"Deadpool": Mitunter anstrengender Super(maul)held
Superhelden gibt es viele, doch Spitzbube "Deadpool" ist speziell. Vielleicht zu speziell für einige Kinogänger, denen die Comic-Vorlage unbekannt ist und daher nicht genau wissen, worauf sie sich einlassen.
Unsterblich, tödlich und dabei ungemein frech. Marvels "Deadpool" ist eher ein Maul- denn ein Superheld. Trotzdem, oder gerade deshalb erfreut sich der "Söldner mit der großen Klappe" ("The Merc with a Mouth") bei den Fans der Comics größter Beliebtheit. Schon vor dem Kinostart dürfte zudem die PR-Abteilung chronische Schmerzen vom vielen Schulterklopfen gehabt haben: Denn würde sich "Deadpool" auch nur als halb so innovativ entpuppen, wie die genialen Werbekampagnen im Vorfeld, dann hätte Marvel wohl einen neuen Lieblings-Helden auf die Leinwand gebracht. Aber ob die einzigartige Mischung aus oftmals infantilem Humor und blutiger Gewalt auch auf der Leinwand überzeugt, lesen Sie hier.
Den Trailer zu "Deadpool" können Sie sich bei Clipfish ansehen
Zu schön zum Sterben, zu hässlich zum Leben
Söldner und Sonderling Wade Wilson (Ryan Reynolds) ist für zwei Dinge bekannt: seine aufbrausende Art und seinen hoffnungslos dämlichen Humor. Kaum zu glauben, dass er in Form der hübschen Vanessa (Morena Baccarin) eine Frau findet, die ihm in beiden Disziplinen in Nichts nachsteht. Doch die noch frische Liebe der beiden Seelenverwandten wird auf eine harte Probe gestellt. Wade findet heraus, dass er Krebs im Endstadium und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Kaum hat er sich mit seinem Schicksal abgefunden, tritt eine dubiose Gestalt an ihn heran. Der Anzugträger behauptet, nicht nur eine Heilung parat zu haben, sondern Wade gar in einen Superhelden verwandeln zu können. Was hat der Todgeweihte schon zu verlieren? Wie sich herausstellt eine ganze Menge...
Direkt in die Weichteile
Dass "Deadpool" kein gewöhnlicher Superheldenfilm ist, das merken Zuschauer innerhalb der ersten Sekunden des Films, genauer gesagt während des launigen Vorspanns. Zu den Klängen von Juice Newtons "Angel of the Morning" umkreist die Kamera ein einzelnes Standbild des Films. Die skurrile Momentaufnahme bereitet die Zuschauer sofort auf die Tonalität, auf die erwartet überspitze Gewalt, auf den derben Humor des Streifens vor: Dem einen Schurken drückt Deadpool in einem sich überschlagenden Wagen den glühenden Zigarettenanzünder, dem anderen sein Gemächt ins Gesicht.
Besagter Einstieg ist es auch, der gleich den zweifelsohne besten Aspekt des Films offenlegt: Der selbstreferenzielle Humor nämlich, mit dem sich "Deadpool" über das Superheldengenre, Hollywood und vor allem über Hauptdarsteller Ryan Reynolds lustig macht. Nur folgerichtig also, dass der Vorspann nicht die Namen der Mitwirkenden aufzählt, sondern den "überbezahlten Produzenten" hier und den "eingebildeten Arsch" da.
Deadpool darf alles
Deadpool kann spielend leicht etwas durchbrechen, wo sich selbst der übermächtige Hulk den grünen Schädel einrennen würde: die vierte Wand. Jener Grund, warum der chronische Frechdachs eine so treue Fangemeinde unter Comiclesern ansammeln konnte, darf natürlich auch im Film nicht fehlen. Und so dreht Deadpool immer wieder seinen Kopf Richtung Kamera und hält einen Plausch mit den Zuschauern, während er seine Widersacher zerfetzt. Diese Momente sind es, in denen der Humor von "Deadpool" am besten funktioniert und wirklich etwas Neues bietet. Etwa wenn er sich nicht mehr sicher ist, ob "X-Men"-Anführer Charles Francis Xavier aktuell von Patrick Stewart oder James McAvoy gespielt wird - diese vielen Zeitsprünge sind aber auch verwirrend!
Nur für die Fans?
Daraus ergibt sich aber auch ein großes Manko für "Deadpool". Ein Großteil der Witze setzt eine nicht unbeachtliche Menge an Hintergrundwissen voraus. Sätze wie "Bitte macht meinen Superheldenanzug nicht grün - oder animiert!" sind für die Comicfans pures Comedy-Gold. Zuschauer hingegen, die sich mit der Materie nicht ganz so gut auskennen, werden diese Anspielung auf Reynolds katastrophalen Auftritt als "Green Lantern" und ähnliche Gags wenig abgewinnen können.
Simple Story, interessant erzählt
Dass mit der selbst für Superhelden-Filme simplen Story kein Blumentopf gewonnen werden kann, scheint allen Verantwortlichen gleich bewusst gewesen zu sein. Also wird die Geschichte über Betrug und Rache mit geschickten Zeitsprüngen erzählt, die nach und nach erklären, wie aus dem infantilen Wade der noch infantilere Deadpool wurde. Dass ihm mit Colossus und Negasonic Teenage Warhead zwei Lückenfüller der X-Men zur Seite gestellt werden, passt da schon wieder ins Bild - nur keinen "Wolverine"-Mainstream bitte, Hugh Jackman wäre eh zu teuer gewesen!
Leider ist ein Held immer nur so gut wie sein Antagonist - und der ist mit Ajax (Ed Skrein) denkbar langweilig ausgefallen. Mit Tom Hiddleston als Loki hatte einen Marvel in "The Avengers" wahrlich sehr verwöhnt und die Bösewicht-Messlatte dementsprechend hoch gelegt. Umso ärgerlicher aber, dass man einem so ungewöhnlichen Superhelden wie Deadpool einen derart blassen Fiesling gegenübergestellt hat.
Fazit:
Wenn "Deadpool" gut ist, wie etwa bei all den selbstreferentiellen Jokes über die gängigen Superhelden-Klischees, dann ist er richtig gut. Wenn "Deadpool" schlecht ist, wie bei den leider viel zu hochfrequentierten Pups-Witzen, dann ist er auch echt schlecht. Doch irgendwie passend für das Großmaul, dass er schlichtweg keinen Mittelweg kennt und regelmäßig über das Ziel hinausballert. Wer bereits die Comics liebte, kann mit dem Film eigentlich nichts verkehrt machen. Allen anderen könnte "Deadpool" dann aber doch zu speziell sein.