Deshalb blieb der Fehler unentdeckt

3. Ferrari - Der Ferrari SF21 ist das beste Auto in langsamen Kurven. Das war den Konkurrenten schon vor Monte Carlo klar. Und die Trainingsläufe haben das bestätigt. Leclerc und Sainz lagen regelmäßig in den Top 3. Sainz träumte von der Pole Position, Leclerc realisierte sie. Mit einem anständigen Vorsprung.
Seit Montag ist Ferrari schlauer. Jetzt weiß man, was wirklich mit dem Ferrari von Charles Leclerc passiert ist und warum der Schaden nicht entdeckt wurde. Aus Zeitnot auch gar nicht entdeckt werden konnte.
Ferrari hat in Monte Carlo eine Pole Position und einen zweiten Platz im Rennen gewonnen, aber einen Sieg verschenkt. Wenn Charles Leclerc mit einem intakten Auto vom besten Startplatz losgefahren wäre, dann hätte er dieses Rennen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für sich entschieden. Ferrari hatte die Zutaten dazu: Ein schnelles Auto und einen moderaten Reifenverschleiß.
Und doch stand dem ersten Ferrari.Sieg seit Singapur 2019 ein kleines Detail im Weg. Bei der Analyse in der Fabrik wurde ein winziger Riss in der Radnabe entdeckt, dort wo die Antriebswelle ansetzt. Die Welle selbst war in Ordnung. Der Schaden wäre nur mit einer punktgenauen Untersuchung, zum Beispiel per Ultraschall, zu entdecken gewesen.
Aber keiner der Ingenieure konnte sich vorstellen, dass ausgerechnet dieses Bauteil etwas von dem Stoß abbekommen haben könnte, der beim seitlichen Aufprall in die Leitplanke an der zweiten Schwimmbad-Kurve in das gegenüberliegende Rad eingeleitet wurde.
Getriebewechsel hätte nicht geholfen
Zuerst stand natürlich das Getriebe im Verdacht. Es wäre nicht das erste Mal, dass bei einem solchen Unfall-Szenario die Ausgangswelle im Differential durch die Krafteinleitung über die rechte Antriebswelle einen Schlag bekommen hätte. Ein Wechsel hätte für Leclerc die Strafversetzung um fünf Startplätze bedeutet. Ferrari wollte das natürlich vermeiden und ließ das Getriebe nach allen Checks im Auto. Viele sprachen von einem zu großen Poker.
Doch mit Risiko hatte das nichts zu tun: "Selbst wenn wir das Getriebe gewechselt hätten, wäre der Schaden aufgetreten", beteuerte Teamchef Mattia Binotto. Was dann passierte, war eine unglückliche Verkettung von Umständen, deren Resultat nach bisherigen Erkenntnissen schwer zu vermeiden gewesen wäre, die Ferrari aber im Wiederholungsfall bestimmt nicht mehr passieren wird.
Nach Durchsicht des Autos, das am Montagvormittag in Maranello eintraf, und nach Überprüfung aller Protokolle war klar, dass der Zeitdruck und die Einmaligkeit des Schadens zu Leclercs Ausfall noch vor dem Start geführt hatten. Der Fahrer spürte es nach zwei Kilometern beim Beschleunigen aus der Loews-Kurve, als das kurveninnere Rad maximal entlastet war und dabei trotzdem Traktion übertragen musste.
Wechsel aus Vorsicht nicht erlaubt
Viele fragten sich nach dem Rennen, warum Ferrari den Schaden nicht entdeckt oder vorsichtshalber den ganzen Antrieb getauscht hat. Für Antriebswelle, Radträger und Nabe auf der linken Seite hätte Technik-Kommissar Jo Bauer nur die Erlaubnis gegeben, wenn Ferrari einwandfrei nachweisen hätte können, dass eines der Teile beschädigt war. Ein freiwilliger Wechsel hätte Leclerc automatisch ans Ende der Startaufstellung relegiert.
Ab dem Unfall spielte die Zeit gegen Ferrari. Das stark beschädigte Auto mit der Startnummer 16 kam am Samstag erst um 18.30 Uhr aus dem Parc Fermé und musste nur eine Stunde später wieder dorthin zurück. Ferrari nutzte die knapp bemessene Zeit für erste Getriebechecks mit dem Boroskop und mit Ölproben.
Dabei waren keine Schäden zu erkennen, was aber noch keine Entwarnung bedeutete. Dass Ferrari am Samstagabend kein Statement abgab, hatte nichts mit Verschleierung aus taktischen Überlegungen zu tun. Ein endgültiges Urteil konnte man sich erst dann erlauben, wenn Motor und Getriebe im Stand gelaufen waren.
Ferrari brauchte Luft für möglichen Getriebetausch
Die FIA gab Leclercs Auto am Sonntag erst wieder um 10 Uhr vormittags frei. Ab da arbeiteten die Mechaniker gegen die Uhr. Sie mussten die komplette rechte Seite des Autos reparieren und so früh fertig sein, dass nach dem Anlassen des Motors und dem Durchschalten des Getriebes immer noch genug Luft gewesen wäre, die Kraftübertragung zu tauschen, sollte es den geringsten Verdacht geben.
Um 12.15 Uhr gaben die Ingenieure schließlich grünes Licht. Das Auto war bereit, das Getriebe bestand alle Tests, beide Antriebswellen übertrugen das nötige Drehmoment.
Natürlich schaute man sich auch die linke Seite des Autos an. Doch in der Hektik war für eingehende Untersuchungen an den Stahl- und Aluminiumkomponenten des Antriebs einfach nicht mehr die nötige Zeit. Ferrari wird aus dem Missgeschick lernen. Für den Fall, dass noch einmal ein ähnlicher Unfall passiert, werden die Prozeduren so geändert, dass noch Zeit für genaue Materialchecks an den dem Einschlag abgewandten Komponenten bleibt. Es könnte schon in Baku wieder eintreten.