Können wir mehrere Menschen gleichzeitig lieben?
Für eine glückliche Beziehung müssen die Partner ihre Balance zwischen Anpassung und Selbstbehauptung finden, erklärt Bestsellerautorin Stefanie Stahl.
Rund um den Valentinstag dreht sich wieder alles um Liebe und Beziehungen. Aber was macht eine glückliche Partnerschaft aus und wie bleibt die Leidenschaft in einer langen Beziehung erhalten? Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl (54, "Jeder ist beziehungsfähig") gibt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news ein paar Tipps.
Die Sehnsucht nach der einen großen, glücklichen Liebe im Leben scheint auch heutzutage allgegenwärtig zu sein.
Stefanie Stahl: Ja, diese Sehnsucht hat es immer gegeben. Der Bindungswunsch ist in uns Menschen genetisch eingraviert. Die Bindungsfähigkeit hat sich auch nicht verändert über die Generationen - wenn dann eher positiv. Allerdings haben sich die gesellschaftlichen Bedingungen gelockert. So sind auch die vielen Singles zu erklären. Der Bindungswunsch ist allerdings von Geburt an in jedem angelegt, da wir ihn für die Fortpflanzung brauchen. Menschenkinder brauchen nun mal lange, bis sie alleine leben können.
Vermeintliche Liebestrends wie Polyamorie - also mehr als einen Menschen zur selben Zeit zu lieben - werden sich also nie durchsetzen?
Stefanie Stahl: Ich habe Zweifel an dem Konzept. Ich habe mich mit Aussagen dieser Menschen auseinandergesetzt und hatte häufig den Eindruck, dass sich dahinter Angst vor Nähe verbirgt.
In "Jeder ist beziehungsfähig" schreiben Sie, dass es in Beziehungen wichtig ist, sich anzupassen, sich aber auch Freiheit zu erhalten. Warum gelingt es vielen Menschen nicht, eine glückliche Partnerschaft zu bewahren?
Stefanie Stahl: Viele Paare schaffen das ganz gut. Einer der wesentlichen Gründe, wenn es nicht klappt, ist, dass sich die betroffenen Menschen nicht anpassen, nachgeben, Kompromisse eingehen, zuhören und einfühlen können. Auf der anderen Seite müssen wir in einer Beziehung auch durchsetzungsfähig und autonom sein, um für die eigenen Wünsche einzutreten, auch wenn es dem Partner gerade nicht passt. Für eine gute Partnerschaft benötigen wir also sowohl Anpassungsfähigkeit als auch Durchsetzungsvermögen.
Und das ist das Grundgerüst für eine glückliche Beziehung?
Stefanie Stahl: Diese Balance zwischen Anpassungsfähigkeit und Autonomie fällt einigen Menschen nicht leicht. Sie bekommen das Gefühl, sie müssten sich zu sehr anpassen und fürchten, sich selbst zu verlieren, andere Leute sind wiederum zu ichbezogen, die haben dann natürlich auch Probleme mit Beziehungen. Wenn die Partner aber Interessen und Werte teilen, kulturelle Gemeinsamkeiten haben und wenn dann noch eine gute Balance zwischen Bindung und Autonomie besteht, stehen die Chancen sehr gut, dass es auch mit der Beziehung klappt.
Einigen Paaren macht auch der Alltagstrott einen Strich durch die Rechnung...
Stefanie Stahl: Nach der ersten Verliebtheit lassen die romantischen und erotischen Gefühle nach. Es ist eine Illusion, dass das ewig wie in der verliebten Anfangszeit bleiben könnte. Wer wenig Raum für Leidenschaft hat, kann sie sich aber schaffen, Appetit kommt manchmal auch beim Essen. Wenn sich Partner die Zeit füreinander nehmen, kann sich daraus etwas Schönes entwickeln. In langen Partnerschaften bringt es nichts, auf den leidenschaftlichen Moment zu warten, der kommt vielleicht nie. Es gibt Paare, die verabreden sich einmal die Woche im Bett, und das funktioniert dann gut.
Tendieren Männer eher dazu, fremdzugehen?
Stefanie Stahl: Das gilt für beide Geschlechter. Um die Kinder gemeinsam aufziehen zu können, sind Menschen von Natur aus monogam veranlagt. Mit gelegentlichen Seitensprüngen. Ob man dem nachgeht, ist eine Frage der persönlichen Entscheidung. Dass Männer eher fremdgehen, ist genauso ein Mythos wie, dass in längeren Beziehungen immer die Frauen die Lust verlieren. Das passiert auch bei Männern. In längeren Partnerschaften ist eben einfach nicht mehr die große Leidenschaft vorhanden, die muss gefördert werden.
Die Kurzgeschichte "Cat Person" aus dem "New Yorker" wurde zum Viralhit. Nach einem schrecklichen Date geht eine junge Frau mit einem Mann ins Bett, obwohl sie ihn nicht besonders attraktiv findet. Sie will nicht als Zicke dastehen und ihn zurückweisen. Am Ende hat sie - sehr schlechten - Sex mit ihm. Ist das typisch Frau?
Stefanie Stahl: 50 Prozent der Menschen sind nicht ganz in dieser inneren Balance zwischen Autonomie und Bindung. Zwei Drittel der Frauen sind eher überangepasst, das ist also eher ein typisch weibliches Phänomen. Es gibt eine Studie, die besagt, dass die meisten Frauen bereuen, dass sie etwas gemacht haben. Die meisten Männer dagegen bereuen, dass sie etwas nicht gemacht haben und Chancen verpasst haben.