23 Rekorde auf einen Streich

Der Rimac Nevera hat in Papenburg fast zwei Dutzend neue Bestmarken aufgestellt. Damit steht fest: Keiner beschleunigt und bremst so vehement wie das Elektro-Hypercar. Bei einer der Bestmarken herrscht jedoch Verwirrung.
Eine Gesamtleistung von 1.914 PS, ein maximales Drehmoment von 2.360 Newtonmetern: Wozu der vollelektrische und aus vier Motoren bestehende Antrieb des Rimac Nevera in der Lage ist, deutete Firmenchef Mate Rimac bereits während der Prototypen-Entwicklung an. Auf jenem ungenutzten Flugplatz, auf dem er vor über zehn Jahren mit seinem giftgrünen, auf Elektroantrieb umgebauten BMW 3er E30 bereits Beschleunigungsrekorde aufstellte, absolvierte er mit dem damals noch C-Two genannten Auto die Viertelmeile in 8,94 Sekunden.
Nachdem die Serienversion debütierte, wiederholte der Nevera die Übung in den USA auf dem Famoso Raceway – und verbesserte sich eklatant: In den Händen von Brooks Weiselblat, der den Nevera für "Dragtimes" testete, absolvierte das Elektro-Hypercar die Übung in nur 8,582 Sekunden. Falls die einschlägigen im Internet verfügbaren Bestenlisten stimmten, bedeutete das zu diesem Zeitpunkt einen souveränen Weltrekord für Serienautos.
Die Zusammenfassung der Tests sowie Bilder des E-Monsters finden Sie auch in unserer Bildershow.
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Rimac schlägt in Papenburg zurück
In der Zwischenzeit machen dem Kroaten andere Autos diesen Bestwert allerdings streitig: Automobili Pininfarina will die 402,3 Meter lange Strecke mit dem technisch eng verwandten Battista im Februar 2023 in 8,55 Sekunden geschafft haben. Per Video dokumentiert, aber nicht offiziell erfasst, wurde eine Viertelmeilen-Rekordfahrt des McMurtry Spéirling, der die Übung gar in nur 7,97 Sekunden schaffte.
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Doch zurück zum Nevera. Wie schnell das elektrische Hypercar bei seiner Rekordfahrt in der Kategorie "Null auf Hundert" war, verriet der Hersteller seinerzeit nicht. Als offizielle Werksangabe nennen die Kroaten 1,85 Sekunden. Auch einige andere Performance-Werte blieben bislang im Dunkeln beziehungsweise wurden von Rimac noch nicht verifiziert. Doch nun räumen die Kroaten mit allen Zweifeln auf und machen bekannt, dass der Nevera auf dem Automobil-Testgelände im norddeutschen Papenburg "unabhängig verifizierte" Bestwerte in gleich 23 Kategorien aufgestellt hat.
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Verwirrung um 0-60-mph-Rekord
Aus den fast zwei Dutzend errungenen Rekorden stechen einige heraus, allen voran die Beschleunigungswerte aus dem Stand (siehe Tabellen). Leichte Verwirrung gibt es dabei um die Zeit von 1,74 Sekunden von null auf 60 mph (96,6 km/h). Allerdings weniger wegen der Zeit selbst, sondern aufgrund der Frage, ob es sich dabei tatsächlich um einen Rekord für Serienautos handelt. Dodge reklamiert für sein V8-Muscle-Car Challenger Demon 170 nämlich eine Zeit von 1,66 Sekunden, was auch von der US-Motorsportbehörde National Hot Rod Association (NHRA) bestätigt wurde.
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Trotz offizieller Verifizierung gibt es Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Dodge-Bestwerts. So wurde bei der Rekordfahrt die Asphaltoberfläche behandelt, um den Hinterreifen mehr Grip zur Verfügung zu stellen. Außerdem absolvierte der Challenger Demon 170 seinen Versuch auf Dragster-Reifen von Mickey Thompson, die jedoch über eine Straßenzulassung verfügen. Rimac rüstete den Nevera mit etwas alltagstauglicheren Sport-Pneus des Typs Michelin Cup 2 R aus und weist explizit darauf hin, dass der Asphalt bei seinem Rekordversuchen nicht präpariert war.
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Anrollen statt stehender Start
Einen hundertprozentig stehenden Start gab es übrigens in beiden Fällen nicht. Bei der Zeitmessung wurden die ersten 30,5 Zentimeter (das entspricht der US-Einheit "ein Fuß") ignoriert. Die Fahrzeuge rollen also schon, wenn die Stoppuhr anfängt zu laufen. Allerdings ist dieses Prozedere üblich beim Ermitteln von Beschleunigungsrekorden. Zudem hat Rimac bei seinen Bestmarken in den Fußnoten offiziell auf diesen Umstand hingewiesen – im Gegensatz zu Dodge. Der US-Hersteller wirft wiederum Zweifel bei einem anderen Punkt auf: "Ich bin mir nicht sicher, ob ein Auto, das 2,2 Millionen Dollar kostet, ein 'Serienauto' ist", sagt Tim Kuniskis bei "Fox News Digital". Doch selbst der Dodge-Chef erkennt an, dass es "nichts gibt, das die unglaubliche Ingenieursleistung schmälert" – und sendet Glückwünsche nach Kroatien.
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Neben Elastizitätsprüfungen standen in Papenburg Beschleunigungen über diverse Distanzen auf dem Programm. Darunter die klassische, weiter oben bereits erwähnte Viertelmeile, die der Nevera nun in 8,25 beziehungsweise 8,26 Sekunden weggeatmet hat. Dass die Zeiten variieren, liegt an der unterschiedlichen Messtechnik zweier Spezialfirmen. Sowohl von Racelogic als auch von Dewesoft waren Techniker vor Ort, um die Rekordversuche zu überwachen und sicherzustellen, dass ihre Technik reibungslos funktioniert. Doch welche Zeit man auch heranzieht: Der McMurtry Spéirling bleibt mit seinem allerdings unverifizierten Wert etwas schneller.
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Neuer Rekord in der Königsdisziplin
Beim Bremsen geht der Rimac Nevera offensichtlich ähnlich vehement zu Werke wie beim Beschleunigen: Von Hundert auf Null benötigt er nicht einmal 30 Meter. Besonders interessant ist es, beides zu verbinden. Bei der Königsdisziplin, dem 0-400-0-Test, wird aus dem Stand auf 400 km/h beschleunigt und direkt danach wieder bis zum Stillstand verzögert. Wie von Firmenchef Mate Rimac vor wenigen Tagen angekündigt, holte der Nevera auch in dieser Disziplin einen Rekord. Mit 29,93 beziehungsweise 29,94 Sekunden pulverisierte er die Marke des Koenigsegg Regera. Der 1.500 PS starke Hybrid-Bolide schaffte das Kunststück im September 2019 in 31,49 Sekunden.
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Einen reinen Topspeed hat Rimac bei seiner jüngsten Rekordjagd nicht ermittelt. Wozu auch? Diesen Bestwert heimste der Nevera bereits Mitte November 2022 ein. Ebenfalls auf der Versuchsstrecke im niedersächsischen Papenburg erreichte der Nevera 412 km/h (siehe Video über diesem Absatz). Damit soll er das schnellste E-Auto der Welt sein. Die Rekordfahrt wurde, wie Rimac damals diffus formulierte, von einer "unabhängigen Seite" bestätigt. Die Höchstgeschwindigkeit wurde mit der Racelogic V-Box gemessen, einem hochpräzisen GPS-basierten Messgerät.
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Papenburg, ein gutes Pflaster
Für die damalige Rekordfahrt fiel die Wahl ebenfalls auf das Automotive-Testing-Gelände, da Rimac ein Oval mit ausreichend langen Geraden brauchte. Auf der Strecke in Papenburg gibt es zwei jeweils vier Kilometer lange Geraden, die Geschwindigkeiten von mehr als 400 km/h ermöglichen. Dafür musste Miro Zrnčević, leitender Test- und Entwicklungsfahrer, mit rund 250 km/h aus der Kurve auf die Gerade gehen. Übrigens: Kundinnen und Kunden kommen kaum in den Genuss der Rekord-Geschwindigkeit. Für sie ist der Nevera auf 352 km/h gedrosselt. Nur bei speziellen Kundenveranstaltungen – mit Unterstützung des Rimac-Teams und unter kontrollierten Bedingungen – dürfen sie die Höchstgeschwindigkeit von 412 km/h fahren.