Mann erzählt in ARD-Doku von Gewalt gegen seine Frau: "Ich schäme mich"
265.942 Menschen wurden im Jahr 2024 Opfer von häuslicher Gewalt - ein neuer Höchststand in Deutschland. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen. Besonders betroffen sind einem Bericht des Bundeskriminalamts nach weiterhin Frauen: 73 Prozent der Opfer sind weiblich, während die Täter in rund drei Viertel der Fälle männlich waren. Auch bei anderen Taten, die sich spezifisch gegen Frauen richten, verzeichnete das BKA in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Anstieg.
"Die Täter sind eigentlich in allen Schichten der Gesellschaft zu finden", erklärt der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß dazu in der neuen ARD-Doku "Toxische Männlichkeit. Woher kommt die Wut auf Frauen?". Dass ein Mann einer Frau gegenüber gewalttätig werde, habe demnach nichts "mit einem geringeren Bildungsabschluss oder einer schlechteren ökonomischen Situation" zu tun. "Und es ist kein Problem von Personen mit Migrationshintergrund", betont Voß, "sondern es ist insgesamt ein Problem der deutschen Gesellschaft."
"Ich habe sie ja richtig bedroht"
Im Film zu Wort kommt auch ein Mann, der selbst zum Täter wurde. Alex lebt in Bayern, ist 50 Jahre alt und verheiratet. "Ich war da richtig sauer", erinnert er sich an den Moment, als er seine Frau während eines Streits "in der Halsgegend" gepackt und "an die Wand gedrückt" habe. "Sie ist dann auch gegangen, direkt danach. Ich habe sie ja richtig bedroht." Sichtbare körperliche Schäden habe er nicht hinterlassen, sagt Alex: "Aber die Angst - die ist halt da."
Nach 18 Jahren Ehe zog seine Frau mit der gemeinsamen Tochter aus. Zudem erstattete sie Anzeige. In einer Gruppe für Täter erkannte Alex nach der Gerichtsverhandlung schließlich sein Problem. "Wenn mir das zu belastend wurde, was sie mir vorgeworfen hat, oder ich mich zu hilflos fühlte, konnte ich das Problem nicht mir ihr lösen. Ich habe mich eingeigelt." Stattdessen hätte er "kommunizieren müssen, was in mir gerade vorgeht", weiß er inzwischen. "Ich habe das nie gelernt, wie ich meine Gefühle ausdrücke." Bis heute sei er "enttäuscht" von sich: "Ich schäme mich, dass mir das passiert ist."
Wie ihm sei es auch vielen anderen in seiner Gruppe ergangen, sagt Alex. Dass Männer eine biologische Veranlagung dazu haben, gewalttätig zu werden, lässt sich dem Psychologen Oliver Schultheiss zufolge allerdings nicht nachweisen. So spiele laut einer Studie nicht - wie häufig angenommen - Testosteron eine Rolle bei gewalttätigem Verhalten, sondern ein Mangel des Stresshormons Cortisol. "Wenn mit meiner Stressreaktion etwas im Argen liegt, dann bin ich eher gewaltbereit", erklärt Schultheiss.
Ist Testosteron schuld?
In einem Experiment konnte der Forscher der Universität Erlangen-Nürnberg feststellen, dass der Cortisolspiegel bei aggressiven Männern in Stresssituationen niedriger ist. Hormone seien jedoch "nur der Mittler, der Botschafter", betont Schultheiss: "Das, was die Botschaft auslöst, ist das, was in meiner Umwelt passiert, in welcher Familie ich aufwachse, welche Erfahrungen ich mache."
Das bestätigt auch Heinz-Jürgen Voß. "Im Moment sind die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland so angelegt, dass die Gewalt befördert wird. Und dass Menschen in Situationen gehalten werden, dass sie Gewalt weiterhin ertragen müssen", kritisiert er. Es gebe nicht zur "viel zu wenig Frauenhäuser", sondern auch zu wenig Unterstützung - für die Opfer, aber auch für potenzielle Täter.
Zu sehen gibt es die gesamte ARD-Wissens-Dokumentation "Toxische Männlichkeit. Woher kommt die Wut auf Frauen?" in der ARD-Mediathek.