Aero-Schaden kostet Hamilton halbe Sekunde

Aus dem Konzept lässt er sich durch den Vorfall nicht bringen. Und aus der Ruhe ebenso nicht. Auch wenn der Weltmeister drückt.
Wenn Mercedes Stallregie zugunsten von Valtteri Bottas ausspricht, muss irgendetwas schief gelaufen sein. Lewis Hamilton verlor durch einen Schaden am Unterboden 30 Punkte Abtrieb. Aber auch mit einem intakten Auto hätte er Max Verstappen nicht geschlagen.
Mercedes wartet nun schon seit fünf Rennen auf einen Sieg. Der Red Bull-Ring war fest in der Hand von Red Bull und Max Verstappen. Mit seinen zwei Sieg.n innerhalb von sieben Tage vergrößerte der Niederländer seinen Vorsprung auf Lewis Hamilton in der WM auf 32 Zähler. Jetzt darf der Red Bull-Pilot einmal ausfallen und Hamilton einmal voll punkten, und er läge immer noch in Führung.
Mercedes hat die beiden Österreich-Rennen verloren, weil Red Bull das schnellere Auto hatte. Daran änderten auch die weicheren Reifen und kühleren Temperaturen am zweiten Spielberg-Wochenenden nichts. Der Unterschied blieb bei zwei bis drei Zehntel eingefroren. Dafür ist Mercedes als Team noch mit einem blauen Auge davongekommen. Der Titelverteidiger verlor den steirischen Doppelschlag nur mit 64:71 Punkten.
Wie groß der Abstand wirklich war, werden wir nie erfahren. Lewis Hamilton fuhr ab der 29. Runde mit einem beschädigten Auto. Hinten links war im Bereich des Hinterreifens ein Stück Unterboden rausgebrochen. Es passierte vermutlich beim Überfahren des Randsteins ausgangs Kurve 10. "Lewis trifft keine Schuld", beteuerte Teamchef Toto Wolff. Hamilton bestätigte: "Ich bin nicht mehr über die Randsteine gefahren wie die anderen."
Die Plätze zwei und vier sind nach Ansicht des Teamchefs unter den Umständen ein gutes Resultat. "Wenn wir zu Beginn des Rennens nicht so lange hinter dem McLaren gelegen wären, wären wir nicht so weit von Max weg gewesen. Wir hätten nicht gewonnen, ihn aber mehr unter Druck gesetzt. Abgesehen von dem Problem am Auto von Lewis waren wir diesen Sonntag besser unterwegs als den letzten."
Die drei Befehle an Bottas
Der Schaden kostete laut Wolff schätzungsweise 30 Punkte Abtrieb. Die Ingenieure übersetzten das in Rundenzeit. "Lewis verlor mindestens eine halbe Sekunde pro Runde auf seine normalen Zeiten." Da kann auch ein Weltmeister nicht zaubern. "Ich spürte das Heck nicht mehr und habe vor allem in den schnellen Kurven Zeit liegengelassen." Zu dem Zeitpunkt hatte Hamilton noch 4,7 Sekunden Vorsprung auf Lando Norris und Valtteri Bottas, die sich um Platz drei stritten. Die Boxenstopps kehrten die Reihenfolge hinter der Startnummer 44 um. Norris musste eine Fünfsekunden-Strafe absitzen.
Es dauerte 15 Runden, dann hatte Bottas mit Norris im Schlepptau den kränkelnden Mercedes auf dem zweiten Platz eingeholt. Jetzt war guter Rat teuer. Erste Anweisung an Bottas: "Halte die Position." Die Strategen erklärten: "Da dachten wir noch, dass Lewis den zweiten Reifensatz bis zum Ende durchbringt." Dann kam das Kommando an Bottas: "Du darfst Lewis angreifen." So wollte man Hamilton als Puffer nutzen, um Bottas Manndeckung im Kampf gegen Norris zu geben.
Doch auch dieser Plan hatte nur eine kurze Halbwertszeit. Der Kommandostand ordnete einen Platztausch zu Gunsten von Bottas an. Das kommt selten genug vor und muss erklärt werden. "Als Folge des Aerodynamikschadens bauten die Reifen bei Lewis immer stärker ab. Uns war klar, dass wir ihn ein zweites Mal an die Box holen müssen. Also musste Valtteri so schnell wie möglich vorbei, um keine Zeit auf Norris zu verlieren. Priorität hatte den zweiten Platz zu sichern."
Red Bull rüstet auf, Mercedes stagniert
Mit der frischen Garnitur der harten Reifen und weniger Flapanstellung am Frontflügel war Hamilton trotz des Handikaps erstaunlich flott unterwegs. Mit 1.08,126 Minuten gelang ihm immerhin die drittschnellste Rennrunde. "Am Anfang hat der Grip des frischen Reifens den Abtriebsverlust ein bisschen überdeckt", erzählten die Ingenieure. Hamilton meinte trotzdem frustriert: "Auch bei einem optimalen Rennen wäre ich nur Zweiter geworden. Wenn Max mit zwei Boxenstopps 18 Sekunden vor uns mit einem Stopp ins Ziel kommt, dann sieht man, wie überlegen Red Bull war. Wir haben viel Arbeit vor uns."
Mercedes erklärt Red Bulls neue Führungsrolle damit, dass der WM-Gegner in den letzten vier Rennen Upgrades am Fließband brachte und man selbst nichts: "Die hatten jedes Rennen neue Teile dabei." Im Detail: Frontflügel, Diffusor, Chassis, Leitbleche. Dazu noch mehr Power vom Motor. Da muss man sich über das Ergebnis nicht wundern.
Mercedes wird sein Auto erst in Silverstone aufrüsten. Es ist ein vergleichsweise kleiner Schritt, der die Welt nicht auf den Kopf stellen wird. Aber dafür ist Silverstone Mercedes-Land. "Die haben die letzten sieben Jahre dort dominiert", blickt Red Bull-Teamchef Christian Horner zurück.
Toto Wolff wirft die Flinte noch lange nicht ins Korn: "Es sind noch 14 Rennen zu fahren, und wir liegen etwas mehr als eine Nullrunde hinter Max. Wir haben in den letzten beiden Rennen erlebt, dass es nicht rund gelaufen ist. Wenn wir die Gründe dafür herausfinden und abstellen werden wir auch wieder gewinnen." In diesem Sinne sind Silverstone und der Hungaroring Schlüsselrennen. Wenn die auch an Red Bull gehen, dann könnte die goldene Serie von Mercedes tatsächlich reißen.