„Uns fehlt noch Motorleistung“
Ferrari hat die Wende geschafft. Der Rennstall kämpft wieder um den dritten Platz im Feld. Wir haben mit Teamchef Mattia Binotto über die Gründe für den Umschwung, seine Erwartungen, die ersten Monate unter dem Kostendeckel und die Zukunft der Motoren gesprochen.
Ferrari kämpft wieder um Platz drei. Hat Sie das überrascht, oder haben Sie diese Steigerung erwartet?
Binotto: Es war das, was ich mir erhofft hatte. Ob es mehr oder weniger ist als erwartet, ist müßig zu beantworten. Mir ist wichtig, dass wir uns wieder auf unsere Daten verlassen können. Die Korrelation zur Rennstrecke stimmt wieder. Wir haben unsere Schwachpunkte aus dem Vorjahr gut abgearbeitet: Der hohe Luftwiderstand des Autos, die Motorleistung, die aerodynamische Stabilität, den Abtrieb generell. Deshalb bin ich happy. Wir liegen für den Saisonstart im Plan.
In Bahrain betrug der Rückstand auf die Pole Position sieben, in Imola drei und in Portimao wieder sieben Zehntel. Liegt die Wahrheit in der Mitte?
Binotto: Max Verstappen hatte in seiner schnellsten Runde in Imola einen Fehler. Bei einer perfekten Runde wäre der Abstand wohl größer ausgefallen. Dann hängt es auch noch von der Charakteristik und der Länge der Strecke ab. Ich glaube, eine halbe Sekunde Rückstand auf die Pole Position ist ein guter Mittelwert.
Das Mittelfeld scheint in zwei Gruppen gefallen zu sein, mit Ferrari in der ersten. Glauben Sie, dass sich diese beiden Gruppen noch vermischen?
Binotto: Ich glaube nicht, dass es zwei Gruppen gibt. Die Abstände sind so gering, dass ein anderes Streckenlayout, ein kleiner Fehler, ein Fahrer, der nicht die ideale Runde hinbringt, dich gleich viele Positionen kosten kann. Ich erwarte in dieser Gruppe enge Kämpfe mit allen. Es ist nach nur drei von 23 Rennen zu früh zu sagen, ob es da eine bestimmte Hackordnung gibt. Wir konnten in Portimao zum Beispiel im Rennen kein Kapital aus unseren guten Rundenzeiten im Training schlagen. Wir hatten Probleme mit den Medium-Reifen. Die Gründe müssen wir noch analysieren. Barcelona könnte uns ein klareres Bild geben. Es ist die erste normale Strecke im Kalender und traditionell ein Kurs, auf dem man die Stärken und Schwächen der einzelnen Autos sieht. Danach ist eine gewisse Standortbestimmung möglich. Außerdem ist es das vierte Rennen. Ich glaube, dass die meisten Teams dann ihre Autos so weit verstehen, dass sie das Beste aus ihnen herausholen können.
Wie wichtig ist Ferrari der dritte Platz. Ist es nur eine symbolische Zahl, oder ist Ihnen wichtiger, einen Sprung vorwärts gemacht zu haben?
Binotto: Der dritte Platz ist nicht unser Hauptziel. Wichtiger ist, dass wir den Beweis antreten, uns in allen Bereich zu verbessern. Aerodynamik, Chassis, Motor, Balance, Boxenstopps. Wenn ich mir die ersten Rennen anschaue, dann waren wir bei den Boxenstopps bei den Besten. Nur zwei Teams haben alle Boxenstopps zusammengezählt einen Schnitt von unter drei Sekunden. Eines davon sind wir. Die Mentalität, dass jedes Detail zählt, ist wieder da. Wir sind in der Lage unsere Schwächen zu erkennen und sie abzustellen. Nichts geht von heute auf morgen, aber wir sind auf dem richtigen Weg zurück an die Spitze.
Wo sehen Sie noch Schwächen?
Binotto: Uns fehlt noch ein bisschen Motorleistung, obwohl wir da sehr gute Fortschritte gemacht haben. Sowohl in der Qualifikation und im Rennen. Das kann uns im Rennen im Zweikampf verwundbar machen. Auch in der Aerodynamik haben wir uns signifikant verbessert, sind aber noch nicht auf dem Niveau der beiden Top-Teams. Hier waren uns wegen der Homologation zum Teil die Hände gebunden. Die meisten Bereiche waren ja verschlossen.
In welchem Bereich war es wegen der Restriktionen am schwierigsten Fortschritte zu machen?
Binotto: Beim Motor. Da musst du Leistung finden ohne dabei die Standfestigkeit zu beschädigen. Das sind zwei Aufgabe. auf einmal. Die Entwicklungszeit nimmt mehr Zeit in Anspruch als beim Auto. In der Kürze der Zeit haben wir gut reagiert.
Brauchen wir dann überhaupt noch eine künstliche Gleichstellung der Motoren, wenn die Entwicklung ab 2022 eingefroren wird?
Binotto: Stand heute ist der Unterschied zwischen den einzelnen Motoren nicht groß genug, dass er eine Gleichstellung erfordert. Innerhalb von zwei Zehnteln ist eine gute natürliche Konvergenz. Es würde wenig Sinn machen, Parität einzufordern. Aber unser Ziel ist es natürlich nicht, es in ein Zweizehntel-Fenster zu schaffen. Wir wollen die Besten sein. Deshalb wird es noch einmal großer Anstrengungen bedürfen, einen weiteren Schritt für 2022 zu machen. Wir wissen, dass wir noch nicht die Besten sind und dass wir noch Möglichkeiten haben, uns zu verbessern.
Wie schwierig ist es, die Motoren auf den E10-Kraftstoff anzupassen? Für Außenstehende hört sich das nicht nach einer großen Aufgabe an.
Binotto: Es ist eine große Aufgabe. Weil es zwei Parteien betrifft. Wir müssen als Motorhersteller den Verbrennungsprozess ändern. Der Kraftstofflieferant muss sein Produkt anpassen. Ein neuer Verbrennungsprozess ändert die Kräfte auf bestimmte Komponenten innerhalb des Triebwerks, was auf das Design Einfluss hat. Aber auch das Feintuning und die gesamten Parameter rund um die Verbrennung müssen neu bewertet werden. Dazu kommt, dass die Sprithersteller auch nur einen einzigen Schuss haben. Dann wird die Entwicklung für drei Jahre eingefroren.
Der Moment, an dem die Teams ihre Chassis-Entwicklung voll auf 2022 konzentrieren, rückt näher. Kann Ferrari das Kapitel 2021 so früh wie seine Konkurrenten schließen, oder dürfen Sie aus Verpflichtung gegenüber den Tifosi die Saison nicht einfach so aufgebeben?
Binotto: Das ist keine Frage der Verpflichtung gegenüber den Tifosi. Wir stehen vor der gleichen Aufgabe wie alle anderen. Wie viel opfern wir für das eine Programm zugunsten des anderen? Das 2022er Auto ist so neu, so anders, dass wir mit jeder Windkanalsitzung riesige Fortschritte machen. Es gibt also sehr viel Entwicklungsspielraum, aber relativ wenig Zeit. Deshalb muss das 2022er Auto Priorität haben. Der Großteil unseres Teams arbeitet bereits an diesem Auto. Das heißt aber nicht, dass es keine Entwicklungsschritte mehr am 2021er Auto gibt. Es existiert aber kein fester Marschplan für die Entwicklung. Wenn uns etwas einfällt, wird es gemacht.
Die ersten vier Monate unter der Budgetdeckelung sind vorbei. In welchem Bereich sehen Sie sich am meisten limitiert?
Binotto: Zunächst einmal: Der Kostendeckel generell ist die größte Herausforderung der letzten Jahre. Es ist eine völlig neue Disziplin mit 145 Millionen Dollar auszukommen. Ein kompletter Kulturwechsel. Ein großes Team wie Ferrari mit so vielen Ressourcen, muss Prioritäten setzen, überall effizient sein, Dinge aufspüren und benennen, auf die man verzichten kann. Es ist auch ein riesiger Bürokratieaufwand, das alles an die FIA zu rapportieren. Wir entwickeln gerade eine Software und Werkzeuge, die uns dabei helfen. Auch wir brauchen ein System, dass uns präzise berechnen lässt, was wir wo ausgeben, was sich lohnt und was nicht. Es ist eine andere Welt.
Wäre ein Crash wie der von Bottas in Imola auch für Ferrari ein Problem?
Binotto: In diesem Stadium der Saison noch nicht, weil du genug Zeit hast mit der Budgetplanung zu reagieren. Später in der Saison wird es schwieriger. So ein Unfall geht definitiv ins Geld. Und wenn du jedem Euro hinterherlaufen musst, dann kann das am Ende einen Unterschied ausmachen. Du musst auf jeden Fall Anpassungen in deiner Budgetplanung machen.
Carlos Sainz ist einer von fünf Fahrern, die das Team gewechselt haben. Warum tun sich selbst erfahrene Piloten heute so schwer damit, in ein anderes Auto umzusteigen?
Binotto: An erster Stelle muss man sagen, dass die Fahrer nur eineinhalb Testtage Zeit hatten, sich an ein neues Auto und ein neues Team zu gewöhnen. Das ist sehr wenig. Zweitens sind die aktuellen Autos sehr schwer zu fahren. Das nehmen wir als Beobachter von außen gar nicht wahr. Die Aufgabe ist ja nicht nur einfach so im Kreis herumzufahren. Es geht um die letzten ein oder zwei Zehntel. Und die liegen in Dingen, wie du die Aerodynamik, die Antriebseinheit und die Reifen am besten für dich nutzt. Diese Autos sind wahre Ungeheuer. Jedes hat seine Eigenheiten. Da gibt es kleine, aber feine Unterschiede in der Abstimmung des Fahrwerks, der Servolenkung, der Aero-Balance. Das kann von einem Auto auf das andere ganz anders sein. Überall das Limit zu finden macht es so schwierig.
Die Formel 1 will bis zum Sommer das Motoren-Reglement für 2025 festlegen. Welche Parameter sind für Ferrari wichtig?
Binotto: Ich würde mal sagen, dass wir hoffentlich im Sommer zu einer Lösung kommen. Da müssen erst einmal die meisten Teams zustimmen. Das nächste ist, dass die neuen Antriebseinheiten, je nachdem wie sie aussehen werden, auch eine Änderung der Chassis-Regeln verlangen. 2025 werden die 2022er Regeln erst drei Jahre alt sein. Die Frage lautet, ob da jeder bereit für große Änderungen sein wird. Was ist uns als Ferrari wichtig? Auf die Grundpfeiler haben sich alle bereits verständigt. Die Kosten müssen gesenkt werden. Das Ziel ist um 50 Prozent. Da streiten wir uns noch um 50 Prozent von was. Auf jeden Fall wird es ein signifikanter Einschnitt werden. Es muss weiter ein grünes Element enthalten sein. Da sind nachhaltige Technologien gefordert. Eine noch bessere Effizienz als heute. Das geht nur über einen Ausbau des elektrischen Antriebs und klimaneutralen Kraftstoff. Es müssen Technologien sein, die auch für die Autohersteller interessant sind.