Hände weg vom Auspuff-Aus?
Die EU will das 2022 beschlossene und seitdem kontrovers diskutierte Verbrenner-Aus wieder zurückdrehen. Hier eine ausführliche Sammlung, was dafür und was dagegen spricht, inklusive einer kleinen Entstehungsgeschichte des Neuzulassungsverbots für Verbrenner ab 2035 und einem eindeutigen Ergebnis.
Längst herrscht ein breiter wissenschaftlicher Konsens, dass menschengemachte Treibhausgas-Emissionen (THG) den Klimawandel verursachen. In der EU und vielen anderen Staaten ist entsprechend die Notwendigkeit anerkannt, die THG-Emissionen und als wichtigste die von CO₂ möglichst einzudämmen. In der EU ist der Straßenverkehr für etwa 25 und der von Pkw für circa 15 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich.
CO₂-Emissionssenkung im Verkehr mit 30-jähriger Geschichte
Bereits 1995 hat sich die EU-Kommission auf eine Strategie zur Minderung von CO₂-Emissionen von Pkw geeinigt. In der Folge hat sich der Verband europäischer Automobilhersteller (ACEA) 1998 verpflichtet, die durchschnittlichen CO₂-Emissionen von Neuwagen bis 2008 auf 140 g/km zu senken. Im Jahr 2000 haben das Europäische Parlament und der Rat als durchschnittlichen Grenzwert für CO₂-Emissionen neuer Pkw 120 g/km (entspricht 5 Liter/100 km für Benziner, 4,5 Liter/100 km für Diesel) als Ziel für das Jahr 2005 (spätestens 2010) festgelegt. Die Maßnahmen gehen auf das Kyoto-Protokoll von 1997 zurück. Das sieht eine Senkung der Konzentration von THG in der Atmosphäre vor, um den Klimawandel einzudämmen.
<ir_inline itemname=Inline_Video:1 type=0>
Die Welt hat sich verändert – kann das Verbrenner-Aus bleiben?
20 Jahre später hielt Corona die Welt in Atem, aber auch der Klimawandel wurde immer deutlicher sichtbar. Im Rahmen des European Green Deal (2019) beschreitet die EU den Pfad der CO₂-Emissionsreduzierung im Verkehr weiter. 2022 beschließt die EU-Kommission ein Neuzulassungsverbot für Pkw, die CO₂ emittieren. Entgegen häufig vorgebrachter Pauschalkritik konsequent und vorausschauend. Aber die Gesellschaft tut sich mit so langfristigen Regeln offenbar schwer – zumindest vergeht seitdem kaum ein Tag, an dem keine Kontroverse zum Thema entsteht.
Drei Jahre nach einem Beschluss, der erst 13 Jahre später greifen sollte, schlägt die EU vor, ihre in der Debatte als "Verbrenner-Verbot" verunglimpfte Regelung aufzuweichen. Klar, inzwischen hat die Welt nicht nur die Pandemie überstanden, sondern sie hat sich massiv verändert: Ukraine-Krieg, Donald Trumps Wahlsieg, Hamas-Terrorangriff auf Israel, Ampelbruch ...
Veränderungen treffen die Autobranche
Andere Entwicklungen dürften den Blick auf ein absehbares Ende des Verbrennungsmotors im Auto nach rund 140 Jahren stärker verändert haben: In China, auf dem größten Automarkt der Welt, wächst der E-Auto-Anteil so schnell, wie der Absatz deutscher Hersteller sinkt, die USA unter Trump leugnen den Klimawandel, schleifen sämtliche CO₂-Limits und fahren stattdessen Zollschranken hoch. In der Folge gerät Deutschlands Vorzeige-Branche massiv unter Druck.
<ir_inline itemname=Inline_Related:1 type=0>
Was spricht im Lichte dessen für das vereinbarte De-facto-Neuzulassungsverbot von Autos mit Verbrennungsmotor, was dagegen?
Was für das Aus vom Verbrenner-Aus spricht
- Die Möglichkeit, in Europa auch nach 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor verkaufen zu können, wird die Autoindustrie allein nicht retten. Zumal die Prognosen, welche Stückzahlen das sein könnten, von neuen CO₂-Regeln und den Kunden abhängen werden. Wenn, wie eigentlich alle Akteure beteuern, die Zukunft des Automobils elektrisch ist, könnte die auch schon in zehn Jahren begonnen haben. Für die Autobauer hilfreich sein könnten hingegen Entlastungen durch geringere Strafzahlungen wegen gerissener CO₂‑Flottengrenzen. Geld, das die Hersteller besser für Investitionen in Batterietechnologie einsetzen könnten.Ein Geburtsfehler des sogenannten Verbrenner-Aus: Die Anfänge der EU-Regeln hatten reale CO₂-Einsparungen zum Ziel, die von der EU veranschlagten Nullemissionen von E-Autos hingegen sind teils virtuell. Denn die Erzeugung des Fahrstroms hat rechnerisch Treibhausgas-Emissionen von Kraftwerken zur Folge. Aktuell sind das (je nach Berechnungsgrundlage) etwa 70g CO₂/km. Das entspricht je nach Vergleichsmodell der Hälfte oder bis zu einem Drittel der Verbrenneremissionen, aber eben nicht null. Das gilt nur lokal. Wegen anderer Abgasanteile gut für die Luft in Städten. Aber eine Regelung, die auch die global wirksamen CO₂-Emissionen zu null macht, ist angreifbar und macht sich verdächtig, den E-Antrieb bevorteilen zu wollen. Begriffe wie Technologieoffenheit als Gegenreaktion sind die Folge. Eine Reduktion auf niedrige Werte über Null wäre besser – das ist letztlich nur mit E-Autos zu schaffen, die mit grünem Strom geladen werden.Auch ein angekündigtes Aus ist abrupt und endgültig. Es erzeugt allein schon deswegen mehr Widerspruch als ein allmähliches Ausphasen. Im Prinzip sieht der ursprüngliche Plan ja Stufen vor: bis 2025 minus 15 Prozent, bis 2030 minus 55 Prozent gegenüber 2021. Zum Ausgleich hätte man ursprünglich ein früheres Jahr als 2035 mit 70, 80 oder 90 Prozent CO₂‑Reduktion wählen können.Das harte Aus zum unumstößlichen Termin kommt einem Verbot nahe, was erst die unseligen Debatten ausgelöst hat.
- Europäische und deutsche Autobauer sind Benchmark bei der Verbrenner-Technik und können ohne hartes Verbrenner-Aus länger durch den Verkauf dieser Technik auch in Europa Geld verdienen.Die Verabschiedung vom Verbrenner-Aus ermöglicht eine längere Verwendung der Brückentechnologien Plug-in-Hybrid sowie Range-Extender. Die haben bei richtiger Nutzung mit hohem elektrischem Fahranteil großes CO₂-Einsparungspotenzial und bringen den Käufern wegen kombiniert großer Reichweiten Erst- und allein-Auto-Angebote, die aktuell noch günstiger sind als E-Autos mit entsprechend großer Batterie und hoher Ladegeschwindigkeit.
Was gegen ein Aus des Verbrenner-Aus spricht
Nachdem sich Politik und Industrie weitgehend einig sind, dass die Zukunft des Automobils elektrisch ist, sind die wenigsten Akteure dafür, das Verbrenner-Aus grundsätzlich infrage zu stellen. Die meisten Argumente dagegen sind eher aufschiebender oder einschränkender Natur, obwohl das ursprünglich beschlossene Aus nur für Neuwagen und erst ab 2035 gelten sollte. Natürlich haben auch weitere Verzögerungen eines Abschieds vom Verbrenner Folgen.
- Zuvorderst kommt die Elektrifizierung der europäischen Pkw-Flotte (inkl. leichte Nutzfahrzeuge) langsamer voran, ab 2035 werden entsprechend weniger neue E-Autos zugelassen. Der Umwelt-Lobby-Verband Transport & Environment (T&E) geht in einem Worst-Case-Szenario für 2035 von 25 Prozent weniger E-Auto-Neuzulassungen in Folge der Aufweichung aus. Entsprechend geringer fiele in der Folge die CO₂-Reduktion aus, das ursprünglich geplante endgültige Verbrenner-Aus (keine Benziner und Diesel mehr auf den Straßen) würde sich verschieben.Die Aufweichung einer 100- bzw. 0-Prozent-Regel bedeutet auch für die angestrebte kleine Lockerung (10 Prozent) einen erheblich größeren Kontrollaufwand gegenüber der klaren Vorschrift "keine Zulassung für Fahrzeuge, die CO₂ emittieren". Bürokratie und Kosten dafür stiegen überproportional. Augenfällig wird das beispielsweise an Plug-in-Hybriden und E-Autos mit Range-Extendern, deren CO₂-Einspar-Potenzial vor allem von ihrer Nutzung abhängt. Man müsste ihren individuellen Verbrauch monitoren und ihre Besteuerung daran orientieren.Die weitere Zulassungsfähigkeit von Autos mit Verbrennungsmotor sendet ein falsches Signal an Autokäufer: Wer mit dem E-Antrieb fremdelt, muss sich auch weiter nicht damit beschäftigen. Das Zurückdrehen von Beschlüssen fördert außerdem Verunsicherung: Ist der E-Antrieb doch nicht die Zukunft, wenn die Politik den Verbrenner weiter erlaubt, heißt das womöglich, er ist doch die sicherere Entscheidung für die Zukunft?
<ir_inline itemname=Inline_Related:2 type=0>
- Die weniger schnelle Abkehr von Benzin und Diesel erhält die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Allein Deutschland wandte 2024 dafür etwa 50 Milliarden Euro auf und verbrauchte etwa 20 Milliarden Liter Benzin sowie 40 Milliarden Liter Diesel. Für derartige Mengen Ersatz durch E-Fuels zu schaffen, ist schlicht unmöglich. Der Energieaufwand wäre extrem hoch: Eine aktuelle Szenario-Analyse des Center of Automotive Research (CAR) rechnet vor: "Beim E-Fuel-Pkw kommen nur etwa 13–15 % der elektrischen Energie am Rad an, bei BEV etwa 70–75 %. Für die gleiche Mobilität 2045 bräuchte der E-Fuel-Pfad 640–1.080 TWh, direkte Elektromobilität rund 101 TWh (bei 18 kWh/100 km)".
<ir_inline itemname=Inline_Related:3 type=0>
- Abgesehen von den geringeren Treibhausgas-Emissionen von E-Autos beim Betrieb (aktuell etwa Faktor 2,5 gegenüber Verbrennern) bringt auch die lokale Emissionsfreiheit in der Praxis große Vorteile: Ein höherer E-Autoanteil verbessert die Luft in Städten entsprechend und reduziert zudem die Geräuschemissionen. Je langsamer der E-Auto-Anteil wächst, desto langsamer die Verbesserungen.Die wirtschaftlichen Probleme der europäischen Autoindustrie haben vielfältige Ursachen, die Antriebswende ist nur eine davon. Da sie anerkanntermaßen unabwendbar ist, ist es zweifelhaft, ob eine Verzögerung vorteilhaft für die Fahrzeughersteller ist. Sie müssen weiter intensiv in zwei Technologien investieren, für Europa mit seinen strengen Abgasnormen wäre diese Investitionen eher höher.
<ir_inline itemname=Inline_Umfrage:1 type=0>
