Mercedes CL 600

Das beste Stück im Daimler-Programm, der Mercedes CL 600, geht in die nächste Generation. Der Wechsel greift tief: Das neue Coupé ist schöner, schlanker, dynamischer.
Immer hinein“, sagt der Mann an der Zapfsäule gegenüber, als die Anzeige für den CL 600 die 80 Liter überspringt. Es ist die Art von Häme, mit der sich CL-Fahrer einfach abfinden müssen.
Die Zeiten, als man Autos wie den Spitzen-Coupés von Mercedes noch mit reiner Bewunderung gepaart mit Ehrfurcht begegnete, sind nun mal – in Deutschland zumindest – vorbei. Dabei hätten sie, gerade was den CL 600 betrifft, allen Respekt verdient. Nirgendwo wird das technisch Machbare so vielfältig umgesetzt wie hier, nirgends ist die Innovationsdichte größer. Und die Erfahrung lehrt: Was heute noch Privileg der Luxusklasse ist, wird schon morgen in die tieferen Sphären durchsickern. Als Pionier des technischen Fortschritts übersteigt die Relevanz eines CL 600 denn auch bei weitem seine Marktbedeutung. 9000 CL-Coupés hofft Mercedes pro Jahr weltweit in Umlauf bringen zu können; an sich Peanuts, aber in einem Segment, das höchstens 30 000 verträgt, gar nicht so wenig.
Bisher war man bei Mercedes mit der Marktpositionierung des Flaggschiffs allerdings nicht so recht zufrieden. Als Ego-Booster taugte der elefantöse Vorgänger allenfalls bei den Herrschaften reiferen Alters. Es fehlte der imageträchtige jugendliche Touch. Vom Nachfolger erhoffen sich die Marketingexperten nun die Imagewende. Das gute Stück, das wie zuvor auf der SKlasse basiert, wurde gründlich abgespeckt, und das sieht man ihm an. Der neue CL ist sieben Zentimeter kürzer, fast fünf Zentimeter schmaler und sechs Zentimeter flacher. Auch auf der Waage zeigt die Diät Erfolg. Mit 1956 Kilogramm wurde aus dem CL 600 kein Fliegengewicht.
Aber bisher waren es 240 Kilogramm mehr. Ein Werkstoffmix aus Aluminium (Dach, Motorhaube, Rückwand, Heck-Kotflügel), Magnesium (Tür-Innenbereich) und Kunststoff (Kotflügel vorn, Heckdeckel, Stoßfänger) macht es möglich. Den Rest besorgt das Styling. Die flache Schnauze und das schwungvolle Heck verleihen dem Coupé eine bisher nicht gekannte Dynamik im Auftritt, ein Charakterwandel, der, so die Hoffnung, auch auf die Kundschaft abfärben wird. Missfallen könnte höchstens die Tatsache, dass das neue Topmodell von vorn betrachtet nur wie ein CLK in Übergröße daherkommt.
Das ändert nichts daran, dass der neue CL optisch beeindruckt. Besonders elegant wirkt er, wenn beide Seitenscheiben versenkt werden und das Dach mangels B-Holm nur noch auf vier Pfosten schwebt – eine traditionelles Designelement der Coupés von Mercedes, das beim Vorgänger und beim CLK abhanden kam. Innen erwartet den Coupé- Fahrer viel Prunk, aber erfreulich wenig Protz.
Das Design unterscheidet sich auf die subtile Art von der gewöhnlichen S Klasse – etwas mehr Holz an den Türen, etwas weniger Plastik am Armaturenbrett. Der Rest wird beim CL mit Leder ausgeschlagen, dem 600er gönnt Mercedes sogar serienmäßig geschmeidige Nappa- Ware und Alcantara fürs Dach. Auch die Verarbeitung entspricht den Erwartungen: lupenrein, bis auf den Aschenbecher. Der besteht – shocking – aus billig wirkendem Plastik. Dank der aufwendigen Kinematik der Scharniere garantieren die riesigen Türen auch bei geringem Öffnungswinkel einen einigermaßen bequemen Einstieg. Der Raumeindruck, der sich sodann einstellt, entspricht dem gewohnten S-Klasse- Niveau. Im Fond ist es logischerweise enger, aber gemessen an Coupé-Maßstäben genießen die Insassen auch hier fürstliche Platzverhältnisse.
Für die Vornsitzenden gilt es, zunächst einmal die passende Sitzeinstellung zu finden, was angesichts der vielen Möglichkeiten eine Wissenschaft für sich ist. Allein 13 Seiten widmen sich in der Betriebsanleitung dieser Aufgabe. Neben den üblichen Freiheitsgraden offeriert der CL 600 noch variable Lehnenwölbungen im Lenden- und Schulterbereich, regulierbare Seitenpolster und Luftpolster mit „Dynamik-Funktion“, die sich in der Rückenlehne rhythmisch aufblasen. Immerhin lässt sich am Ende konstatieren, dass man auf dem Coupé-Sitz gut sitzt, besser als in der Limousine, und dass die Bedienung kraft der Logik der Schalter bald keine Probleme mehr aufwirft. Gleiches lässt sich von den übrigen Bedienungselementen behaupten. Verwirrung stiftet das mit Schaltern gepflasterte Cockpit nur beim CL-Novizen, was in Anbetracht der zahlreichen Funktionen kein Wunder ist.
Die Liste umfasst alles, was schon im Zusammenhang der S-Klasse von sich reden machte – vom schlüssellosen Betrieb mittels „ Keyless-Go“ bis zum „Comand“-System mit Multifunktionsbildschirm –, nur dass beim neuen Topmodell das meiste in der Liste der Serienausstattung zu finden ist.
Hinzu kommen die CL-spezifischen Innovationen – der sogenannte Aero-Scheibenwischer etwa, der nur aus einem Gummiprofil mit Federschiene besteht und vorzüglich funktioniert, Xenon auch fürs Fernlicht, aber vor allem die Zylinderabschaltung (ZAS) und das Active-Body-Control-System (ABC), eine neue Technik, die Karosseriebewegungen beim Anfahren, Kurvenfahren und Bremsen schon im Keim ersticken soll. Stellzylinder in den Federbeinen korrigieren über eine Hochdruckhydraulik (200 bar) jede Regung, solange sie mit weniger als fünf Hertz abläuft, und zwar augenblicklich. Gefedert wird beim CL allerdings nicht mit Luft, wie in der S-Klasse, sondern mit Stahl.
Das Ergebnis ist zwar noch nicht das „Ideal- Fahrwerk“, wie es Mercedes gerne hätte, kommt diesem aber einen Schritt näher. ABC arbeitet ebenso unauffällig wie effektiv. Verblüffung stiftet nur die Tatsache, dass ein weich gefedertes Auto auch bei forcierter Kurvenfahrt so gut wie keine Schräglage aufweist. Die Vorteile für die Fahrstabilität zeigen sich vor allem in schnellen Wechselkurven, die der CL mit geradezu stoischer Gelassenheit durchmisst. Fahrdynamisch setzt der CL damit zweifellos Maßstäbe. Andererseits wird aus einem Zweitonnen- Coupé so schnell kein Sportwagen, ob mit oder ohne ABC. Dazu ist der CL 600 nach wie vor etwas zu schwerfällig und vermittelt auch nicht den erforderlichen intimen Fahrbahnkontakt. Das kann letztlich auch das zuschaltbare Sportprogramm nicht ändern, das die Seitennei- gung weiter reduziert und die Lenkung etwas spontaner ansprechen lässt.
Optimal bedient werden dagegen Fahrer, die auf höchste Sicherheitsreserven Wert legen, für sportive Hektik aber wenig übrig haben, selbst wenn sie bei Bedarf den meisten Sportwagen auf und davon fahren können. Dazu passt, dass auch der Komfort nicht zu kurz kommt. Speziell bei höheren Geschwindigkeiten bügelt das Coupé so ziemlich alles flach, was ihm an Straßenunebenheiten in den Weg kommt. Nur bei langsamer Fahrt wirkt es etwas steifbeinig. Da ist ihm die luftgefederte Limousine ebenso überlegen wie beim Abfedern von kurzen Stößen und Querwellen.
Die besondere Faszination des CL 600 liegt in der einzigartigen Mühelosigkeit des Fahrens, und da passt dann auch der neue, 5,8 Liter große V12- Motor bestens ins Bild. Die Gelassenheit, mit der seine 367 PS umgehend, aber höchst diskret praktisch jeden Tempowunsch erfüllen, ist zutiefst beeindruckend und beantwortet nebenbei die Frage nach der Existenzberechtigung eines solchen Triebwerks. Lob verdient aber auch die Fünfgangautomatik, die mit dem V12 in seltener Perfektion zusammenspielt. Das gilt auch für die Zylinderabschaltung. Dass der V12 im Teillastbereich bisweilen nur mit sechs Zylindern arbeitet, bleibt dem Fahrer weitgehend verborgen. Die Auswirkungen beschränken sich auf den Verbrauch: Mit 14,8 L/100 km im Testdurchschnitt liegt der Konsum des Zwölfzylinder-Coupés noch im zivilen Bereich.
Vom Preis lässt sich das kaum behaupten. 224 227 Mark kostet der CL 600. Aber dafür bekommt man schließlich auch den besten Mercedes aller Zeiten.