Erst Antriebswende, dann Verbrenner-Kehrtwende
Mercedes steht vor einer beispiellosen Modelloffensive. Sie markiert nach der Antriebs- eine Kehrtwende: GLC und C-Klasse kommen rein elektrisch, Verbrenner und E-Autos werden dabei aber nicht nur viel länger parallel gefertigt als ursprünglich geplant. Sie werden auch fast gleich aussehen.
Mercedes-Chef Ola Källenius hat sich schon in seiner Zeit als Entwicklungsvorstand bemüht, die Marke fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen: 2019 wurden die Journalisten eilig zusammengerufen, um ihnen die "Ambition 2039" zu verkünden – CO₂-Neutralität bis spätestens 2039 über die gesamte Wertschöpfungskette (Produktion, Lieferkette, Nutzung), eine elektrische Neuwagenflotte (die Rede war von 100 Prozent) "wo immer die Marktbedingungen es zulassen" und eine deutliche Reduktion der CO₂-Emissionen pro Pkw über den gesamten Lebenszyklus. Das klang – vor Corona und dem Ausbruch des Ukraine-Krieges – gut und glaubwürdig für alle, die dabei waren.
Aber Stand heute läuft nicht richtig rund bei Mercedes: Im ersten Halbjahr 2025 wurden sechs Prozent weniger Autos verkauft als im Vorjahr, das Konzernergebnis brach um 55,8 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro ein. Schlimm genug. Was aber mindestens genauso schwer wiegt: Erzkonkurrent BMW ist in diesem anspruchsvollen Marktumfeld besser unterwegs. Der Absatz liegt mit minus 0,5 Prozent fast auf Vorjahresniveau, der Gewinn sank hier nur um ein Drittel auf 4,02 Milliarden Euro. Zahlen, an denen sich die Vorstandsvorsitzende Ola Källenius (Mercedes) und Oliver Zipse (BMW) auch von ihren Aufsichtsräten messen lassen müssen.
Ist der Lack bei Mercedes deshalb ab, könnte man rein rhetorisch fragen? Nein, das ist er nicht. Bei den auto motor und sport Best Cars-Wahl 2025 war die Marke mit gleich vier Klassensiegen erfolgreichster Teilnehmer. Trotzdem kommt man nicht umhin zu sagen, dass es Bereiche mit Sand im Getriebe gibt. Unsere Umfrage unter rund 100.000 Teilnehmern zeigt im Zehn-Jahres-Langzeitrend, dass die Marke beim Kriterium "Gutes Aussehen/Styling" acht Prozentpunkte verloren hat. EQE und EQS kamen und kommen bei den Kunden nicht gut an, der Absatz lahmt, auch weil der Markt insgesamt nicht so groß ist, wie Mercedes ihn erhofft hat.
Grund genug für Källenius, jetzt das Ruder herumzureißen: Mit der Neuauflage des GLC (siehe Bildergalerie), erstmals rein elektrisch angetrieben, stellt er das neue Gesicht der Marke vor. Im Mittelpunkt steht die Rückbesinnung auf alte Stärken – ein opulent geformter, sehr aufrechter Grill, der die Mercedes-Tradition in die Jetztzeit transformieren soll, modern interpretiert mit 942 einzelnen Lichtpunkten. Dieser Strategie folgt die nächste C-Klasse 2027, wobei Verbrenner und E-Autos nicht nur viel länger parallel gefertigt werden als ursprünglich geplant. Sie werden auch optisch im gleichen Look & Feel auf den Markt kommen.
Genau das ist es, was auch den Strategiewechsel im Vergleich zur Ambition 2039 ausmacht: Die Baukästen werden noch einmal in die Hand genommen, jede Modellreihe ist sowohl mit Elektroantrieb als auch mit Verbrennungsmotor zu haben. Es wundert nicht, dass die Umsatzrendite so zurückgeht – denn es ist ein Riesenaufwand, beide Antriebskonzepte fit für die Zukunft zu halten – vor allem gegenüber den vielen chinesischen Anbietern, die ausschließlich Stromer im Angebot haben.
Solange es aber eine entsprechende Nachfrage gibt, soll es bei Mercedes weiter klassische Motoren geben. Aktuell geht man davon für mindestens noch einmal zehn Jahre aus. Källenius geht auf Nummer Sicher – was in der Entwicklung viel Zeit und Geld kostet. Ein weltweit sehr nervöses Marktumfeld lässt aber andererseits kaum Spielraum für Experimente.