Neue Generation erleichtert Wohnmobilausbau
Für die Öffentlichkeit hat Mercedes-Benz eine Skulptur (The Boulder) geschaffen, die die Wesenszüge des neuen Sprinters zeigt.
Mercedes krempelt seine Transporterflotte radikal um – und macht den Sprinter fit für die nächste Reisemobil-Generation.
Mercedes stellt seine Transporter völlig neu auf. Das wissen Kenner der Branche. Die bisherigen Modelle V-Klasse, Vito und Sprinter laufen aus, eine neue Van-Architektur steht in den Startlöchern. Alle Van-Baureihen werden dieselbe Basis haben, die zwar voll auf batterieelektrische Antriebe ausgerichtet ist, aber auch in Zukunft Verbrennungsmotoren im Angebot haben wird.
Es ist ein tiefgreifender Einschnitt ins Portfolio, der viele Fragen aufwirft. Es geht um Motoren, Breiten, Höhen und Längen. Und damit um einen Spagat, der sich zwischen Privatlimousinen und elektrifizierten Last-Mile-Trucks für Lieferdienste strecken muss. Dazu kommt die Herausforderung, digital breit und fit für die Zukunft aufgestellt zu sein. Chinesische Privatkunden wollen digital das Beste für ihre Zwecke, Lieferdienste für ihre Logistiksoftware. Das soll das neue Betriebssystem MB.OS leisten. Es muss Antriebe geben für Stop-and-Go-Verkehr in Paris, aber auch welche für Langdistanztransporte/Ferntransporte und Reisemobile.
EQV bis Sprinter: Mercedes' geheimer Fahrplan zur Transporter-Zukunft
Die Roadmap ist geheim. Nur die kommenden Schritte verrät Mercedes. Als Erstes wird die elektrische V-Klasse EQV abgelöst. Mit dem VLE wird 2026 ein hochklassiger Luxus-Van als erste Variante auf dem neuen Baukasten kommen. Die Verbrenner-V-Klasse bleibt so lange im Programm, bis auch der VLE auch als Verbrenner fertig ist. Heißen könnte dieser VLC – C wie Combustion.
Später kommt auf dieser Basis ein kleines Nutzfahrzeug. Und am Ende der Entwicklungsphase wird wohl der neue Sprinter präsentiert. Dass 2026 in Hannover die IAA Nutzfahrzeuge stattfindet, könnte zeitlich passen.
Box statt Bogen: neuer Sprinter erleichtert den Wohnmobilausbau
Während man über den VLE schon einiges weiß (Kollegen konnten schon fahren und waren begeistert), lässt Mercedes jetzt erste Ausblicke auf Technik und Design des neuen Sprinters zu. Für die Transport- und Reismobilwelt wichtig: Der Laderaum wird "boxiger". Man habe den Van von innen heraus entwickelt, heißt es. Bisher liefen die Seitenwände des Kastenwagens oben recht stark zusammen, stärker als bei der Konkurrenz.
Was aerodynamisch positiv ist, hat Nachteile in Sachen Ladevolumen und Raumnutzung. Reisemobilhersteller können ein Lied davon singen. Menschen, die den neuen Sprinter schon live gesehen haben, bestätigen die deutlich kastigere Form. Gerade Linien und klare Winkel sollen das Design prägen, das den Nutzwert unterstreicht – technisch und optisch.
Für die Öffentlichkeit hat Mercedes-Benz eine Skulptur (The Boulder) geschaffen, die die Wesenszüge des neuen Sprinters zeigt: Laderaum kantig, gerade, rechteckig. Vorne mit dominanter Motorhaube, deutlich hochgezogen, fast quadratisch. Dazu sehr schmale Scheinwerfer und der vom GLC EQ bekannte Kühlergrill – breit, hoch, markant, mit großem Stern.
Diesel, Strom oder Hybrid – variable Antriebsformen
Mercedes unterscheidet in Zukunft mehr denn je zwischen gewerblich und privat genutzten Vans. Aber alle Modelle kommen auf dem modular aufgebauten Van.EA-System, das aus einem einheitlichen Frontmodul (trägt den Hauptmotor), einer skalierbaren Mitteleinheit (trägt die Batterie bei E-Antrieben) und einem Heckmodul besteht, das dann je nach Anforderungen mit oder ohne zweiten Elektromotor angedockt wird.
Setzte man bei der Ausgestaltung der Strategie noch eher auf eine rein elektrische Zukunft, stellt sich das heute deutlich anders dar. Es werden auch Diesel- und Benzinmotoren zum Einsatz kommen. Welche, und wie das genau aussehen wird, darüber schweigt man in Untertürkheim. Ein Blick ins aktuelle Motorenportfolio lässt ahnen, dass der Vierzylinder OM654 in weiteren Entwicklungsstufen eine vernünftige Basis sein könnte.
Am Ende spielt die Zukunftsfähigkeit für kommende Abgasnormen eine entscheidende Rolle. Von daher ist auch kaum vorstellbar, dass es reine Verbrennervarianten völlig ohne elektrische Ergänzung geben wird. Man könnte an einen Mildhybrid denken, der, anders als bei Plug-in-Technik, nicht geladen werden muss, aber durch einen Elektromotor mit kleiner Batterie die Arbeit des Verbrenners unterstützt (Kaltlauf, Leistungsspitzen), was bei der Erreichung der Abgasnormen notwendig sein könnte. Auch wenn Mercedes bei den Pkw als einziger Hersteller weltweit Plug-in-Diesel-Hybrid-Modelle im Portfolio hat, dürfte diese Technik für Nutzfahrzeuge zu schwer und zu teuer werden. Aber: alles reine Spekulation zum derzeitigen Zeitpunkt.
Wie Mercedes Software zum Wettbewerbsvorteil macht
MB.OS wird in Zukunft in jedem Mercedes laufen. Das "Operating System" ist schon beim CLA vollumfänglich eingeführt. Mercedes hat das Betriebssystem selbst entwickelt und integriert Antriebsstrang, autonomes Fahren, Infotainment sowie Karosserie- & Komfortsysteme. Es wird durch KI unterstützt und lässt sich über das Internet stetig updaten.
Ziel ist es, gerade für den Transporterbereich, Anwendungen von Firmen (Logistik, Bau, Wohnmobil ...) einfach ins Fahrzeug zu integrieren. Mittels Over-the-Air-Updates lassen sich nachträglich Optionen ergänzen und Fahrzeuge auf dem aktuellen Stand der Digitaltechnik halten. MB.OS wird das bekannte MBUX ablösen.
Warum der Sprinter der Star der Campingindustrie ist
Vor dreißig Jahren löste der Sprinter den legendären "Transporter" von Mercedes ab – mit ABS, Scheibenbremsen rundum und einem völlig neuen Fahrgefühl. Plötzlich waren auf deutschen Autobahnen schnelle Lieferwagen unterwegs, die ihrem Namen alle Ehre machten: Sprinter.
2018 erschien die dritte und bislang aktuelle Generation. Mit ihr hielten moderne Assistenzsysteme endgültig Einzug. Dank MBUX konnte man erstmals mit dem Fahrzeug sprechen: "Hallo Mercedes". Bei der Präsentation in Amsterdam machten viele Journalisten den Test – "Hallo Mercedes, ich liebe dich!" – worauf das System trocken antwortete: "Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen." Heute ist die Sprachsteuerung längst selbstverständlich und deutlich verbessert.
Besonders im Zuge des Vanlife-Booms eroberte der Sprinter mit Allradantrieb und Höherlegung eine Sonderstellung. Zwar gilt seine Karosserie als etwas schmal, für den klassischen Ausbau, doch Fahrkomfort, Allradkompetenz und der Ruf als zuverlässiger Weltenbummler überzeugen. Hersteller gleichen die schmalere Basis durch clevere Lösungen wie Verbreiterungen aus – und die Kundschaft nimmt den Kompromiss gerne in Kauf.
Die jüngste Generation der Assistenzsysteme gilt als äußerst ausgereift. Nachdem Mercedes zuvor noch experimentierte – etwa mit einem Spurhalteassistenten, der über Bremseingriffe statt Lenkeingriffe korrigierte –, arbeiten Abstandsregeltempomat (Distronic) und Spurhalteassistent nun harmonisch zusammen. Karten- und GPS-Daten werden nahtlos integriert. In der jüngsten Ausbaustufe erhält der Sprinter zusätzlich eine Kamera im Frontbereich, die den Raum direkt vor dem Stoßfänger erfasst. Der Spurhalteassistent orientiert sich nun mittig und greift nicht erst beim Überfahren der Linie ein.
Ab 2020 gab es den Sprinter auch als vollelektrische Variante. Zunächst eher als technologische Erprobung gedacht, wurde das Konzept ab 2023 grundlegend überarbeitet. Drei Versionen stehen seitdem zur Wahl: mit 56, 81 und 113 kWh Batteriekapazität für Reichweiten von 233, 329 und bis zu 478 Kilometern (nach WLTP).
Für den Einsatz als Reisemobil war der E-Sprinter bislang kaum geeignet – zu schwer, zu teuer und technisch zu komplex. Unterflur bleibt kein Platz für Tanks oder Heizsysteme, da dort die Batterien sitzen. Zudem ist der Zugriff auf die Hochvolttechnik für Aufbauhersteller kaum möglich. Doch langfristig wird das vollelektrische Reisemobil kommen: gasfrei, energieautark und mit den großen Fahrzeugbatterien auch für Bordtechnik wie Heizung, Herd und Licht nutzbar.
