"Sonne und Beton": Eine tiefe Freundschaft zwischen Hochhauswänden
2017 erzählte Stand-up-Comedian und Podcaster Felix Lobrecht (34) in seinem Debütroman "Sonne und Beton" aus der Perspektive des 15-jährigen Lukas die Geschichte von Jugendlichen in dem Berliner Bezirk Gropiusstadt im Jahr 2003. Nun hat es das Buch auf die große Leinwand geschafft und bringt die raue Welt des sozialen Brennpunkts eindrücklich zum Leben.
Eine Schlägerei und ein Diebstahl mit Folgen
Der Film begleitet Lukas (Levy Rico Arcos) und seine Kumpels Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer), die ohne Geld, ohne Glück in der Liebe und viel Stress zu Hause und in der Schule durch den Berliner Ortsteil Gropiusstadt streifen. Als sie eines Tages im Park Gras kaufen wollen, geraten sie zwischen rivalisierende Dealer.
Lukas steckt Prügel ein und die Dealer wollen 500 Euro Schutzgeld von ihm. Um die schier unerreichbare Summe aufzutreiben, bringt Lukas' neuer Klassenkamerad Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) eine Idee ins Spiel. Die Jungs könnten einfach in die Schule einbrechen, die neuen Computer aus dem Lager klauen und verkaufen. Doch wie vertickt man am besten gestohlene Computer? Die Freunde finden vermeintlich Hilfe bei Lukas' Bruder ...
Zwischen Zusammenhalt und eigenen Ängsten
Die Jugendlichen im Film sind zwischen 14 und 15 Jahre alt und müssen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden nicht nur Fäuste, sondern tagtäglich viel mehr einstecken. In einer Welt voller Ausweglosigkeit, ohne Rückhalt aus der Familie und doch von einer besseren Zukunft (Stichwort: Abitur) mit mehr Geld in der Tasche träumend, werden sie, ob sie wollen oder nicht, in eine Welt voller Drogen, Problemen in der Familie, rivalisierenden Gangs und von der Polizei gestürmten Partys hineingeworfen.
Sie schwimmen mit dem Strom, wird ihnen doch nichts anderes vorgelebt. Um in dieser Welt zu überleben, werden sie selbst kriminell, boxen sich und schwänzen den sowieso völlig chaotischen Schulunterricht. Zählen können sie vor allem auf ihre Freundschaft, die sich durch die zahlreichen gemeinsamen Erlebnisse in der rauen Umgebung geformt und gestärkt hat.
Casting-Marathon zahlt sich aus
Um die Geschichte möglichst realistisch und nachvollziehbar umzusetzen, setzten die Filmemacher nicht nur auf das Drehen in Original-Kulisse im Bezirk Neukölln, sondern auch auf eine zuvor groß angelegte Casting-Phase. Über 5.000 Jugendliche hatten sich selbst beworben oder wurden von Streetcastern entdeckt und durch mehrere Runden geschickt - die Arbeit wurde belohnt. Am Ende setzten sich Levy Rico Arcos (Lukas), Vincent Wiemer (Julius), Rafael Luis Klein-Heßling (Gino) und Aaron Maldonado-Morales (Sanchez) durch, die allesamt zum ersten Mal vor der Kamera stehen und gerade deshalb ihr überzeugendes Kinodebüt geben. Glaubwürdig verkörpern sie ihre Rollen, von der jede vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen, besonders in der Familie, steht. Dank der erweiterten Filmperspektive, die nicht mehr wie im Buch nur den Blickwinkel der Hauptfigur Lukas zeigt, bekommen die Figuren der befreundeten Jungen mehr Raum, was die Intensivität des Films steigert.
Jörg Hartmann (53) als Lukas' Vater und Franziska Wulf (geb. 1984) als Sanchez' Mutter zeigen auch eindrucksvoll die Elternperspektive. Die Erwachsenen bewegen sich zwischen finanziellen Nöten und der Tatsache, dass sie hilflos hinnehmen müssen, in welche harte Welt sie ihre Kinder täglich schicken, reagieren mit Unverständnis oder für die Jugendlichen nutzlos erscheinenden Ratschlägen à la "der Klügere gibt nach".
Das Bild der erbarmungslosen Hauptstadt mit seinen verschiedensten Charakteren vervollständigen vor Ort besetzte Komparsen und zahlreiche Hiphop-Stars wie Luvre47, der als Lukas' Bruder Marco überzeugt und gleichzeitig den passenden Titelsong zum Film beisteuerte. Zudem sind Lucio101, Juju, Olexesh, NNOC oder Azzi Memo mit von der Partie sowie ein besonderer Gast in einer dunklen Wohnung, die zu einer Techno-Höhle mutiert ist ...
Reise in die Vergangenheit
Lobrecht, der selbst in Gropiusstadt aufwuchs, im Buch als auch im Film aber bewusst offenlässt, inwiefern die Handlung autobiografisch geprägt ist, holte sich mit David Wnendt (geb. 1977) einen erfahrenen Drehbuchautor für Buchverfilmungen ("Feuchtgebiete", "Er ist wieder da") an seine Seite. Gemeinsam mit ihm lässt er die Orte, die er laut eigener Aussage beim Schreiben des Buches aus eigener Erfahrung genau vor sich sehen konnte, nun filmisch Wirklichkeit werden, allen voran die Beton-Kolosse der Gropiusstadt, die in das warme Licht der sengenden Sommerhitze getaucht sind. Auch der rohe Jugendslang, der bereits das Buch prägte, ist essenziell für den Film. Die Gewalt, die rund um die Großwohnsiedlung herrscht, wird schonungslos, aber nicht effekthascherisch gezeigt.
Detailreich wird zudem die Welt Anfang der 2000er ins Bild gebracht. Sei es MP3- oder CD-Player, die Deutsch-Rap ertönen lassen, die Cherry Coke, die über die Ladentheke geht oder Handys, die reihenweise SMS versenden oder ohne Akkus und Guthaben zum nutzlosen Gegenstand werden - sofort fühlt man sich wohlig zurückversetzt in die Zeit ohne TikTok und Co. Trotz aller dargestellten Probleme hat der Film weitere leichte Momente. Die gemeinsame Zeit, in der die Jugendlichen ihre Probleme vergessen, herumalbern und Gespräche über Mädchen führen, lässt die tiefe Freundschaft spüren, die sie auch durch schwere Zeiten bringt und im oft tristen Gropiusstadt-Alltag ein Hoffnungsschimmer ist.
Fazit
Die "Sonne und Beton"-Verfilmung ist längst nicht nur den Lesern der Buchvorlage vorbehalten. Lobrecht und Wnendt ist es gelungen, die Romangeschichte für den Film zu verdichten und um neue Aspekte zu erweitern. Die debütierenden Hauptdarsteller bringen die vier Jungs mit ihren Ängsten, ihrer Wut, den Sorgen und ihrer tapferen Alltagsbewältigung wunderbar auf die Leinwand. Das Drama, das neben den ernsten Momenten auch viel Witz bereithält, sorgt für ein vielschichtiges Kinoerlebnis und leistet mit seinem erfrischend anderen Ton einen wohltuenden Beitrag für die Vielfalt in der deutschen Kinolandschaft.