Grand Prix Tagebuch Australien 2016

In ihren Grand Prix Tagebüchern liefern die auto motor und sport Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 1 berichtet Tobias Grüner, was hinter den Kulissen beim GP Australien abgegangen ist.
Es ist jedes Jahr das gleiche. Kaum ist der Flieger in Melbourne gelandet, ist man auch schon wieder urlaubsreif. Der Stress der beiden Testwochen in Barcelona stecken einem noch in den Knochen. Genau wie der anstrengende Flug um die halbe Welt. Und der Anblick der vielen gutgelaunten Rucksack-Touristen in der Immigration-Schlange kann die Laune auch nicht heben.
Müde und hungrig schlurfe ich mit meinem Laptop-Trolley durch das Labyrinth an Absperrbändern. Die Badehose musste wieder einmal zuhause bleiben. Stattdessen versuche ich verzweifelt die Auslands-SIM-Karte in meinem mobilen Hotspot in Gang zu bekommen. Man muss schließlich wissen, was in der Formel 1-Welt passiert ist, während man 26 Stunden in der Luft verbracht hat. Doch egal, was ich an den Einstellungen ändere – der kleine Kasten will sich einfach nicht mit dem Internet verbinden. Wie mir der Provider später mitteilen wird, hat irgendjemand beim Bestellen der Karte vergessen, ein Freischalt-Datum anzugeben.
Kollege Schmidt kennt solche Probleme nicht. Er ist wohl der einzige Reporter im Fahrerlager, der kein Handy besitzt. Mit nicht freigeschalteten SIM-Karten muss er sich nicht rumschlagen. Auch nicht mit den drei Mailbox-Nachrichten, die kurz nach der Landung schon wieder auf meinem Display aufblinken. Beim Gedanken daran, dass diese Saison mit 21 Rennen so lang sein wird wie noch nie, beschließe kurzerhand, bis zum nächsten Morgen einfach offline zu bleiben.
12 Stunden Schlaf später wartet am Mittwoch schon Kollege Lennart Wermke von der Bild-Zeitung in der Hotel-Lobby auf mich. Während er mit atemberaubender Geschwindigkeit eine Whatsapp-Nachricht nach der anderen in sein Handy hackt, erzählt er mir von seiner morgendlichen Jogging-Einheit an der Strandpromenade. Er ist einer dieser hyperaktiven Menschen, die immer 5 Dinge gleichzeitig machen müssen. Vielleicht ist das für den leidgeplagten Hannover 96-Fan auch einfach nur eine spezielle Art der Frustbewältigung.
Mich stresst es schon, wenn ich ihm nur dabei zusehe. Doch das gemütliche Tempo der alten Melbourner Straßenbahn auf dem Weg zur Akkreditierungsstelle bringt den Puls gleich wieder runter. Langsam beginne ich auch die sommerlichen Temperaturen zu genießen. Und beim Anblick der vielen Palmen kommt sogar etwas wie Urlaubsfeeling auf. Der Jetlag und das anstrengende Formel 1-Programm kommen einem plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor.
Das Abholen der Fahrerlager-Karte geht schneller als gedacht. Während die TV-Kollegen ewig in der Schlange warten, ist am Schalter mit den Pässen für die schreibende Zunft nix los. Nur wenige Zeitungen und Magazine leisten sich heute noch den Luxus noch, Reporter um die halbe Welt zu schicken um Informationen aus erster Hand zu bekommen.
Im Pressesaal ist alles wie immer. Unser treuer Wegbegleiter Roger Benoit vom Schweizer Blick hat wie üblich die Plätze in der vorletzten Reihe reserviert – mit bestem Blick auf die Boxengasse und die Monitore. Auch Kollege Schmidt schon auf mich. Vor seiner 38. Formel 1-Saison ist er clevererweise schon ein paar Tage früher nach Down Under gereist, um Freunde in Sydney zu treffen und sich zu akklimatisieren. Notiz an mich selbst: Das muss ich nächstes Jahr auch so machen.
Schmiddi ist schon wieder voll im Formel 1-Modus und schimpft, dass noch niemand im Fahrerlager anzutreffen ist, der ihm eine Story in den Notizblock diktiert. „Es gibt keine Geschichten“, klagt er mir sein Leid. Mir ist das egal. Meine Geschichten warten in der Boxengasse. Nach dem Versteckspiel bei den Testfahrten sind die Garagen nun nicht mehr verschlossen. Zumindest nicht alle. Ich weiß, dass viele unserer Leser immer schon gespannt auf die Mittwochs-Galerie aus Melbourne warten. Endlich gibt es Detail-Fotos von den noch halb-nackten Autos.
Die Technik interessiert Kollege Wermke von der Bild-Zeitung dagegen nur wenig. Wichtiger ist für die Boulevard-Abteilung die Frage, auf welchen Namen Sebastian Vettel seinen 2016er Ferrari taufen wird. Normalerweise findet die Wahl immer Mittwochabends vor dem Australien-Grand-Prix in „Vlados Steakhouse“ statt. Auch wir feiern den Start in die neue Saison traditionell mit einem Dinner in dem kultigen Fleisch-Tempel. Doch von Vettel war dieses Mal nichts zu sehen.
Wie wir am nächsten Tag erfahren, wurde das Treffen mit den Mechanikern ausnahmsweise schon einen Tag früher abgehalten. Die Entscheidung sollte eigentlich geheim bleiben. Ferrari fand es offenbar nicht passend, dass Vettel seiner roten Göttin neue Namen verpasst. Doch einer der italienischen Schrauber verriet dann doch aus Versehen auf seiner Facebook-Seite, dass Vettels SF16-T wie die italienisch Pizza ohne alles heißt – Margherita. Damit war das Geheimnis gelüftet und die Boulevard-Kollegen glücklich.
Kein großes Geheimnis war dagegen die neue Renault-Lackierung. Schon während der Testfahrten hatte sich im Fahrerlager herumgesprochen, dass das neuformierte Werksteam 2016 komplett in Gelb unterwegs sein wird. Beim Blick durch die Schlitze in den Stellwänden vor der Garage konnte man schon einige Stunden vor der feierlichen Enthüllung erkennen, das sich um ein mattes Gelb handelte. Nur die ungewöhnliche Präsentation des Showcars auf einem Surfbrett sorgte dann bei der Zeremonie am frühen Abend für einige erstaunte Blicke.
Auch Red Bull konnte uns einen Tag später nicht überraschen. Das Team hatte geheimnisvoll zur Verkündung einer neuen Partnerschaft eingeladen. Doch schon lange vorher war durchgesickert, dass es sich um eine Kooperation mit Aston Martin handelte. Richtig hoch war die Geheimhaltungsstufe aber nicht. Sonst hätte man die Piloten am Donnerstag nicht in den britischen Sportwagen zur Strecke chauffiert. Dass man die neuen Werbelogos von Aston Martin auf dem F1-Renner bei der technischen Abnahme noch mühsam abklebte, wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen.
Der größte Aufreger des ersten Rennwochenendes aus sportlicher Sicht war die Einführung des neuen K.O.-Qualifyings. Ich darf hier verraten, dass Kollege Schmidt die Idee bei der Vorstellung gar nicht so schlecht fand. Doch nach dem ersten Praxislauf war klar: Es funktioniert nicht. Die Kommandostände schickten ihre Fahrer zum falschen Zeitpunkt auf die Strecke. Richtig Spannung wollte nicht aufkommen. Besonders der fehlende Showdown am Ende des Q3 sorgte bei den Fans für einen Aufschrei.
Als die Uhr in den letzten Minuten des Qualifyings ohne Auto auf der Bahn auslief, gab es von der Haupttribüne gegenüber der Boxen ein großes Pfeifkonzert, das man bis ins Pressezentrum hörte. Samstagabend entschuldigten sich die Teamchefs für die Verschlimmbesserung der Regeln. In einem kurzfristig anberaumten Meeting am Sonntag vor dem Rennen entschieden die Verantwortlichen, schon beim zweiten Rennen in Bahrain zum alten Format zurückzukehren. Es sollte anders kommen. Aber das wussten wir da noch nicht.
Im Rennen war die Quali-Katastrophe schnell wieder vergessen. Als Fernando Alonso mit seinem McLaren kopfüber durchs Kiesbett flog, hielten auch wir Journalisten im Pressesaal den Atem an. Zum Glück blieb der Spanier – bis auf eine angeknackste Rippe – unverletzt. Weil unsere Fotografen schnell spektakuläre Bilder des Abflugs lieferten, entschied ich noch während des Rennens eine Unfall-Galerie anzulegen und erste Infos in einer Story zu sammeln. Zum Glück entschied Charlie Whiting, den Grand Prix für einige Minuten zu unterbrechen.
Der Unfall bestimmte auch die Taktik. Romain Grosjean hatte im Gegensatz zur Konkurrenz nicht Reifen gewechselt als das Safety-Car rauskam, sondern erst in der Unterbrechung. Der Stopp ohne Zeitverlust spülte ihn bis auf Rang 6 nach vorne. Einige vermuteten einen genialen Poker von Strategie-Expertin Ruth Buscombe, die mittlerweile in Diensten von Sauber ist. Doch Teamchef Guenther Steiner verriet mir nach dem Rennen, dass es einfach nur Glück war. Teambesitzer Gene Haas war es egal. Genau wie den vielen amerikanischen F1-Fans, die ihrer Freude in den sozialen Netzwerken freien Lauf ließen.
Bei Ferrari hatte man mit der Strategie ein nicht ganz so glückliches Händchen. Sebastian Vettel war am Start an den Silberpfeilen vorbei in Führung gegangen, musste sich mit einer Dreistopp-Taktik am Ende aber mit Rang 3 zufrieden geben. Bei Mercedes entschied man sich nur für zwei Reifenwechsel. Das brachte die Sternfahrer wieder vorbei am Ferrari. Strahlender Sieger war am Ende Nico Rosberg, der das teaminterne Duell mit dem besseren Start für sich entschieden hatte.
Über einen Mangel an guten Geschichten zum Rennen konnten wir uns nicht beklagen. Weil in Melbourne immer erst um 16 Uhr gestartet wird, kamen wir erst weit nach Mitternacht von der Strecke weg. Am Montag hieß es aber schon wieder früh aufstehen. Weil mein werter Kollege im Anschluss an das Rennen noch ein paar entspannte Tage in Australien verbrachte, mussten wir die unser allseits beliebtes Video-Format „Formel Schmidt“ direkt vor Ort drehen.
Wir entschieden uns als Place für eine Bank am Strand von St. Kilda. Kollege Wermke von der Bild-Zeitung unterstützte uns freundlicherweise als Kamera-Kind, während wir noch einmal die wichtigsten Themen des Rennens im Schnelldurchlauf analysierten. Wer im Video genau hinschaut, wird auch den Kollegen Benoit vom Schweizer Blick sehen, der sich einen Scherz erlaubte um im Hintergrund durchs Bild wanderte.
Hätten wir nur wenige Minuten länger geredet, wäre auch Fernando Alonso unfreiwillig zum Nebendarsteller geworden. Wir trauten unseren Augen kaum, als der Crash-Pilot vom Vortag leicht humpelnd über die Strandpromenade schlich. Unsere Boulevard-Kollegen machten direkt Fotos vom bandagierten Knie. Reporter Benoit entlockte dem Spanier sogar, dass er sich in der Nacht mit Rippenschmerzen herumgeplagt hatte.
Wird schon nicht so schlimm sein, dachte ich. Dass der zweifache Weltmeister beim folgenden Rennen in Bahrain zuschauen muss, hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht für möglich gehalten. Am Nachmittag ging es nach nicht einmal einer Woche am anderen Ende der Welt schon wieder in den Flieger in Richtung Deutschland. Das erste Rennen der längsten Saison aller Zeiten war geschafft.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch ein paar Bilder vom Geschehen hinter den Kulissen des GP Australien.