400 Kilogramm weniger Gewicht machten den quirligen Carrera 2 abseits der Autobahn zum 300 SL-Schreck. Von diesen exorbitanten Fahrleistungen konnten die Besitzer eines VW 1200 Käfer oder Mercedes 190 Heckflosse mit ihren 30 beziehungsweise 80 PS nicht einmal träumen. Zeit dazu hätten sie genug gehabt. So benötigte laut Werksangabe der Käfer beschauliche 38 Sekunden, um 100 km/h zu erzielen. Und nach weiteren zwölf Einheiten war sowieso Schluss, während die Mercedes-Heckflosse bis Tempo 100 flotte 18 Sekunden verstreichen ließ und sich immerhin zu 145 km/h aufraffte. Das sicherte dem Daimler damals einen souveränen Abo-Platz auf der linken Autobahnspur - bis ein 300 SL oder Carrera 2 mit zweihundert Sachen herandonnerte. Ein 300 SL oder sieben VW Käfer? Diese Form des schnellen, sportlichen Reisens hatte damals schon ihren Preis. Motor- Revue-Testfahrer H. U. Wieselmann schuf deshalb für den zweisitzigen, offenen 300 SL ein treffendes Wortspiel. Der Mercedes sei "kein Auto für Kinderreiche, sonder mehr für reiche Kinder", die ihren Eltern 32.500 Mark abschwatzen mussten. Das entsprach einem Gegenwert von sieben VW Käfer in Export-Ausführung. Auch Porsche hoffte auf vermögende Kundschaft und verlangte für den supersportlichen Carrera 2 - wie auch heute noch - einen fulminanten Aufpreis. Wer mit 130 anstatt mit 95 PS wie im offenen 1600 SC das Stilfser Joch erklimmen wollte, musste 7.250 Mark mehr investieren und beim freundlichen Porsche-Händler 24.700 Mark hinblättern. Das war damals für einen Vierzylinder-Sportler sehr viel Geld. Nur Carlo Abarth wagte es noch, für seine hubraumschwachen Rennsport-Kreissägen ähnliche Unsummen zu verlangen. Die aktuellen Klassiker-Preise der schnellen Roadster aus Deutschland spiegeln die Preissituation von damals wider. Sie sind ein letzter, gegenwärtiger Beleg dafür, dass es sich tatsächlich um zwei Supersportwagen handelt. Und da stehen sie nun, die beiden prominenten Oldies von Mercedes und Porsche, auf einem Parkplatz der Schwäbischen Alb oberhalb der Marken-Outlet-Metropole Metzingen. Sie verkörpern einen Gesamtwert von rund 650.000 Euro - keine Schnäppchen für die Jäger unten im Tal, sondern hochwertige Preziosen für die Kenner unter den Oldie-Freunden. Gunther Sachs, Tony Curtis, Romy Schneider - alle fuhren 300 SL Im direkten Vergleich zum rundlichfröhlichen Porsche macht für Nichteingeweihte der 300 SL, der Bekannte, der Beliebte, der viel Besungene, der Klassischste aller Klassiker, eindeutig mehr her. Er ist, wäre er weiblich, die Diva aller historischen Automobile und zeigt dies auch in ungezwungener Direktheit: Wie ein Modellkleid von Dior erstrahlt das rote Leder-Cockpit in der elfenbeinfarbenen und mit betörenden Rundungen versehenen Karosserie. Verchromte Zierleisten, verchromte Zugknöpfe und verchromte Heizungsregler für Fahrer und Beifahrer, dazu chromumrandete Rundinstrumente. Eine hochformatige Kombinationsanzeige informiert über Öldruck- und Temperatur, Wassertemperatur und Tankinhalt. All das gefiel nicht nur vermögenden, gut aussehenden Männern wie Gunther Sachs und Tony Curtis, sondern auch Damen wie Romy Schneider, die 1958 ihren Roadster erwarb. Mercedes-Restaurator Kienle in Heimerdingen, der den 300 SL für die Fotofahrten zur Verfügung stellte, leistete hier Großartiges. Er sparte an nichts - besser geht's nicht. Das große, weiße Lenkrad und ein ebenfalls weißer Schaltknauf verstärken den Eindruck von luxuriöser, fast schon feminin wirkender Opulenz - bis die Maschine nach dem Drehen des Zündschlüssels wie ein Höllenhund losröhrt. Das hübsche Sissi-Mobil verwandelt sich in ein ungeduldig lauerndes Mille-Miglia-Monster. Kernige Vibrationen durchdringen sogar den bequemen Schalensitz und versetzen den Piloten zurück in die 50er Jahre, als Karl Kling, Hermann Lang, Olivier Gendebien und andere Rennfahrer schon mit dem knochig zu schaltenden Getriebe kämpften, um ihre Gegner in den Aston Martin, Ferrari und Maserati zu überholen. Der elegante Roadster besitzt noch alle maßgeblichen Technikkomponenten des ersten, für den Rennsport konzipierten Flügeltüren- SL von 1952: einen für das Cabriolet angepassten Rohrrahmen und den Reihensechser mit drei Liter Hubraum, Benzin-Direkteinspritzung und Trockensumpfschmierung. Er ist aus Platzgründen um 45 Grad nach links gekippt in das Stahlrohr- Chassis eingepasst.
20 Liter Kühlwasser und 15 Liter Motoröl wollen warmgefahren werden Neu ist hingegen die Eingelenk-Pendelachse im Heck, die eine im Grenzbereich heikel zu fahrende Zweigelenk-Pendelachse ersetzt hat. Wer dem bis zu 6.400/min hochdrehenden Blitz-Benz die Sporen geben will, sollte sich gedulden, bis 20 Liter Kühlwasser und anschließend 15 Liter Motoröl ihre Betriebstemperatur erreicht haben. Wir üben solange bei moderatem Tempo das Schalten und Lenken. Die Kupplung arbeitet weich und gut kontrollierbar, während das große Lenkrad beim stehenden oder langsam rollenden Wagen viel Muskelkraft erfordert. In Fahrt genießt man rasch die saubere Gasannahme des röhrenden und im Vergleich zu modernen Autos metallisch hart arbeitenden Mo tors, dessen Umgangsformen jedoch nie nerven, sondern wie ein Life-Konzert der Rolling Stones Glücksgefühle erzeugen. Die heute noch sehr guten Fahrleistungen ermöglichen zusammen mit den energisch zupackenden Trommelbremsen - hier geht erneut ein dickes Lob nach Heimerdingen - nicht nur das Mitschwimmen im Meer der Lastwale und Familien-Kabeljaue, sondern auch rasante, für Beobachter verwirrende Überholmanöver: Klar, ein Daimler-Oldie. Aber so schnell, so alt, so schön, so laut - das gibt's doch nicht! Legendäres Triebwerk im Porsche: Fuhrmann-Motor mit Königswellen Genau dieselben Effekte erzielt der Fahrer des Porsche Carrera 2, der noch schneller Pässe hochschießen oder Kreisverkehre durchtanzen kann. Ihm, dem Kleinen, Frechen, Roten, nimmt man solche Kapriolen noch eher ab, nicht jedoch, dass hier schlanke 280.000 Euro unterwegs sind. Die Ursache für den exorbitant hoch angesetzten Klassiker-Preis liegt in dem legendären Vierzylinder-Boxer-Triebwerk mit Königswellen- Antrieb für die vier oben liegenden Nockenwellen. Der Zwei-Liter-Motor basiert auf einer Konstruktion von 1952, die den Namen des Konstrukteurs und späteren Geschäftsführers Dr. Ernst Fuhrmann trägt. Dieser so genannte Fuhrmann-Motor mit zunächst 1,5 Liter Hubraum und 110 PS Leistung katapultierte die federleichten Porsche- Rennsportwagen an die Weltspitze. Als Beispiel dient der 550 A von 1956. Der ultraflache Spider brillierte mit Daten, die dem Leichtbau-Genie Colin Chapman den Schlaf rauben mussten: 530 Kilogramm Gewicht, 135 PS bei 7.200/min und sagenhafte 240 km/h Spitze. Umberto Maglioli und Huschke von Hanstein errangen im 550 A den Geamtsieg bei der Targa Florio - Porsche lehrte erstmals die hubraumgewaltigen Ferrari, Maserati und Mercedes das Fürchten. Bereits 1955 erfüllte sich der Traum der seit 1950 auf rund 10.000 begeisterte Sportfahrer angewachsenen Porsche-Gemeinde: Der Fuhrmann-Motor befeuerte das Straßenmodell aus der 356 A-Baureihe. Den 1500 GS Carrera mit zunächst nur 100 PS gab es als Coupé, Cabriolet und Speedster, dessen Produktion jedoch 1958 endete. Es waren die ersten Porsche, die den Namen Carrera trugen. Der Fuhrmann-Motor erhielt 1958 maßgebliche Modifikationen: 1,6 Liter Hubraum, 115 PS, Kurbelwelle und Pleuel mit Gleit- anstelle der empfindlichen Rollenlager, Antrieb der beiden Zündverteiler über die Kurbelwelle anstatt bisher durch die beiden Einlass-Nockenwellen und schließlich die Optimierung des acht Liter fassenden Trockensumpf-Ölreservoirs durch thermostatisch geregelte Ölkühler in der Wagenfront. Diese Maßnahmen erhöhten die Alltagstauglichkeit des luftgekühlten Drehwunders und finden sich auch in der Zwei-Liter-Version wieder, die von 1962 bis 1965, dem letzten Baujahr der gesamten 356-Reihe, angeboten wurde.
Auf der Landstraße enteilt der Porsche dem 300 SL Kenner entdecken sofort an unserem roten Carrera 2-Renner dessen typischen Karosserie-Merkmale: fehlende Stoßstangenhörner, gitterlose Öffnungen an der Wagenfront zur Belüftung der Ölkühler und das mit Längsschlitzen versehene Abschlussblech unter der Heck-Stoßstange. Im Cockpit blicken wir wie in den anderen 356 C-Modellen auf drei Rundinstrumente mit jedoch deutlich, fast fieberartig erhöhten Werten: Vmax bei 270 km/h, roter Bereich bei knapp 7.000/min. Keine Frage, der rote Porsche ist so heiß wie eine Chilischote. Sein Besitzer Jörg Steidinger, der schon seit mehr als 40 Jahren diverse 356 sammelt und sie regelmäßig fährt, weiß damit umzugehen. Mit der lässigen Eleganz eines Riesenslalom-Skiathleten durchmisst er enge Landstraßenkurven über kleine Hügel und Täler hinweg, die im nachfolgenden Mercedes 300 SL-Piloten Hitzewallungen entfachen, als hätte er in eine Chilischote gebissen - so groß sind die physischen wie auch psychischen Anstrengungen, wenn es gilt, einen rund 400.000 Euro teuren Untersteuerer auf der Piste zu halten. Wir lassen daher den roten Porsche ziehen und freuen uns auf den Fahrzeugwechsel. Der Einstieg in den Porsche ist dank des niedrigen Seitenschwellers kein Problem, und der Innenraum punktet im Vergleich zum 300 SL mit mehr Bewegungsfreiheit. Was jedoch die Herren Sachs und Curtis wohl bemängelt hätten, ist die höhere Bordwand der Karosserie, welche den freien Blick auf die schönen Männer - vom mondänen 300 SL anstandslos gewährt - deutlich schmälert. Der Porsche ist mehr das Fahrzeug für schnelle Männer, die auch das butterweich zu schaltende, käferartige Getriebe zu schätzen wissen, dessen Gänge mit dem charakterischen, etwas hohl klingen "Plonk" einrasten. Nicht minder käferartig klingt auch der Heckmotor. Dessen bösartiges Grollen übertönt die Rumheulerei des Kühlgebläses jedoch grandios. Das Spurtvermögen des Carrera 2 kann noch heute überzeugen, ja sogar in hohem Maß gefallen: Der im Heck sich abrackernde, leicht gezähmte Rennmotor liefert einen ähnlichen Klangorkan, wie ihn einst Umberto Maglioli auf Sizilien während seiner legendären Siegesfahrt erlebte. Und genau dieser Effekt macht den Porsche 2000 S Carrera 2 und den Mercedes 300 SL zu so grandiosen Sammler-Fahrzeugen. Beides sind halbwegs gezähmte Rennmaschinen, deren einzigartige Technik erstmals in modernen, sieggewohnten Rennsport-Boliden zum Einsatz kam. Wirkliche Supersportwagen eben.