„Brennstoffzelle vom Lkw zum Pkw zurückbringen“

Der Vorstand für Konzernforschung der Daimler AG über die Kooperation mit dem chinesischen Hersteller Geely, die Entwicklung der Batteriezelle und über den scheinbaren Widerspruch von Luxus und Elektromobilität.
Herr Schäfer, Mercedes und Geely wollen gemeinsam die nächste Generation von Vierzylinder-Verbrennungsmotoren entwickeln. In diesem Zusammenhang entfällt mittelfristig die Motorenproduktion in Untertürkheim. Wie können Sie das Ihren Mitarbeitern erklären?
Im Kern geht es dabei ja um die Transformation des Unternehmens. Die Frage, wie das vonstattengehen soll, beschäftigt uns nicht erst seit gestern. Bereits in meiner Funktion als Produktionsvorstand haben wir begonnen, die Werke zu transformieren. Das war 2014. Darum haben wir jetzt in Sindelfingen die Factory 56, darum laufen in vielen Werken auch Elektro-Fahrzeuge von den Bändern, weil wir frühzeitig angefangen haben. Jedes deutsche Aufbau-Werk zum Beispiel produziert künftig ein Elektro-Fahrzeug, Bremen beispielsweise den EQC, Sindelfingen den EQS, Raststatt den EQA. Die größte Transformation allerdings liegt im Powertrain-Bereich. In einem historisch gewachsenen Werk wie Untertürkheim mit mehr als 18.000 Mitarbeitern ist das eine enorme Aufgabe. Auch da haben wir vor Jahren begonnen, und eine von insgesamt zwei Batteriefabriken nimmt nun ihre Arbeit auf. Darüber hinaus gibt es die Zusage, dort künftig den elektrischen Antriebsstrang zu fertigen. Diese Schritte bedingen aber eben auch eine physische Transformation. Wir müssen Raum schaffen, dabei geht es um viele tausend Quadratmeter. Klassische Verbrennerumfänge ziehen also nach und nach aus, Elektro-Komponenten ziehen ein. Ich kann verstehen, dass diese Diskussion unter den Mitarbeitern emotional geführt wird. Der Schritt ist jedoch unumgänglich, da wir uns in einem globalen Wettbewerb bei dieser Technologie, und auch der Zelltechnologie, befinden. Wir haben einen guten Basis, weil wir die ersten waren, die Zellen selbst entwickelt und gefertigt haben und zwar in Kamenz, Deutschland. Diese Teams und damit die Kompetenz haben wir daher ebenfalls nach Stuttgart geholt.
Können Sie nun bitte zur Kooperation mit Geely Stellung nehmen?
Gerne. Da geht es selbstverständlich auch um Skalen-Effekte. Wir haben eine große Vielfalt an Verbrennungsmotoren, derzeit fast 20 verschiedene, um die ganze Palette von Kompaktfahrzeugen bis zum Sprinter zu bedienen. Da müssen wir schrumpfen und gleichzeitig im globalen Wettbewerb mit den Möglichkeiten eines Partners unsere Ingenieurs-Kompetenz mit der Wertschöpfung in China und dem zusätzlichen Volumen von Geely und Volvo kombinieren.
Aktuell besteht der Eindruck, dass die Autohersteller zunehmend eigene Wege beim Elektromotor gehen. Droht hier erneut eine zu hohe Komplexität, wie sie eben von Ihnen beim Verbrenner beschrieben wurde?
Die Branche war vor vielen Jahren der Meinung, dass man den Elektromotor einfach aus dem Regal eines Zulieferers nehmen könne. Wir zählten zwar zu den wenigen, die einen eigenen Motor bauten, waren aber durchaus auch dieser Meinung. Inzwischen haben wir deutlich dazu gelernt, denn die Möglichkeiten eines Elektromotors bezüglich der Effizienzsteigerung, die sich ja in Batteriegröße und Reichweite und somit Kosten niederschlägt, sind nicht zu unterschätzen. Da zählt jedes Prozent. Also muss man als Fahrzeughersteller das Zusammenspiel aus Motor, Batterie und Leistungselektronik in- und auswendig beherrschen. Da müssen wir sicher einen skalierbaren Baukasten generieren, aber keinesfalls mit 20 verschiedenen Elektromotoren und Batterien enden. Und natürlich spielt der Elektromotor beim Verbrauch, also Kilowattstunden pro 100 Kilometer, eine entscheidende Rolle, ebenso wie beim Geräuschniveau eines Fahrzeugs.
Und bei den Verbrennern, was kann da Geely möglicherweise besser als der vorherige Kooperationspartner Renault/Nissan?
Zunächst einmal liegt die Entwicklungshoheit bei Mercedes. Schaut man sich jedoch die Fertigungskapazität in den chinesischen Werken an, beeindruckt deren schiere Größe. Dazu kommt ein inzwischen sehr balanciertes Verhältnis zwischen Elektromobilität und einer elektrifizierten Verbrenner-Technologie, speziell nach dem Rückgang der staatlichen Förderung der E-Mobilität in China. In diesem Zug ist bei Geely eine der modernsten Fabriken für Verbrenner zusammen mit High-Tech-Prüfständen entstanden – die kommen übrigens aus Deutschland. Es geht also darum, mit einem erfahrenen Partner den chinesischen Markt zu erschließen. Dem ganzen ging ja ein Konzeptwettbewerb voraus, der zur Folge hatte, dass bei uns nun die Entwicklungshoheit für einen Lambda-1-Motor liegt. Die vorherige Kooperation aber war durchaus erfolgreich, da es dabei vorrangig um ein Motorensegment ging, dass wir damals nicht abgedeckt und zugleich den Bedarf unterschätzt haben.
Auch der nächste smart fortwo entsteht zusammen mit Geely. Wie wird der denn aussehen?
Wir wollten diese Marke weiter aufbauen und ihr eine Zukunft geben, was wir in der bisherigen Konstellation nur bedingt umsetzen konnten. Auch hier wird uns Geely mit seiner Erfahrung und dem Vertriebsnetz in China helfen, einen deutlich größeren Markt zugänglich zu machen. Die Design-Abteilung in Sindelfingen arbeitet derzeit unermüdlich an einer hochemotionalen Interpretation der Smart-Idee für die Zukunft.
Sie erwähnten eben die Lambda-1-Verbrenner. Welche Technologie benötigen die Motoren, um dieses für Euro7 wichtige Kennfeld zu erreichen?
Wir werden richtig was auffahren müssen, um einerseits genügend Leistung zu erreichen, die unseren Ansprüchen gerecht wird und andererseits auch den NVH-Anforderungen (Noise, Vibration, Harshness, Anm. d. Red.) entspricht. Der Aufwand, um den Motor zusätzlich im Kennfeld Lambda 1 zu betreiben, ist immens. Aber, soviel kann ich heute schon verraten, wir werden da ein technologisches Highlight bieten.
Müssen Sie in diesem Zusammenhang den Verbrenner mit mehr elektrischer Power ausstatten?
Elektrifizierung generell ist nicht nur ein Muss. Es ist ein sehr bewusster Weg, den wir wählen und von dem wir glauben, dass unsere Kunden das honorieren. "Ambition 2039" ist ja durchaus ein progressiver Ansatz, was das Erreichen der Flottenziele angeht.
Wie können sich elektrifizierte Mercedes-Modelle vom Wettbewerb differenzieren?
Die Differenzierung beginnt ja schon beim Einsteigen, wenn man in die Polster sinkt und die Tür schließt, das haptische Erlebnis also. Ja, die Rolle des Antriebs wird eine andere sein, doch das Gesamterlebnis wird immer einen Mercedes-Standard bieten. Heute leben wir in einer Verbrenner-Welt und können uns nur wenig anderes vorstellen. Das wird in zehn Jahren ganz anders aussehen. Aber selbst heute stellt sich schon die Frage: Kauft der Kunde einen Mercedes allein wegen des Antriebs? Kaum. Sicher, bei AMG ist das häufiger der Fall. Deshalb werden wir da auch bei der Elektrifizierung ein AMG-adäquates Paket bieten. Im Gesamterlebnis werden sich da die Prioritäten aber etwas verschieben.
Das erste rein elektrischen Großserien-Fahrzeug der Marke, dem EQC, bleibt unserer Meinung eher hinter dem Anspruch von Mercedes, gerade beim Fahrkomfort, der Souveränität. Musste dieses Modell besonders schnell auf den Markt kommen?
Das Leistungsprofil eines jeden Fahrzeugs ist unser Kundenversprechen, das gilt unabhängig vom Antrieb, das darf sich in den Kerneigenschaften nicht ändern. Der EQC bietet im Segment einen einzigartigen Geräusch- und Fahrkomfort, höchste Sicherheit, Konnektivität und Assistenzsysteme
Also war der EQC ein Ausrutscher?
Nein, der EQC ist ein echter Mercedes und ein optimales Produkt für den Umstieg vom Verbrenner in die Elektrowelt. Es wird weiterhin eine Kerneigenschaft sein, ein einzigartiges Fahrverhalten mit einer präzisen Lenkungs- und Bremsenabstimmung zu bieten – auch im Elektrozeitalter.
Der EQC baut auf dem GLC auf, dann kam die rein elektrische EVA2-Architektur, bald die Misch-Architektur Electric First. Weshalb ist dieser Zick-Zack-Kurs nötig?
Im Nachhinein ist man immer schlauer, sprich: Das Timing ist wichtig. Wir waren 2007 mit dem Elektro-smart schon früh dran, manchmal sogar zu früh wie mit der Brennstoffzelle, die wir gemeinsam mit unserem Partner mit hohem Aufwand nach vorne gebracht haben. Da waren wir Pionier. Wir haben früh eigene Elektromotoren gebaut. Ja, vielleicht waren wir nicht mutig genug oder oft durch die wegen des frühen Erscheinens im Markt negativen Erfahrungen manchmal zu konservativ. Electric First ist ein harter Einschnitt, da fangen wir von ganz vorne an, aber das muss man machen, um das ultimative Elektroauto zu bauen. Diese Erkenntnis wächst aber auch während man eine Reihe von Elektroautos baut.
Welchen Ansatz verfolgt Mercedes bei der Zellchemie? Variiert die künftig je nach Preis- und Leistungsklasse des jeweiligen Modells?
Zunächst richtet sie sich nach der Frage: Was braucht der Kunde? Der wünscht sich Reichweite, schnelles Laden und lange Lebensdauer. Die Zelle trägt dazu entscheidend bei. Daher ermöglicht unsere neue Elektroarchitektur ab 2021 auch 700 Kilometer Reichweite, das geht nur über die Chemie, über eine hohe Energiedichte. In den Laboren in Untertürkheim ist bereits die nächste Generation in der Entwicklung. Das wird Stand heute eine Lithium-Nickel-Cobalt-Mangan-Zelle sein mit einem hohen Anteil an Silizium als anodischem Material. Dadurch peilen wir Energiedichten von > 800 Wattstunden pro Liter an. Gleichzeitig erhalten wir die Zyklenfestigkeit auf einem hohen Niveau von größer 1200 Zyklen. Aber auch Lithium-Eisenphosphat-Akkus entwickeln sich weiter, stellt eine günstige Alternative für Fahrzeuge mit kleiner Batterie dar.
Und die Brennstoffzelle ist tot?
Mit dem GLC F-CELL haben wir gezeigt, dass wir das Thema beherrschen. Es hängt einfach an der Skalierung. Die hat heute niemand, auch kein asiatischer Wettbewerber. Über die Nutzfahrzeuge lässt sich diese Skalierung auf größere Stückzahlen erreichen, was bei Pkw aktuell nicht erreichbar ist. Übrigens lässt sich von den Nutzfahrzeugen auf Pkw zurückskalieren. Und beim Lkw ist die Brennstoffzelle alternativlos.
Die Elektroautos sind nun da, die Infrastruktur nicht. Müssen sich die Hersteller nun auch darum kümmern?
Das Problem besteht global, Ladesäulen und grüner Strom sind noch nicht ausreichend vorhanden. Beim Laden engagieren wir uns mit Ionity und weiteren Kooperationen wie Charge Point in den USA, das ist elementar für den Erfolg der E-Mobilität. Wir müssen da mehr tun.
Was heißt das konkret?
Das ist extrem komplex, das erleben Sie ja schon, wenn Sie zu Hause eine Wallbox haben möchten. Die Hürden, die es da zu überwinden gilt, sind hoch. Generell müssen sehr viele Parteien am selben Strang ziehen, um die Infrastruktur zu verbessern. Natürlich machen sich auch die Mineralöl-Konzerne Gedanken, was mit ihren Tankstellen passiert, wenn immer mehr Leute auf E-Fahrzeuge umsteigen.
Noch ist der Vorteil des Verbrenners, dass ein kompletter Tankvorgang im Schnitt rund sechs Minuten dauert. Wann kann das E-Auto gleichziehen?
In allernächster Zukunft sind 15 Minuten für eine Ladung realistisch, aber auch die sechs Minuten sind erreichbar. Voraussichtlich in den 2030er Jahren.
In jüngster Zeit betont Mercedes sehr stark den Anspruch, luxuriöse Fahrzeuge anzubieten. Wie vertragen sich aus Ihrer Sicht Luxus und Elektromobilität?
Das geht gut, denn es geht ja weniger um Elektromobilität im Speziellen als um Nachhaltigkeit im Allgemeinen. Derzeit arbeiten wir beispielsweise an einer erheblichen Erhöhung des Anteils wiederverwerteter Materialien im Interieur. Dann geht es auch an die Batteriezelle. Wir wissen, dass eine Batterie mit einem hohen CO2-Rucksack kommt. Die Batteriefabrik von Farasis, die in Bitterfeld-Wolfen entsteht, arbeitet CO2-neutral. Darüber hinaus arbeiten wir auch mit unseren Zulieferern an den bestehenden Fabriken, Nachhaltigkeit darzustellen. Bei kritischen Materialien wie Kobalt, kümmern wir uns um die Lieferketten. Außerdem ist absehbar, dass sich Kobalt aus der Zelle eliminieren lässt, vielleicht brauchen wir auch kein Nickel mehr. Da morgen nicht in großen Mengen E-Fuels verfügbar sein werden, hat das Elektroauto hinsichtlich der Nachhaltigkeit ein viel größeres Potenzial als der Verbrenner.
Können Sie die Fortschritte bei der Batterietechnik bitte quantifizieren? Wie hat sich die Energiedichte vom Akku des EQC zu dem des EQS entwickelt?
Die Entwicklung der Zellchemie und die der Kosten folgt ja einer e-Funktion. Da befinden wir uns bei den Kosten auf einem rapide abfallenden Ast bei einem auf der anderen Seite steilem Anstieg von Energieinhalt. Wir werden beim EQS eine deutlich optimierte Chemie als beim EQC sehen. Allein der Kobaltinhalt ist schon über die Hälfte geringer. Auch die Kosten von rund 100 US-Dollar bei Kilowattstunde galt vor zwei bis drei Jahren noch als nahezu unerreichbar, das sieht jetzt schon anders aus. Aber selbst das reicht noch nicht, um Verbrenner und E-Auto zum gleichen Preis anbieten zu können.
Weshalb will Daimler ein eigenes Betriebssystem für seine Fahrzeuge entwickeln?
Weil wir unsere Zukunft selbst in der Hand haben wollen. Und die Organe eines Fahrzeugs liegen im Betriebssystem, über das alle Funktionen vom Fensterheber über die Massagesitze bis zu den Assistenzsystemen gesteuert werden. Wir möchten den Kunden innerhalb kürzester Zeit neue Features over the air bieten, die hier in Stuttgart und Sindelfingen praktisch über Nacht programmiert werden. Das erweitert zugleich das Geschäftsmodell über den Verkauf und die Wartung hinaus.
Wann sind diese Art von over the air-Updates möglich?
2018 haben wir die ersten Schritte unternommen, die neue S-Klasse ermöglicht einen deutlich umfangreicheren Zugriff auf über 50 Body-Funktionen. Ein großer Meilenstein wird 2024 die Plattform MMA sein, in der fünf Domänen die wesentlichen Fahrzeugfunktionen steuern.
…und haben dann immer noch nicht den Stand eines Tesla erreicht.
Als wir das letzte Mal einen Tesla genau angeschaut haben, waren da immer noch einige Rechner drin – also anders, aber besser? Was kann er bei der Fahrerassistenz mehr als ein Mercedes? Da brauchen wir uns nicht verstecken, auch wenn wir das momentan noch in einer anderen Rechnerarchitektur darstellen. Aber damit planen wir immerhin als erster Hersteller weltweit ein Level 3 Fahrzeug zertifizieren zu können.
Mit der S-Klasse verspricht Mercedes die Gewichtsspirale gestoppt zu haben. Lässt sie sich noch umdrehen?
Bei den Materialien zeigt sich, dass wir weiterhin im Metall-Bereich bleiben werden. Carbon hat sich nicht als geeignet erwiesen, da es nicht in der Großserie darstellbar ist und sich Stahl-Carbon-Misch-Elemente später wieder nur schwer trennen lassen. Bei den E-Fahrzeugen hilft es, dass innerhalb der nächsten sechs Jahren die Batteriegewichte erheblich sinken. Das ermöglicht dann leichtere Fahrwerke, leichtere Bremsen, da ist ja eine Kettenreaktion. Die steigenden Anforderungen an die Sicherheit und an Assistenzsysteme wiederum treiben das Gewicht nach oben, das gilt es zu kompensieren.
Vita
Markus Schäfer wurde am 11. Mai 1965 in Weidenau geboren. Er absolvierte ein Studium an der TU Darmstadt, das er 1990 als Diplom-Ingenieur abschloss. Danach trat er über die internationale Nachwuchsgruppe in die damalige Daimler-Benz AG ein. Seit 22. Mai 2019 leitet er im Vorstand der Daimler AG das Ressort Konzernforschung und ist seit 1. April 2020 zudem Mercedes-Benz Cars Chief Operating Officer. In dieser Funktion steuert er den Wertschöpfungsprozess von der Entwicklung über Einkauf und Lieferantenqualität bis zur Produktion.