Ein unverständliches Urteil

Ferrari hat beim Auto von Charles Leclerc die Benzinmenge falsch angegeben. Das ist kein Kavaliersdelikt. Trotzdem kamen die Italiener mit einer Geldstrafe davon. Formel-1-Experte Michael Schmidt sieht darin ein falsches Zeichen.
Eine Stunde vor dem Start zum letzten Grand Prix des Jahres bekamen die zehn Teams eine brisante Post. Die FIA teilte mit, dass Ferrari beim Auto mit der Startnummer 16 die falsche Benzinmenge angegeben hatte. Wie sich später herausstellte waren 6,6 Liter mehr im Tank als auf dem Spezifikationsblatt stand, das alle Teams für alle Autos einige Stunden vor Rennbeginn bei der Sportbehörde einreichen müssen.
Die FIA überprüft die Angaben stichprobenweise. Beim Check des Tankinhalts trifft es meistens die Topteams. Es ist eine aufwendige Prozedur, das Auto zwei Mal zu wiegen, einmal mit Sprit, einmal ohne und dazwischen Kraftstoff abzulassen und wieder einzufüllen. Es wäre in der Hektik der Startvorbereitung gar nicht die Zeit dazu, alle 20 Fahrzeuge zu überprüfen. Das wissen natürlich auch die Teams.
Falsche Angabe kein Kavaliersdelikt
Die Angabe der Benzinmenge ist wichtig für die FIA. So kann sie nach dem Rennen überprüfen, ob wirklich nicht mehr als die erlaubten 110 Kilogramm (149 Liter) vom Start bis zur Zielflagge verbraucht worden sind. In die Tanks wird vor dem Rennen natürlich mehr Benzin eingefüllt. Man muss ja die Motoren in der Garage warmlaufen lassen, die Fahrer legen mehrere Runden zurück, bis sie in der Startaufstellung ankommen. Dann gibt es da noch Formationsrunde, Ehrenrunde, Donuts.
Das alles zählt nicht zum Verbrauch. Es muss also abgezogen werden. Also braucht man einen Ausgangswert. Natürlich überprüft die FIA ständig die Benzindurchflussmenge und wiegt die Autos am Ende des Rennens noch einmal. Das alles könnte aber ohne Vorabmessung theoretisch mit einem Fehler behaftet sein, wenn ein Auto mit einem geheimen Zusatztank ausgerüstet wäre. Nicht möglich? Alles schon mal dagewesen. Denken Sie nur an BAR 2005.
Deshalb ist die falsche Angabe des Tankinhalts kein Kavaliersdelikt. Wer Böses unterstellt, könnte von einem Betrugsversuch sprechen. Es spielt auch keine Rolle, wenn man hinterher ehrlich war. Die erste Ungereimtheit in diesem Fall beginnt damit, dass die Sportkommissare erst dreieinhalb Stunden nach dem Rennen ein Urteil gefällt haben. Bitteschön, das Vergehen war eine Stunde vor dem Start bekannt. Da muss vor dem Rennen klar sein, ob das Auto disqualifiziert wird oder nicht. Man stelle sich vor, man hätte Leclerc im Nachhinein aus der Wertung genommen. Dann hätte der Monegasse für nichts sein Leben riskiert. Seine tolle Fahrt auf das Podium wäre nichts wert gewesen.
Geldstrafe tut keinem Team weh
FIA-Rennleiter Michael Masi redete sich damit heraus, dass man Ferrari die Gelegenheit geben wollte, sich zu dem Fall zu äußern. Die FIA rechtfertigte sich damit, dass Charles Leclerc am Ende nicht mehr Benzin verbraucht hat als es in den Regeln steht. Das ist irrelevant. Wenn ein Auto unter dem Gewichtslimit liegt, fragt auch keiner, ob es ein Versehen war oder Absicht. Das Auto ist illegal.
Es macht auch keinen Unterschied, ob hier eine Technikregel, das sportliche Reglement oder eine Technische Direktive verletzt wurde. Allein die Möglichkeit, dass ein Team die Spritdifferenz zu einem Betrug nutzen könnte, ist Grund genug, das Auto zu disqualifizieren. Die 50.000 Euro-Strafe ist das völlig falsche Zeichen. Da denkt sich jeder, dass er sich in Zukunft mit Geld freikaufen kann.
Der Denkfehler in der Argumentation der Sportkommissare ist folgender. Die Geldstrafe tut keinem Team weh. Erst Recht nicht, wenn es weiß, dass es ein Betrugsversuch ohne Risiko ist. Wenn ich vor dem Rennen darüber informiert werde, dass der tatsächliche Tankinhalt nicht mit dem angegebenen Wert übereinstimmt, dass also schon mal ein Anfangsverdacht vorliegt, dann wird kein Team so blöd sein, es im Rennen darauf ankommen zu lassen und mehr zu verbrauchen als gestattet.
Dieses Urteil ist eine Einladung für alle, die absichtlich das Reglement austricksen wollten. Bei der geringen Anzahl von Tankchecks vor dem Rennen hat man bei 20 Teilnehmern eine gute Chance damit durchzukommen. Und wenn nicht, zahle ich halt 50.000 Euro und bin dafür vorgewarnt. Das Strafmaß im Fall Leclerc steht in keinem Verhältnis zu dem, das Fahrer erwartet, wenn sie an einem Freitag die Wiegeprozedur ignorieren. Das bedeutet, ohne die Hoffnung auf Gnade: Start aus der Boxengasse. Und an einem Freitag geht es nun wirklich nur um die goldene Ananas.