VW Passat Alltrack gegen VW Tiguan Offroad
Kombi? Voll von gestern! Stammtischparolen dieser Art sollten hinterfragt werden. Fürs Foto rückt der etwas höhergesetzte VW Passat Alltrack schon vor den Tiguan. Gilt das auch für den Vergleichstest?
Dürfte der Markt die Antwort geben, dann wäre die Frage Kombi oder SUV vorschnell geklärt, denn letztere stellen längst die Mehrheit unter den Neuzulassungen. Auch die Frage nach VW Passat oder VW Tiguan würde die Verkaufsstatistik zugunsten der Hochdachvariante beantworten.
Nun sprechen wir unsere Empfehlungen aber erstens weniger nach der Meinung der Masse, sondern eher nach der Überzeugung von Klasse aus. Und zweitens gibt es den VW Passat Variant auch als SUV.Alternative: mit knapp drei Zentimeter höhergesetzter Karosserie samt serienmäßigem Allradantrieb. Diese Rustikalversion namens Alltrack erhielt wie die gesamte Baureihe jüngst eine leichte technische Auffrischung. Wir vergleichen sie mit dem Tiguan Offroad, beide als Diesel mit 190 PS.
Nicht unerwähnt sollte gleich zu Beginn bleiben, dass der Alltrack trotz Höherlegung und Rempelschutz erst in zweiter Linie eine SUV.Alternative und in erster ein (etwas wichtiger aussehender) Kombi ist – letztendlich sein größter Aktivposten, denn diese Karosserieform hat über die Jahrzehnte nichts an Klugheit verloren. Weshalb es umso unverständlicher ist, dass sich die Masse von ihr abwendet.
Die inneren Werte
Bewusst sprechen wir beim Alltrack übrigens nicht von einem Facelift, denn geglättete Gesichtszüge konnten wir nicht entdecken; eher vielleicht eine leichte Auffrischung mit Hyaluronsäure. Bei den inneren Werten dagegen fand eine deutlichere Verjüngung statt – nicht unbedingt bei den verwendeten Materialien, wo der Passat ohnehin etwas weniger Hartplastik als der Tiguan einsetzt.
Ab sofort versteht der Alltrack salopp dahingesagte Sprachkommandos wie: „Hallo Volkswagen, ich will nach Stuttgart!“ Neue Assistenzsysteme bringen ihm gegenüber dem Tiguan zusätzliche Punkte im Sicherheitskapitel ein. So kann der Passat auch über 50 km/h selbstständig vor einem Hindernis bremsen. Zudem kommt er bei einer maximalen Verzögerung aus Tempo 100 etwas früher zum Stillstand, und sein Bremspedal reagiert sensibler.
Aus dem Ärmel geschüttelt
Schon wären wir bei der Fahrdynamik angelangt. Hier spielt der Kombi seinen prinzipiellen Vorteil gegenüber dem SUV aus: Etwas weniger Eigengewicht, das sich vor allem auf einem niedrigeren Schwerpunkt ballt, lässt sich schneller in alle Richtungen beschleunigen – positiv, negativ oder quer.
So folgt der Passat Vorgaben der Lenkung deutlich spontaner als der Tiguan, schüttelt die Landstraßenrunde lässig aus dem Ärmel, ohne dass das Fahrwerk dabei an seine Grenzen stößt. Will man einem engagiert bewegten Alltrack folgen, dann artet das im ebenfalls allradgetriebenen Tiguan in Mühe aus. Weil dessen Fahrer deutlich höher sitzt und damit den SUV sozusagen aus lichter Höhe dirigiert, wird zugleich Distanz zum Geschehen aufgebaut.
Im VW Tiguan muss man die Kurve auf den Punkt anbremsen, besonders sauber einlenken und im rechten Moment ans Gas gehen – nicht zu früh, sonst bremst das ESP drohendes Untersteuern ein. Aber auch nicht zu spät, sonst steht am Ende der Kurve kein Ladedruck zur Verfügung, und der leichtfüßigere Passat enteilt.
Wobei man hier fairerweise anmerken muss, dass beide Zweiliter-Dieselmodelle seit der Umstellung der Motoren auf die Abgasnorm Euro 6d-Temp mit einer auffälligen Anfahrschwäche zu kämpfen haben. Sie äußert sich naturgemäß vor allem in der Stadt, dann ausgeprägt in Verbindung mit der Saumseligkeit des Start-Stopp-Systems.
Trotz seiner leichten Höherlegung zeigt der VW Passat übrigens einen guten Federungskomfort. Er wird allenfalls durch die optionalen 18-Zöller eingeschränkt, welche mit ihrer relativ geringeren Flankenhöhe auf Querfugen tapsig reagieren. Die beim Alltrack serienmäßigen Adaptivdämpfer (1.045 Euro Aufpreis beim Tiguan) passen ihre Kennlinien nunmehr sensibler und nahezu stufenlos an, und auf langhubigen Bodenwellen beruhigen sie den Kombi schnell und konsequent.
Die Karosserie des SUV wippt da stärker nach, und generell neigt sich der VW Tiguan als Folge seines hohen Schwerpunkts deutlich spürbarer in die Kurve, was ihn hemmt, auf die Fahrstabilität aber keinen negativen Einfluss hat. Vorausspuren könnte er allerdings jenseits des Asphalts: Dank vergrößertem Böschungswinkel hat die Linie Offroad bessere 4x4-Qualitäten und erhält bei der Bewertung der Traktion einen Bonus.
Zudem erfreut der VW Tiguan mit der bequemeren, weil höher montierten Rücksitzbank, wo die Oberschenkel mehr stützende Auflage finden. In Verbindung mit der umfangreicheren Multimedia-Ausstattung zieht er deshalb im Komfortkapitel nach Punkten immerhin gleich.
Bei der Karosseriewertung reicht es sogar zum Sieg, denn hier wird der SUV seiner Bezeichnung als Nutzfahrzeug (Utility Vehicle) gerecht. Er bietet die facettenreichere Variabilität, die über das Umklappen der geteilten Rücksitzlehnenelemente hinausgeht. Letztere lassen sich in der Neigung einstellen und die Sitzflächen um 18 Zentimeter verschieben. In Verbindung mit dem variabel einlegbaren Ladeboden und der umklappbaren Lehne des Beifahrersitzes ergibt sich nahezu das Können eines Vans.
Höhere Ladekante
Nicht unerwähnt lassen wollen wir das generell leichtere Einsteigen, das vorwiegend Senioren zu schätzen wissen – im Tiguan liegt die Sitzhöhe 165 Millimeter höher als im Alltrack und ermöglicht eine etwas bessere Rundumsicht. Nachteil: Auch das Ladegut muss höher gehievt werden, nämlich auf 73 Zentimeter (Passat: 64 Zentimeter). Generell kann der Kombi mehr transportieren, sowohl bezogen auf das Volumen als auch auf das Gewicht. Lediglich bei der Anhängelast ist der SUV im Vorteil, darf gebremst 2,5 statt 2,2 Tonnen an den Haken nehmen.
Dennoch geht die Eigenschaftswertung klar an den Passat, denn er gewinnt neben Sicherheit und Fahrverhalten auch die Kapitel Antrieb und Umwelt – letzteres dank des geringeren CO2-Ausstoßes, der aus dem etwas niedrigeren Spritverbrauch resultiert. Im Testdurchschnitt genügen dem Alltrack 7,5 statt 7,8 Liter auf 100 Kilometer, auf der besonders zurückhaltend gefahrenen Ecorunde im Vergleichstest beträgt der Unterschied 5,7 zu 6,1 Liter auf 100 Kilometer. Memo an die öffentliche Meinung: Effiziente Familienmodelle sind keine Utopie mehr, es gibt sie längst. Man findet die Sparsamsten nur äußerst selten bei den SUV.
Immerhin startet der VW Tiguan mit dem niedrigeren Grundpreis in die Kostenrechnung. Doch weil der teurere VW Passat Alltrack besser ausgestattet ist, egalisiert sich der Vorteil teilweise wieder. Obwohl der SUV damit das Abschlusskapitel gewinnt, steht am Ende fest, dass der Markt die Frage nach SUV oder Kombi nicht ausschließlich nach sachlichen Kriterien entscheidet. Denn in der Summe aller Eigenschaften ist der Passat Variant klar die Nummer eins.