Mercedes E 220 d im Fahrbericht
Er macht erschreckend viel ganz alleine und er macht es erschreckend gut: Wir haben den neuen Mercedes E 220 d mit seinem Hang zum autonomen Fahren ausprobiert.
Mercedes E 220 d: Innen schicker Luxus
Tür auf und hier drinnen sieht es aus wie in einer S-Klasse: dicke hübsch designte Sitze, offenporiges Holz, glänzende Metalleinlagen. Das Gestühl sitzt sich prächtig komfortabel und liefert trotzdem Seitenhalt für den Rücken. Droht ein Seiten-Crash, schubst eine Sitzseitenwange den Fahrer oder Beifahrer noch schnell ein Stück von der Einschlagsstelle des gegnerischen Fahrzeugs weg. Gleichzeitig ertönt ein unspektakuläres Rauschen, welches das Gehör der Insassen auf den kommenden Einschlag-Knall vorbereiten soll.
Vor dem Fahrer breiten sich in der höchsten Ausstattung zwei 12,3-Zoll-Bildschirme aus. Der linke Combi-Bildschirm lässt sich in seinem Darstellungsstyle genauso anpassen wie der rechte Comand-Bildschirm. Klassische Tuben mit echten Zeigern gibt es noch als Basis-Ausstattung – es könnte gut sein, dass dies die letzte E-Klasse-Generation ist, in welcher noch echte Zeiger über Skalen ziehen können. Sämtliche Funktionen, die sich über den Comand-Knopf bedienen lassen, lassen sich auch über das Touchpad sowie über die beiden Touchflächen auf dem Multifunktions-Lenkrad bedienen. Intuition ist Trumpf: Über die rechte Lenkrad-Touchfläche wird der rechts sitzende Comand-Bildschirm bedient, über die linke - na Sie wissen schon.
Die Umfänge des Navis wurden um nützliche und für einen schwäbischen Autohersteller eigentlich selbstverständliche Funktionen erweitert: So kann sich der Nutzer jetzt sämtliche Tankstellen im Umkreis mit den jeweils aktuell aufgerufenen Spritpreisen anzeigen lassen – so geht Sparen. Zudem lassen sich sämtliche freien Parkplätze anzeigen – das System zieht sich die entsprechenden Daten permanent aus dem Internet.
Mercedes E 220 d: Einparken ohne Fahrer
Wenn sie mit dem optionalen Park-Pilot ausgerüstet ist, braucht die E-Klasse zum Einparken keine Insassen mehr. Der Fahrer verbindet sein Smartphone über die entsprechende App mit dem Wagen. Dieser erkennt die Parklücke und der Fahrer muss mit seinem Finger nur noch kreisförmig über den Telefonbildschirm streichen, und die E-Klasse fährt brav auch in sehr enge Lücken. Wir haben es ausprobiert – es funktioniert tadellos. Kommt der Wagen in der Garage beispielsweise einem abgestellten Fahrrad oder einem Schlauchwagen zu nahe, fragt er über die App, ob er den Einparkvorgang fortsetzen soll. Besteht Kollisionsgefahr, beendet das System den Einparkvorgang. Das Fingerkreisen des Fahrers dient als eine Art Totmann-Schaltung: Hört er mit der Kreisbewegung auf, endet der Einparkvorgang abrupt – schließlich liegt die Verantwortung für das Führen des Fahrzeugs weiterhin beim Fahrer. Während des ferngesteuerten Einparkens darf übrigens niemand in der E-Klasse sitzen.
Parkplätze längs und quer zur Fahrbahn spürt der Park-Pilot auf, der Fahrer kann sich dann zum einen den gewünschten Parkplatz aussuchen, zum anderen wählen, ob er vorwärts oder rückwärts einparken möchte. Dann heißt es: Hände weg vom Lenkrad und Füße runter von den Pedalen und die E-Klasse fährt sauber in die Lücke. Dabei rangiert sie, wenn nötig, auch noch selbstständig vor und zurück. Ausparken geht auch automatisch. Bei einer Querparklücke muss der Fahrer nur wählen, ob er nach links oder rechts aus der Lücke fahren möchte. Bei rückwärtigem Ausparken erkennt das System den Querverkehr, beim Vorwärtsausparken muss der Fahrer schauen, ob er freie Bahn hat. Die Einparksysteme der neuen E-Klasse sind ausgereift. Der Schritt, dass der Fahrer den Wagen einfach irgendwo verlässt und das Fahrzeug sich dann selbstständig seinen Parkplatz sucht, scheint nicht mehr weit.
Wer mit dem Smartphone nicht nur seine E-Klasse in die Garage stellen möchte, kann die NFC-Funktionalität (NFC: Near Field Communication) seines Telefons nutzen: Mit dem Wagen gekoppelt, dient das Smartphone als Schlüssel zum Öffnen und Starten der E-Klasse. Aktuell funktioniert dies mit dem Samsung S6 und mit SIM-Karten, die mit einem NFC-Chip ausgerüstet sind.
Der Fahrer fühlt sich fast überflüssig
Endlich richtig fahren: Der neue 2,0-Liter-Vierzylinder-Diesel säuselt leise und wir ziehen zweimal am Distronic-Hebel. Schon regelt die E-Klasse die Geschwindigkeit je nach Geschwindigkeitserkennung oder Navi, passt permanent den Abstand zum Vordermann an und hält zudem die Spur. Nur ab und zu muss man nach wie vor kurz das Lenkrad berühren, damit das System aktiv bleibt – weil der Gesetzgeber es noch so will. Was heißt hier eigentlich "richtig" fahren? Die Abstands- und Geschwindigkeitsregelung erfolgt flüssig, der Wagen schwimmt unauffällig im Verkehr mit. Nur unter schwierigen Bedingungen kommt der Spurhalte-Assistent an seine Grenzen: Unsere Straße fällt in einer langgezogenen Linkskurve nach rechts stark ab und es bläst heftiger Seitenwind – unsere E-Klasse fährt in der Spur leichte Schlangenlinien, findet dann aber wieder ihre Linie. Zum Wechseln der Spur reicht zwei Sekunden Blinken, den Rest erledigt die E-Klasse. Das anfangs komische Gefühl der Bevormundung weicht schnell der Gewöhnung an die neue Technik.
Natürlich probieren wir auch aus, was passiert, wenn wir der Aufforderung, das Lenkrad wieder zu berühren, nicht folgen. Dann piept uns das System vorwurfsvoll an und verringert nach einer Weile die Geschwindigkeit. Ab 60 km/h abwärts schaltet sich automatisch die Warnblinkanlage an und der Wagen kommt langsam zum Stehen. Auf den Standstreifen fährt die S-Klasse nicht, da die Technik durchgezogene Linien als nicht überfahrbar erkennt.
Bis zu einer Geschwindigkeit von 130 km/h kann die neue E-Klasse auch noch Fahrzeuge selbstständig verfolgen. Einmal beim Vordermann per Radar und Stereo-Kamera eingeklinkt, braucht der Wagen nicht einmal mehr Fahrbahn-Markierungen: Er fährt exakt die Linie seines Vordermanns nach. Allerdings wollte unser E 220 d im Test auch einmal nach rechts Richtung Wiese abhauen – gar kein schlechtes Gefühl, wenn man als Fahrer doch noch mal wieder gebraucht wird.
Neu ist auch der Lenk-Assistent für die Unfallvermeidung: Rennt beispielsweise ein Kind unvermittelt von der Seite vor den Wagen, bremst das Fahrzeug nicht nur selbstständig scharf ab, die Lenkung gibt auch Impulse, in welche Richtung der Fahrer jetzt lenken muss.
Wir biegen auf die Landstraße ab und lassen alle "Wir fahren jetzt autonom"-Systeme aus. Nach dieser Dosis Automatik macht das Selberfahren wieder richtig Spaß. Der Lenkwiderstand steigt über die Fahrstufen Comfort, Sport und Sport+ merklich an, die Federung wird straffer und die Gasannahme direkter. Im Comfortmodus fühlt sich die Lenkung trotz aller Weichheit noch präzise an. Im selben Modus bügelt das Fahrwerk sanft über tief liegende Kanaldeckel hinweg, während es bei Sport+ wütend über selbige kracht.
Sparsamer kultivierter Motor
Der neue Diesel arbeitet jetzt mit einstufiger Turboaufladung, einem ausgeklügelten Abgas-Rückführungssystem und einer direkt am Motor sitzenden Abgas-Reinigungs-Anlage. Leise verrichtet er seinen Dienst, selbst beim beherzten Tritt aufs Gas bewahrt er seine Ruhe - nicht nur akustisch. Beim Zwischenspurt auf der Autobahn lässt das Triebwerk ein bisschen Behäbigkeit durchblitzen - auch wenn es selbst um 35 Kilogramm leichter geworden ist, so muss es doch insgesamt mit 1.680 Kilogramm E-Klasse fertig werden. Die 194 PS und das maximale Drehmoment von 400 Nm (1.600 bis 2.800 U/min) sorgen aber immerhin für einen guten Referenz-Sprintwert von 7,3 Sekunden und machen eine Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h möglich. Letzteres wird auch von der ausgefeilten Aerodynamik unterstützt: Ein Luftwiderstands-Beiwert von 0,23 ist laut Hersteller Bestwert in der oberen Mittelklasse. Und die ausgeklügelte Abgasrückführung sowie die Herabsenkung von innermotorischer Reibung dank beschichteter Zylinder-Laufbahnen und schmalerer sowie kleinerer Lager macht den E 220 d beinahe zum Dreiliter-Auto: Auf dem Prüfstand wandern im Schnitt 3,9 Liter Diesel pro 100 Kilometer in die vier Brennkammern.
Sämtliche E-Klasse-Varianten treten jetzt serienmäßig mit einer Neungang-Automatik an. Diese wurde von Mercedes selbst entwickelt und sie wird auch bei Mercedes gefertigt. Das kompakte System wird an jede Motorisierung angepasst - grob erklärt setzt es sich aus vier hintereinander auf einer Welle sitzenden Planetengetrieben und den dazugehörigen Kuppel-Elementen zusammen. Wer beim Begriff "Planetengetriebe" gesteigertes Unwohlsein empfindet, da er dabei an den Toyota Prius denken muss, sei beruhigt: Das Mercedes-System arbeitet mit echten Schaltstufen, eine nervige stufenlose Arbeitsweise ist hier technisch nicht möglich. Bei unserem Test arbeitet die Neungang-Automatik unmerklich wie ein guter Butler, legt hellwach immer den richtigen Gang ein. Nur ein einziges Mal auf der Autobahn hatten wir überhaupt das Gefühl, einen Herunter-Schaltvorgang über mehrere Gänge zu spüren.
Fazit
Die neue E-Klasse hat uns mit ihrem massiven Schritt in Richtung autonomes Fahren und der bereits in der Realität umgesetzten Möglichkeit des autonomen Einparkens beinahe davon abgelenkt, das klassische Old-School-Fahren mit Händen am Steuer und dem rechten Fuß auf der Pedalerie ausgiebig auszuprobieren. Dieser Schritt Richtung Autonomisierung ist dann auch das Beeindruckendste an der neuen E-Klasse. Der neue E 220 d spart Sprit bei akzeptabler Dynamik und entspannender Laufruhe. In Sachen Innenraum rückt die neue E-Klasse weiter der S-Klasse auf die Pelle. Ab April 2016 ist die neue E-Klasse zu haben, die Preise beginnen für den E 220 d bei 46.945 Euro.