Norris wieder im Schlussspurt
Es waren zwei Rennen nach dem Geschmack von McLaren. Ein Podest, 39 WM-Punkte, und die Bestätigung, ein schnelles Rennauto gebaut zu haben. Das Team sieht im MCL35 eine gute Basis. Im Mittelfeld hat nur Racing Point ein schnelleres Paket.
Da staunte selbst Red Bull nicht schlecht. "Der McLaren ist ein wirklich sehr schnelles Auto auf eine Runde", räumte Sportchef Helmut Marko nach dem zweiten Grand Prix der Saison ein. Carlos Sainz hatte gerade Max Verstappen den Extra-Punkt für die schnellste Rennrunde geklaut. Es war ein Bonus, den sich das Team aus Woking bereits im ersten Rennen erarbeitet hatte. Und so zählt das Konto nicht 37, sondern 39 WM-Punkte.
So gut ist McLaren seit 2014 nicht mehr gestartet. Der Rennstall um Zak Brown und Andreas Seidl hat das Momentum aus der Vorsaison in das neue Jahr gerettet. Der MCL35 ist ein guter Schritt nach vorn. McLaren hat seine Entwicklungsziele erreicht. Im Winter wurde ein Bild des Mercedes W10 an die Bürowände genagelt. Dahin wollte McLaren kommen.
McLaren die vierte Kraft
Man hat es mit einer Eigenentwicklung geschafft, während die Konkurrenz von Racing Point den Silberpfeil kopierte. Doch McLaren will nicht klagen, sondern den pinken Gegner aus Silverstone über die Weiterentwicklung schlagen. "Ihr Auto ist ein ein Jahr alter Mercedes, der verdammt schnell ist. Und das von einem guten Team betrieben wird. Wir haben an beiden Rennwochenenden in der Steiermark vielversprechende Signale gesehen. Unser Auto war im Trockenen und im Regen schnell. Es sieht alles danach aus, dass unser Auto ein guter Startpunkt für die Saison ist", sagt der Teamchef.
Zum zweiten Rennen brachte McLaren das nächste Aerodynamik-Upgrade. Es war ein kleineres. Zum Beispiel veränderte das Technikteam um James Key den Unterboden vor den Hinterrädern. McLaren will über die dichtbepackte Saison hinweg kontinuierlich Weiterentwicklungen an den MCL35 schrauben.
In der Hackordnung liegt der Traditionsrennstall auf dem vierten Platz. Hinter Mercedes, Red Bull und Racing Point, das nicht wenige gar nicht mehr zum Mittelfeld zählen. Dahinter balgen sich McLaren und Renault. Und vermutlich Ferrari, wenn man sich nicht gegenseitig in die Kiste fährt. "Bislang sieht es so aus, dass wir und Renault uns in verschiedenen Kurventypen nicht viel nehmen", sagt Seidl.
Zwei Fahrer, die liefern
McLaren hat das viertschnellste Auto, ist aber Zweiter in der Weltmeisterschaft. Weil das Team bislang die richtigen taktischen Entscheidungen trifft. Und weil die Fahrer abliefern, wenn es darauf ankommt. Von Carlos Sainz war man das schon aus der Vorsaison gewohnt. Von Lando Norris weniger. Doch der 20-jährige Engländer ging nach seiner Rookie-Saison in Klausur und kam als gewachsener Rennfahrer zurück.
Norris, der schon vorher schnell war, hat vor allem am Rennsonntag zugelegt. "Er ist gereift und hat als Fahrer und Person den nächsten Schritt gemacht", stellt der Teamchef fest. "So ein Debütjahr zehrt an den Kräften. Fahren, Marketing, Medienarbeit: Das musst du erst einmal alles unter einen Hut bringen. Letztes Jahr hatte Lando ein paar Schwächephasen. Er hat das aufgearbeitet und sehr gut reflektiert. Er bereitet sich besser auf die Rennwochenenden vor, hat seine Zusammenarbeit mit den Ingenieuren verbessert und exekutiert im Rennen besser."
Sainz zauberte in der verregneten Qualifikation, Norris dafür hinten heraus im trockenen Rennen. Zu Rennbeginn ging die Reise für den Spanier erst einmal leicht rückwärts. Mit vollen Tanks scheinen die Piloten mehr zu straucheln als mit leerem Auto. Dass Valtteri Bottas und Alexander Albon vorbeiziehen würden, war aber einkalkuliert. Schließlich sitzen beide in schnelleren Autos.
Platztausch bei McLaren
"Carlos sollte die Pace managen und auf seine Reifen achten, damit wir lange fahren können", erklärt Seidl die Strategie. In der 32. Runde entschieden die McLaren-Strategen, die weichen Reifen gegen die Mediums einzutauschen. Sainz war auf dem Weg zu einem fünften Platz, doch der Schlagschrauber spielte nicht mit. Bis das linke Hinterrad arretiert war, vergingen mehr als sieben Sekunden.
Sainz musste erst einmal wieder an Romain Grosjean, Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi vorbei. Daniel Ricciardo, Lance Stroll und Sergio Perez schlüpften mit späteren Reifen.echseln durch. Im Verkehr und bei der Aufholjagd nahm der künftige Ferrari-Pilot die Reifen zu hart ran.
Plötzlich hatte der Teamkollege die besseren Karten. McLaren reagierte und wies einen Platztausch an. Es war im Interesse des Teams, dass Sainz den schnelleren Norris kampflos ziehen lässt. Der 20-Jährige hatte nach seinem späteren Stopp nach Rennhälfte die frischeren Reifen. Von Runde 44 bis 61 gewann er sieben Sekunden auf den Teamkollegen. "Wir haben Carlos heute im Stich gelassen und können uns nur entschuldigen. Der verpatzte Stopp hat sein Rennen ruiniert. Da haben wir unseren Job nicht richtig gemacht. Carlos kam im Verkehr zurück und bezahlte es", erklärte Seidl.
Achterbahnfahrt mit Happy end
Norris hingegen zündete den Turbo und wurde immer schneller. Und hier lässt sich ein schöner Vergleich mit dem Racing Point von Sergio Perez ziehen. Beide fuhren im zweiten Rennteil auf den Medium-Reifen. Beide wechselten fast zum identischen Zeitpunkt. Der Racing Point war von Runde 51 bis 55 im Schnitt drei bis fünf Zehntel schneller als der McLaren mit der Startnummer 4. Bis er auf Albon vor ihm auflief, an dem sich Perez erst die Zähne ausbiss und später den Frontflügel abriss.
Und so arbeitete sich Norris im Schlusssprint noch bis auf den fünften Platz vor. In der vorletzten Runde kassierte er Daniel Ricciardo, in der letzten die beiden Racing Point. Darunter Perez zwischen der vorletzten und letzten Kurve. Norris lief 0,917 Sekunden vor Perez und 0,983 Sekunden vor Stroll ins Ziel. "Unsere Pace mit Lando nach dem Reifen.echsel war besonders ermutigend", freute sich Seidl.
Der Teamchef resümiert den Rennsonntag: "Es war eine Achterbahnfahrt, die am Ende gut für uns ausging. Wir haben wieder viele Punkte gemacht und unsere Hauptkonkurrenten punktemäßig geschlagen." Im Fall von Ferrari und Renault trifft das zu. Racing Point aber holte einen Zähler mehr. Doch die pinke Mercedes-Kopie ist vom reinen Speed momentan schneller. Zumindest in Spielberg. Wie wird es am Hungaroring aussehen? "Schwer zu sagen. Wir brauchen verschiedene Strecken, um ein genaueres Bild zeichnen zu können."