Jedes Teil wird gezählt
Zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1 dürfen die Teams im operativen Geschäft nicht mehr als 145 Millionen Dollar ausgeben. Klingt nach viel, ist aber plötzlich ganz wenig, wenn man einen großen Crash hat. Die Teams müssen bei jedem Rennen eine Inventarliste an die FIA abgeben.
In diesem Jahr geht die Formel 1 in eine neue Ära. Zum ersten Mal dürfen die Teams nicht mehr beliebig viel Geld ausgeben. Zum ersten Mal wird das operative Geschäft mit einem Kostendeckel begrenzt. Und das in einem Jahr, in dem es mehr Rennen als je zuvor gibt und sich alle Teams auf eine Saison mit einem völlig neuen Reglement vorbereiten müssen. Was erlaubt ist und was nicht, steht auf 48 Seiten im Finanz-Reglement der FIA. Alfa Romeo-Sportdirektor Beat Zehnder gibt zu: "Wir sind alle noch am Lernen."
Für die großen Teams ist die Obergrenze von 145 Millionen Dollar eine Herausforderung. Trotz der vielen Ausnahmen. "Wir geben in diesem Jahr zwischen 80 und 100 Millionen Dollar weniger aus als sonst", verrät Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Ferrari und Red Bull geht es genauso. Da wird jeder Dollar zwei Mal umgedreht. Auch McLaren und Alpine müssen sich einschränken. Sie kratzen gerade so an der Grenze des Kostendeckels.
Und selbst die kleinen Teams haben nicht unbegrenzt Luft nach oben. Weil für sie der Kostendeckel niedriger liegt. Ein Team wie Haas, das großzügig bei Ferrari einkauft, darf nur 120 Millionen Dollar ausgeben. Der Nominalwert der Entwicklungskosten von Fremdteilen wird vom Budgetdeckel abgezogen. Diese Regelung betrifft auch andere Kundenteams wie Alfa Romeo, Alpha Tauri, Aston Martin und Williams.
Alfa Romeo mit 24.000 Teilen
Bis jetzt war es relativ ruhig um die Budgetdeckelung. Man fragte sich schon, ob die Teams überhaupt überwacht werden. Manche im Feld sprachen bereits vom "Wilden Westen", verbunden mit der Sorge, ob die Ausgaben lückenlos überwacht werden können. Tatsächlich müssen die Teams den Prüfern in bestimmten Abständen genauen Report erstatten. Wer zu spät dran ist, bezahlt Strafen.
So muss jedes Team vor jedem Rennen eine Inventarliste abgeben. Darauf stehen die Teile, die im Reisegepäck sind. Die FIA kontrolliert vor Ort stichprobeweise, welche Teile neu sind und was vom letzten Jahr oder von anderen Teams übernommen wurde.
Beat Zehnder erklärt: "Da wird quasi alles aufgeführt, was größer als eine Schraube im M8-Durchmesser ist. Bei uns sind es in Imola 24.000 Teile gewesen." Das bedeutet für die Teams einen zusätzlichen Aufwand. Zehnder: "Wir hoffen, dass dieser Aufwand irgendwann etwas weniger wird, wenn man die Teile mit Chips versehen kann, die man nur noch scannen muss."
Trotzdem begrüßen vor allem die kleinen Teams diesen Schritt. Weil er sie eines Tages vielleicht näher an die großen Rennställe heranbringen wird. So sieht es auch der Sportdirektor aus Hinwil: "Es ist anstrengend, aber wenn es dem Sport guttut, dann müssen wir den administrativen Aufwand auf uns nehmen."
Unfallschäden von einer Million
Als Schutz vor Missbrauch mussten sich die Teamchefs und Geschäftsführer dazu verpflichten, im Betrugsfall persönlich zu haften. Wer beim Schummeln erwischt wird kann seine Bewerber-Lizenz für alle FIA-Serien verlieren. Das ist kein neues Verfahren. Genauso wird es bei Windkanalstunden und CFD-Nutzung gehandhabt. Kontrolliert wird quasi doppelt. Erst durch die eigene Buchprüfungsfirma, dann durch eine, die von der FIA bestellt wird.
Die Strafen für verzögerte Meldungen oder Überziehen des Budgets sind im FIA-Reglement festgeschrieben. Wer zu viel ausgibt, wird zusätzlich im Jahr darauf entsprechend zurückgestuft. Es kann aber bis zu einem halben Jahr dauern, bis Strafen tatsächlich ausgesprochen werden. "Wen interessiert das dann noch, wenn du Punkte und ein paar Plätze in der WM verlierst?", fragt ein Teamchef provokant.
Obwohl die Saison noch jung ist, spüren die Teams den Kostendeckel jetzt schon. Für Mercedes war der Unfall von Valtteri Bottas im doppelten Sinn ein Schlag ins Gesicht. Er kostete WM-Punkte und viel Geld. Von Schäden bis zu einer Million Dollar ist die Rede.
Früher wäre dieser Posten ohne Folgen unter "außerordentliche Aufwendungen" verbucht worden. Jetzt nicht mehr. "Wir bewegen uns mit dem Kostendeckel am Limit. Ein unerwarteter Unfallschaden in dieser Größenordnung muss anderswo eingespart werden. Das kann uns im schlimmsten Fall in der Entwicklung des Autos zurückwerfen", beschreibt Toto Wolff den Ernst der Lage.
Kostendeckel-Falle: Unerwartete Kosten
Die Teams preisen Unfallschäden zwar vor Saisonbeginn in ihre Budgets ein, doch die Höhe richtet sich nach Erfahrungswerten aus der Vergangenheit. Chefingenieur Andrew Shovlin bedauert, dass dem Team nun die nahezu unfallfreie Vergangenheit auf den Kopf fällt. "Unsere Fahrer haben in den letzten Jahren sehr wenig kaputtgemacht. Da sind Schäden wie in Imola nicht wirklich im Plan. Wenn das jetzt fehlt, muss es anderswo herkommen."
Ärgerlich ist, dass es sich bei den zerstörten Teilen um praktisch neue Komponenten handelt. Passiert so ein Unfall später in der Saison, kann man das Glück haben, dass die Teile ohnehin nicht mehr gebraucht werden oder am Ende ihrer Lebensdauer sind.
Deshalb wird das Bottas-Wrack nach seiner Rückkehr nach England ganz genau seziert, um zu schauen, was noch brauchbar ist. Dazu kommt ja auch noch ein zerbrochener Frontflügel von Lewis Hamilton. Das eine Mal ist vielleicht noch nicht WM-entscheidend. "Aber wenn du eine Serie solcher Unfälle hast und dein Teile-Budget überreizt, dann kann das einen Einfluss haben", mahnt Shovlin.