Klappt die Mission „Titelverteidigung“?
Mit neuen Motoren und jeder Menge neuer Assistenztechnik samt teilautonomem Fahren macht Fiat den Ducato fit. Wir waren mit dem neuen Kastenwagen auf Testfahrt.
Seit fast vier Jahrzehnten dominiert der Fiat Ducato den europäischen Transportermarkt. Und bereits ganz zum Beginn seiner Karriere nahm Fiat durch die Kooperation mit Peugeot und Citroën bei Entwicklung und Produktion des Ducato das vorweg, was im Januar 2021 in der Gründung des Stellantis-Konzerns und der Verschmelzung von PSA und FCA seine Vollendung fand.
Dass der Ducato von Anfang an groß durchgestartet ist, lag an seiner Grundkonzeption. Im Gegensatz zu den Wettbewerbern setzte Fiat von Beginn an auf Frontantrieb, was entsprechende Vorteile bei der Ladehöhe und dem verfügbaren Laderaum hatte. Und auch das bis heute beibehaltene Konzept mit dem Schalthebel in Lenkradhöhe (früher direkt am Lenkrad, heute in der Konsole daneben) brachte Platzvorteile durch einen ebenen, durchgängigen Fahrerhausboden.
Nicht nur im Transportgewerbe brachte das einen großen Vorsprung. Schnell war der Ducato auch bei den Wohnmobilherstellern ein Renner, weil der Frontantrieb ihnen jede Menge Freiheiten bei der Gestaltung des Wohnraums hinter der Fahrerkabine ließ und Fiat schlauerweise speziell für diese Zwecke auch sogenannte Triebköpfe (also nur das Vorderteil des Autos) sowie Fahrgestelle zum Fertigbauen ("Windlauf") anbot.
An der daraus folgenden Dominanz hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn die Konkurrenz inzwischen zahlreicher ist und konzeptionell nachgebessert hat, selbst den Mercedes Sprinter gibt es inzwischen auch als Fronttriebler. 2020 war der Ducato mit rund 150.000 Einheiten das meistverkaufte leichte Nutzfahrzeug in Europa. Und geht jetzt in einer optisch nur leicht, aber technisch durchaus aufwendig modernisierten Version in Richtung Titelverteidigung (die ausführliche Neuvorstellung mit allen technischen Details finden Sie in diesem Beitrag.)
Der Antrieb
Der 2021er Ducato setzt auf eine komplett neu entwickelte Motorengeneration, die von Fiat speziell für diese Anwendung konstruiert wurde. Zwar entspricht die neue 2,2-Liter-Maschine in der Grundkonzeption dem früher zum Beispiel im Jeep Wrangler verwendeten Vierzylinder-Diesel, wurde jedoch für den Nutzfahrzeugeinsatz umfangreich neugestaltet. Unter anderem durch die Verwendung von Stahl statt Leichtmetall für Motorgehäuse und Kolben, um die Dauerhaltbarkeit zu optimieren, die neuen Motoren sind für eine Laufleistung von 300.000 Kilometer konzipiert.
Nach dem Kaltstart gibt es für einen ganz kurzen Augenblick deutlich vernehmbares und kerniges Nageln, doch schon nach wenigen Metern hat sich das eingepegelt und der Reihenmotor brummt unauffällig vor sich hin. Auffällig sind die geringeren Vibrationen im Vergleich zum bisherigen 2,3-Liter-Motor, auch das Laufgeräusch wirkt gedämpfter. Ebenfalls bemerkbar bei der gefahrenen Schaltgetriebe-Variante mit 140 PS (für Transporteure wie Wohnmobilisten die "goldene Mitte" im Leistungsangebot) ist die weichere, angenehmere Schaltarbeit des neuen Getriebes. Der Motor zieht sehr gleichmäßig bereits aus niedrigen Drehzahlen ohne deutlichen Leistungsknick und auch ohne Turboboost durch das Drehzahlband.
Die ebenfalls gefahrene Top-Motorisierung mit 180 PS in Verbindung mit der Neunstufen-Automatik, vor allem bei Freizeitfahrzeugen eine beliebte Wahl, unterstreicht diesen Charakter nochmals, schiebt naturgemäß energischer, aber ebenso gleichmäßig an. Speziell für Einsätze mit viel Gewicht oder hohem Aufbau ist der Top-Motor natürlich der Goldstandard. Objektiv betrachtet muss er aber nicht dringend sein, ein Rennwagen wird der Ducato auch mit 180 PS nicht.
Das Handling
Auch am Fahrwerk wurde Hand angelegt, und das merkt man. Die Dämpfer arbeiten akkurater als bisher, verarbeiten speziell kleine Impulse wie Querfugen oder Kanaldeckel besser, wo es früher gerne mal polterte. Bei groben Unebenheiten aber bleibt der Ducato ein Transporter, der es auch mit tonnenschwerer Beladung aufnimmt. Entsprechend ist bei gröberen Unebenheiten und Schlaglöchern eben auch ein bisschen Gerummse dabei. Aber insgesamt: Ein Fortschritt.
Das neue, optionale Luftfederfahrwerk (nur für die Hinterachse), mit dem sich auch die Ladehöhe variieren lässt, stand beim Fahrtermin noch nicht für erste Eindrücke zur Verfügung. Gut möglich, dass diese Variante noch etwas kommoder federt. Die Umstellung auf die elektrische Servolenkung bringt bei höherem Tempo etwas mehr Ruhe ins Lenkrad, ist aber kein massiver Quantensprung.
Der Innenraum
Bei all den für den Nutzer unsichtbaren, aber reichlich vorhandenen Technik-Updates sind die Änderungen im Innenraum vor allem für langgediente Ducatofahrer ein nicht zu unterschätzender Fortschritt. Das gilt bereits für das kleinere Pkw-Lenkrad, welches mehr als man glauben möchte den Lenk-Charakter des Transporters ändert. Dass Fiat allerdings auch weiterhin nur eine Längs-, aber keine Höhenverstellung ermöglicht, ist ärgerlich. Hier scheute man wohl die Kosten einer Neukonstruktion. Aus demselben Grund ist wohl auch die pragmatische Lösung des Startknopfs so, wie sie ist: Statt wie bei üblichen Startschaltern am Armaturenbord sitzt der neue Druckknopf beim Ducato schlicht in der Öffnung, die früher das Zündschloss beherbergte. Nach dem Motto: Das Loch war eh schon da, neue Spritzgussformen gespart.
Das optionale volldigitale Cockpit überzeugte beim Erstkontakt nicht restlos, die Zahlen und Markierungen sowie der Kontrast dürften markanter ausfallen. Auch den Variantenreichtum solcher Digital-Cockpits im Pkw-Bereich, wo man sich verschiedenste Designs konfigurieren oder beispielsweise eine flächige Navigationskarte abbilden kann, bietet es nicht. Dafür ist das neue Multimediasystem zuständig, das speziell mit dem großen Zehn-Zoll-Display gefallen kann.
Durch die Umstellung auf eine elektrische Feststellbremse (verriegelt automatisch beim Abstellen des Motors) entfällt entsprechend der Bremshebel links des Fahrersitzes, was speziell bei Wohnmobilen mit ihren Drehsitzen eine willkommene Verbesserung ist. An den reinen Platzverhältnissen hat sich im identischen Gehäuse natürlich nichts verändert, doch die neuen Sitze sind bequemer und besser gepolstert als bisher.
Ein bisschen zwiespältig bleibt der Eindruck des neuen digitalen Rückspiegels, der über die Rückfahrkamera in der dritten Bremsleuchte bespielt wird. Gut ist natürlich, dass er überhaupt da ist und so eine vom Pkw gewohnte Rücksicht im Kastenwagen erlaubt. Allerdings dürfte das Display etwas größer sein, was auch die nicht ganz natürlich wirkende Abbildung verbessern könnte.