Nicht alles nur auf 2022
Die Saison 2020 ist noch nicht zu Ende, da planen die Teams schon für 2021 und 2022. Der verkleinerte Unterboden für 2021 erforderte eine Programmanpassung. Momentan gehen alle von einer Rückkehr zur Normalität aus. Doch was passiert, wenn Corona nicht verschwindet?
Das war so alles nicht geplant. Die neuen Autos kommen nicht 2021, sondern 2022. Die 2020er Chassis müssen 2021 wiederverwendet werden. Doch es ist keine normale Entwicklungsarbeit. Einschnitte beim Unterboden verlangen nach mehr Korrekturen als gedacht. Die Homologation vieler Teile und reduzierte Windkanalzeit schränken die Bewegungsfreiheit der Ingenieure ein. Dazu kommt die von 175 auf 145 Millionen Dollar verringerte Budgetdeckelung. Die Teams müssen mit weniger Geld und weniger Leuten an zwei Fronten entwickeln.
Eigentlich bräuchte das 2022er Auto ein volles Jahr Entwicklungszeit. Zum ersten Mal haben die Ingenieure keine Referenz zur Vergangenheit. Für ein Groundeffect-Auto gelten andere Gesetzmäßigkeiten als für ein Fahrzeug mit flachem Unterboden. Gleichzeitig verschwinden sämtliche Strömungsgeneratoren rund um das Auto. "Wir reden hier von einem wirklichen Neubeginn", sagt McLaren-Technikchef James Key. Doch der ursprüngliche Fahrplan, ab dem 1. Januar alle Ressourcen auf das 2022er Modell zu werfen, wurde von den meisten wieder über Bord geworfen.
Eine Entwicklungsschleife reicht nicht
Die Regeln für den Unterboden der nächstjährigen Autos wurden erst spät finalisiert. Da waren viele Komponenten für die Präsentationsversionen der 2021er Autos bereits in der Produktionsschleife. Damit wird ein großes Upgrade über den Winter nicht reichen, den prognostizierten Abtriebsverlust voll aufzufangen. "Der Verlust an Abtrieb wäre signifikant, wenn man nicht gegensteuert. Das verlangt ziemlich viel Entwicklung für 2021", warnt Renault-Technikchef Marcin Budkowski.
Die Preisfrage ist: Reicht ein zweites Upgrade zum Saisonbeginn aus oder muss auch im Verlauf der Saison nachgebessert werden? "Ich fürchte, dass wir noch ein oder zwei kleine Schritte brauchen, wenn das Auto mal auf der Strecke fährt", meint Racing Point-Technikdirektor Andy Green.
Hier sprechen nicht nur die Ingenieure mit. So verlockend es ist, einen oder zwei Plätze 2021 für einen richtig guten Start in die Ära danach zu opfern, so gefährlich kann so eine Alles-oder-Nichts Devise auch sein. Die können sich eigentlich nur Teams leisten, die hinten stehen und nichts zu verlieren haben. Haas zum Beispiel. Da wurden selbst die Fahrer mit Blickrichtung 2022 gewählt. Alles Geld wird in die Technik und den Neustart investiert.
Keine Wahl für McLaren und Renault
McLaren oder Renault haben diese Wahl nicht. Sie müssen auch 2021 ein achtbares Ergebnis abliefern. Und sie wollen ihren Aufwärtstrend nicht brechen. "Ich sehe nicht, dass wir ab dem 1. Januar nur noch am 2022er Auto entwickeln. Wir sind genauso ambitioniert mit dem 2021er Auto", bekräftigt McLaren-Teamchef Andreas Seidl.
"Für uns ist wichtig, dass wir im nächsten Jahr wieder einen Schritt machen. Es gibt viele Dinge, in denen wir noch zulegen müssen, unabhängig vom Technischen Reglement oder der Fahrzeug-Generation. Abläufe, Prozesse, Werkzeuge, CFD, Korrelation. Wir müssen intern das Vertrauen aufbauen, dass wir da richtig unterwegs sind. Wir wollen jetzt keine Delle in diesen Prozess einbauen, sondern die Motivation hochhalten."
Während Racing Point, Alfa Romeo, Haas, Alpha Tauri und Williams mit ihren Mannschaften und ihren Budgets ohne Anpassungen weiterarbeiten können, zählen McLaren und Renault zu den Teams, die sich im nächsten Jahr einschränken müssen. Nicht ganz so dramatisch wie die drei Topteams, aber doch. 2019 fuhr McLaren mit einem Budget von 250 Millionen Dollar. Bei Renault waren es 212 Millionen. McLaren beschäftigte in den guten Zeiten noch 750 Mitarbeiter, Renault 710. Man geht davon aus, dass sich beide bei 650 bis 700 Angestellten einpendeln werden. Die Regeln geben den Teams, die schrumpfen müssen, ein halbes Jahr Zeit für diesen Prozess.
Sachkosten oder Personal streichen?
Wie der Verkleinerungsprozess exakt ablaufen wird, wissen die Teams noch selbst nicht so genau. Man könnte es "Learning by doing" nennen, wie Andreas Seidl erklärt: "Die Frage, die wir uns alle aktuell stellen, ist, wie teuer in Zukunft das Auto unter den Regularien ab 2022 sein wird. Aufgrund der großen Änderungen seitens des Technischen Reglements gibt es hier einige Unbekannte. Momentan drehen wir jedes Pfund zwei Mal um und fragen uns, ob diese oder jene Ausgabe nötig ist und Performance kosten wird. Was du auf der Sachkostenseite nicht einsparen kannst, musst du im Personal vornehmen. Und natürlich ist klar, dass wir das Ziel haben, möglichst all unsere Experten im Team zu halten. Du musst es dir aber leisten können und im Budgetdeckel unterbringen."
Kollege Cyril Abiteboul gibt sich zuversichtlich, auch wenn der neue Superstar Fernando Alonso mit seinem Gehalt den Posten der Ausnahmen nach oben treiben wird. Aber Daniel Ricciardo gibt es für McLaren auch nicht umsonst. "Der größte Kostenfaktor unter den Ausnahmen sind die Fahrergehälter", gibt Abiteboul zu.
"Mit unserem Fahrerwechsel wird dieser Posten sicher etwas beeinflusst. Auf der anderen Seite liegen wir bei der Bezahlung der teuersten Angestellten und dem Marketing auf einem sehr konservativen Niveau. Viele Leute wären außerdem überrascht, wie gering unsere Ausgaben in der Chassisabteilung sind, im Vergleich besser als bei Teams wie Alpha Tauri oder Alfa Romeo. Wir sind finanziell schon sehr effizient, müssen uns aber technisch noch steigern. Und da wird uns bei der Budgetdeckelung helfen."
McLaren überlebt zweites Krisenjahr
Momentan gehen alle Berechnungen davon aus, dass die Formel 1 im nächsten Jahr zur Normalität zurückkehrt und wieder wie vor der Corona-Krise rund eine Milliarde Dollar an die zehn Teams ausschütten kann. Liberty nominierte deshalb auch schon einmal 23 Rennen. Viele deuten den Optimismus dahingehend, dass die amerikanischen Besitzer voll auf Corona-Schnelltests und einen Impfstoff setzen. Andere wie Bernie Ecclestone sehen darin eher einen Hinweis, dass Liberty das Geschäft auf dem Markt anbieten will. "Die 23 Rennen sollen den Eindruck vermitteln, dass die Geschäfte wieder gut laufen werden. Würde ich auch so machen, wenn ich verkaufen wollte."
Ein zweites Corona-Jahr wäre für die Formel 1 eine Existenzkrise. Andreas Seidl glaubt trotzdem, dass man notfalls auch eine zweite Schmalspur-Saison überleben könnte. "Wenn ich unseren Geschäftsbericht von diesem Jahr anschaue, dann kommen wir wahrscheinlich mit einem blauen Auge davon. Wir haben weniger eingenommen, haben aber auch rigoros gespart. Hierfür waren drastische Maßnahmen wie Kurzarbeit oder temporäre Lohnkürzungen notwendig. Weniger Rennen und der Wegfall von Überseefracht haben natürlich auch geholfen. Es ist wahrscheinlich möglich, noch einmal eine solche Saison zu überleben, aber nur wenn man weiter den gleichen knallharten Kurs fährt. Dazu kommt die Budgetdeckelung, die auch bei uns das Budget reduziert."
Der Bayer an der Spitze von McLaren glaubt nicht einmal, dass man die neuen Autos um ein weiteres Jahr verschieben müsste. "Du hast deine Mannschaft und das Budgetlimit. Ob du damit das gleiche Auto weiterentwickelst oder gleich ein neues baust, macht nicht viel aus."