Emotionen aus, Verstand an!

Tempolimit. Mal wieder. Der ADAC ist nicht mehr grundsätzlich gegen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung. Vor einer Empfehlung will der Automobilclub aber Daten sammeln. Gut so. Fakten statt Emotionen sind der richtige Weg, meint Digital-Chefredakteur Jochen Knecht.
Kurz vor dem Verkehrsgerichtstag in Goslar (29. bis 31. Januar 2020) holt der ADAC das Thema Geschwindigkeitsbegrenzung aus dem Windschatten von Diesel-Fahrverboten und Elektroauto-Förderung. Gerhard Hillebrand, Vizepräsident für den Bereich Verkehr, ließ mitteilen, dass der ADAC „nicht mehr grundsätzlich“ gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei. „Die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen wird emotional geführt und polarisiert bei den Mitgliedern. Deshalb legt sich der ADAC in der Frage aktuell nicht fest!“, so Hillebrand. Vorausgegangen war eine Umfrage unter den rund 21 Millionen Mitgliedern des Automobilclubs, bei der 50 Prozent gegen ein Tempolimit und 45 Prozent dafür gestimmt hatten. Empfehlung des ADAC: Die Auswirkungen eines Tempolimits sollten dringend in einer umfassenden Studie geklärt werden. „Diese würde eine belastbare Entscheidungsgrundlage liefern.“
Wichtig für alle, die jetzt reflexartig ihre Mitgliedschaft kündigen wollen: Der ADAC ist nicht FÜR eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Er legt sich lediglich nicht mehr pauschal fest und trägt damit schlicht dem Votum seiner Mitglieder Rechnung. Es ist der Versuch, Emotionalität aus der Diskussion zu bekommen und sich dem Thema mit Fakten zu nähern. Das ist überfällig. Wird sich aber noch eine ganze Weile hinziehen.
Tempo 130 bekämpft Probleme, wo wir keine haben
Auch wenn ich nach wie vor hier und heute gegen die Einführung eines grundsätzlichen Tempolimits bin finde ich die Entscheidung des ADAC richtig. Weil es zum Thema Geschwindigkeitsbegrenzung keine einfachen Antworten geben kann. Tempo 130 bekämpft Probleme, wo wir sie gar nicht haben. Auf der Autobahn nämlich. CO2 ist zwar ein globales Problem, der Einspar-Effekt durch Tempo 130 ist dabei aber vergleichsweise gering, weil die aktuelle Verkehrsdichte (und die daraus resultierenden niedrigen Geschwindigkeiten) schon heute nur noch selten freies Fahren ermöglicht. Und NOx ist vor allem in den Innenstädten und Ballungsräumen ein Problem. Und genau dort müssen wir Lösungen suchen. Finden. Und mit uns reden lassen. Dann sind wir aber ganz schnell beim Thema „Mobilitätswende“ und müssen darüber sprechen, dass wir meiner Meinung nach gewaltige Investitionen in allen Bereichen der Mobilitäts-Infrastruktur brauchen. Kurz gesagt: Investitionen statt Ver- und Gebote.
Investitionen statt Verbote
Ein Beispiel: Wer als Pendler heute auf die Bahn umsteigen will, tut vor allem eines: er steht. Erst vor völlig überlasteten Park-and-Ride-Parkplätzen; dann im Regen auf alten, gammeligen Bahnsteigen; dann in komplett überfüllten, uralten Zügen und zum Schluss vor defekten Rolltreppen in Bahnhöfen. Das Thema Schiene lässt sich auch ganz hervorragend auf den Güterverkehr ausweiten, wo Deutschland europaweit maximal Schlusslicht darin ist, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Und natürlich müssen wir darüber reden, dass die legendäre „German Autobahn“ längst nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Die Brücken marode, die Hauptverkehrsadern chronisch überlastet, milliardenschwere Großprojekte viele Jahre hinter dem Zeitplan. Tempo 130? Davon träumen alle staugeplagten Autobahn-Kriecher in den Dauerbaustellen der Republik. Und es kann mir keiner erzählen, dass so ein Drei-Spuren-Stau-Wurm auf der Autobahn ökologisch eine gute Idee ist. Stauforscher Michael Schreckenberg sagte gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Staus durch ein Tempolimit zu vermeiden ist Quatsch. Die Entstehung von Staus ist nicht primär davon abhängig, ob ich 120 oder 160 fahre.“ Er plädiert stattdessen für geregelte Geschwindigkeitsbegrenzungen durch variable Anzeigen, wenn der Verkehr dichter wird. Bislang ist allerdings nur ein Bruchteil der Autobahnen mit dynamischen Verkehrsinformationssystemen ausgestattet.
Rücksicht, Respekt und Verantwortungsbewusstsein
Um da aber bitte nichts auszulassen: Schnell fahren zu dürfen und es auch zu können bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen. Für sich selbst. Seine Familie. Und alle anderen, mit denen man die Autobahn teilt. Rücksicht und Respekt sind bei hohen Geschwindigkeiten genauso wichtig, wie moderne Assistenz- und Sicherheitssysteme. Ein Freibrief für Raser kommt in meiner Welt nicht vor.