Formel 1 immer schwerer
Moderne Autos sind mehr als 100 Kilogramm schwerer als noch vor 20 Jahren. Trotzdem sind sie noch genauso schnell. Wir erklären, wie die Ingenieure das Wunder vollbracht haben.
Viele Formel 1-Fans schwärmen von den alten Zeiten. Weil die Motoren noch Lärm gemacht haben, weil es technisch mehr Vielfalt gab und die Autos cooler aussahen und aerodynamisch noch nicht so eingeschränkt wurden. Die meisten Streckenrekorde wurden 2004 aufgestellt. Danach stiegen die Rundenzeit.n wieder an. Erst in diesem Jahr sind die Formel 1-Autos wieder so schnell wie in ihren besten Tagen. Wenn auch nur auf eine Runde.
Die Trainingszeiten von heute sind ein kleines Wunder. Gut, von der Systemleistung her sind die V6-Turbos mit ihren Elektromaschinen wieder auf dem Stand der besten Zehnzylinder. Doch seit 2004 gab es zwei gravierende Aerodynamik-Reformen. Immer mit dem Ziel, den Abtrieb zu reduzieren. Auf dem Papier sollten den Autos heute im Vergleich zu 2004 rund 30 Prozent Anpressdruck fehlen.
102 Kilo Gewicht kosten 3,5 Sekunden
Viel schlimmer aber ist das Gewicht. In den letzten 20 Jahren stieg das Mindestgewicht der Fahrzeuge um 102 Kilogramm an. Wenn man im Schnitt einen Zeitfaktor von 0,35 Sekunden pro 10 Kilogramm einrechnet, müssten die Autos eigentlich um 3,5 Sekunden langsamer sein. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Kompliment für die Ingenieure.
Die Geschichte des Mindestgewichts beginnt 1961. In den ersten 12 Jahren der Formel 1 gab es keinerlei Vorschriften. Mit Einzug der 1,5 Liter-Ära wurde eine Untergrenze von 450 Kilogramm ohne Fahrer festgelegt. Sie stieg mit der Einführung der Dreiliter-Formel auf 500 Kilogramm an und kletterte dann stetig über 530 kg (1970-1971), 550 kg (1972), 575 kg (1973-1980) auf 585 Kilogramm im Jahr 1981.
Danach wurde das Mindestgewicht schrittweise wieder gesenkt. Auf 580 kg (1982), 540 kg (1983-1988) bis auf 505 Kilogramm in den Jahren 1990 bis 1994. Nach den Unfällen von Imola mussten die Teams mitten in der Saison 10 Kilogramm draufpacken.
1995 zählte erstmals der Fahrer zum Mindestgewicht
1995 wurde erstmals anders gemessen. Der Fahrer war Teil des Fahrzeuggewichts. Es ging mit 595 kg los, steigerte sich auf 600 und 605 kg. Damals hatte noch nicht jedes Auto eine TV-Kamera an Bord. Die 5 Kilogramm extra sollten alle Autos gleichstellen. Erst 2010 wurde das Mindestgewicht wieder angehoben. Diesmal auf 620 Kilogramm.
Die Teams akzeptierten ohne Murren. Wegen der immer umfangreicheren Sicherheitsmaßnahmen hatten ihre Autos so viel Speck angelegt, dass für Ballast nicht mehr viel übrig blieb. In den Jahren 2000 bis 2006 führten die Autos bis zu 80 Kilogramm hochverdichtetes Wolfram mit sich. Zieht man den Ballast und den Fahrer ab, dann waren die besten Autos Mitte der 2000er Jahre gerademal 460 Kilogramm schwer.
Zwischen 2011 und 2013 kletterte das Gewicht weiter. KERS kam dazu, die Zylon-Armierung rund ums Cockpit schlug sich auf der Waage nieder, genauso das Verbot von teuren Materialien wie MMC. Die 2 Kilogramm extra waren neuen Pirelli-Reifen geschuldet.
Mit dem Hybridzeitalter wurden die Formel 1-Autos dann endgültig zu Schwergewichten. Nach 691 Kilogramm im ersten Jahr sind wir mittlerweile bei stolzen 702 Kilogramm angelangt. Ungefähr so schwer wie ein IndyCar-Renner ohne Fahrer. Setzen wir das in Bezug zu der Zeit als noch ohne Fahrer gemessen wurden, dann wiegt ein Formel 1-Auto heute nackt rund 635 Kilogramm. Also 135 Kilogramm mehr als beispielsweise 1989.
Zweitschnellste Zeit trotz Übergewicht
Normalerweise hätten die Autos immer langsamer werden müssen, doch die Konstrukteure von Chassis und Motor hielten tapfer dagegen. Ein guter Vergleichsmaßstab ist Melbourne, das 1996 im GP-Kalender debütierte. Mit 600 Kilogramm schweren Autos. Und einer Pole Position von 1.32,371 Minuten. Schon ein Jahr später ging es 3 Sekunden schneller.
Die beste Zeit in der 605 Kilogramm-Epoche stammt aus dem Jahr 2004. Michael Schumacher stand mit 1.24,408 Minuten auf dem besten Startplatz. 2009 stieg die Rundenzeit nach der großen Aerodynamikreform auf 1.25,229 Minuten an. Dann wurden die Autos immer schwerer und trotzdem schneller.
Sebastian Vettels Pole Position von 2010 war mit 20 Kilogramm mehr an Bord und ohne KERS ein neuer Rekord. 1.23,919 Minuten. Ein Jahr später unterbot der Red Bull-Pilot seine eigene Zeit um 4 Zehntel. KERS war wieder dabei, doch der Red Bull wog weitere 20 Kilogramm mehr.
Mit Beginn der Hybrid-Ära brachen die Rundenzeit.n zunächst ein. Kein Wunder. 15 Prozent weniger Abtrieb, 50 Kilogramm mehr Masse in Bewegung, ungefähr so viel Systemleistung wie ein V8 mit KERS.
Inzwischen geht der Trend wieder zu schnelleren Rundenzeit.n. Die Aerodynamiker haben die Verluste kompensiert, und die Systemleistung liegt deutlich über 900 PS. Lewis Hamilton fehlten bei seiner Pole Position in diesem Jahr mit 1.23,837 Minuten trotz stattlicher 702 Kilogramm nur noch 0,308 Sekunden zum Rekord.
Fahrer kritisieren Gewichtsanstieg
Im nächsten Jahr werden die Motoren noch mehr Leistung produzieren, die Autos 25 Prozent mehr Abtrieb produzieren und die Reifen vorne 5,5 und hinten um 7,5 Zentimeter breiter sein. Andererseits steigt das Gewicht auf mindestens 725 Kilogramm. Das wäre 125 Kilogramm mehr als vor 20 Jahren. Es könnte noch das ein oder andere Kilo dazukommen, je nachdem wie schwer der Cockpitschutz wird. Rein rechnerisch kostet der Gewichtsanstieg aber auf jeden Fall 0,8 Sekunden an Rundenzeit.
Die Fahrer stören sich nicht nur an dem immer höheren Gewicht und dem Einfluss auf die Rundenzeit. Mehr Masse bedeutend weniger Fahrspaß. "Die Autos fühlen sich bei schnellen Richtungswechseln viel träger als früher an. Das ist nicht mehr die Formel 1 wie ich sie noch kennengelernt habe. Als ich anfing, da waren die Autos noch leicht und das Fahren ein Ritt auf der Rasierklinge", klagt zum Beispiel Lewis Hamilton.