BMW X5 xDrive 30d, Mercedes GLE 350 d 4MATIC
Auf dem Foto fährt der neue Mercedes GLE eindeutig vorn. Doch der dicht folgende BMW X5 lauert, will überholen. Wir ermitteln die Rangfolge in einem Vergleichstest der Oberklasse-SUV mit rund 600 Newtonmeter stemmenden Dieseltriebwerken.
Wurde das Asphaltgebirge auf der Landstraße gerade während eines Zeitsprungs eingeebnet? Jener müsste zwischen dem Abstellen des BMW X5 und dem Umsteigen in dessen Konkurrenten stattgefunden haben. Zeitsprünge gelten nach aktuellem Stand der Physik jedoch als unmöglich. Stattdessen ist alles ganz natürlich und erklärlich, wie schon Meister Eder wusste. Nur – wo sind die fiesen Verwerfungen gelandet? Einfache Antwort: in der Luftfederung des Mercedes GLE.
Wobei die Sache natürlich nicht ganz so einfach ist, denn der BMW X5 federt ebenso gegen Aufpreis mit Luft. Und er stellt sich dabei alles andere als ungeschickt an. Unsere eigene Begeisterung hallt noch aus Heft 1/2019 nach, als er seine Gegner Audi Q7, Volvo XC90 und VW Touareg abgefedert hat – auch übrigens, weil er Bodenwellen „ mit abgeklärter Gleichgültigkeit“ absorbierte.
Das erschien umso bemerkenswerter, weil seine Vorgänger ein gegenteiliges Konzept vertraten. Wie viele andere nahmen sie das Wort „Sport“ in der Klassifizierung als SUV zu wörtlich, und dieser Ehrgeiz ging zulasten des Federungskomforts. Den musste sich der BMW X5 über drei Generationen und ebenso viele Modellpflegen erst antrainieren. Generation vier hat entscheidende Fortschritte erzielt. Weshalb man während der aktuellen Testfahrt erneut voll des Lobes ist und denkt: „Für einen SUV federt der aber wirklich gut.“
Die Mühe erscheint mühelos
Hier draußen im bewaldeten Mittelgebirge blieben die Straßen wohl seit Jahrzehnten sich selbst überlassen; dennoch dringen keine unangenehmen Stöße in die Sitze des BMW X5 vor. Stattdessen registriert man vor allem im Fond ausgeprägte Hübe – sie lassen den Körper im Takt der Bodenwellen wippen. Und sie vollziehen damit den Weg der Stoßdämpfer nach, bis diese die Anregungen durch die Bodenwellen in Reibungswärme umgewandelt haben.
Dann steigt man in den Mercedes GLE um und bemerkt schon nach wenigen Metern Fahrt: Die eben geäußerte Anerkennung will differenziert und eingeordnet werden. Keine Frage, der BMW X5 gibt sich merklich Mühe. Doch der Mercedes zeigt nun, dass echte Könnerschaft die dahinterstehende Mühe schlicht mühelos erscheinen lässt; Könner präsentieren ihre Leistung wie beiläufig.
Und damit sind wir bei der eingangs geäußerten Frage, ob die Straße während eines Zeitsprungs ausgebessert worden sei – die Oberfläche präsentiert sich nicht mehr als Kraterlandschaft, welche ein fleißiges Fahrwerk erträglich glatt streicht. Der Mercedes GLE wertet sie scheinbar zur leicht gekräuselten Landstraße auf, über die man sogar schneller als im BMW X5 hinwegfegen kann.
Die Mercedes-Karosserie lenkt nicht weit aus, sondern bleibt bei sich. Dennoch werden Unebenheiten nicht ans Chassis weitergereicht – sie scheinen auf kurzen Wegen in die Luftfederung zu diffundieren. Man registriert als Mitreisender erfreulich wenig. Lediglich das Anfedern könnte weicher gelingen, wenn keine 21-Zoll-Protzfelgen montiert wären. Oder das Superduper-ABC-Fahrwerk an Bord wäre (nur eine Vermutung).
Im Fond strahlt der Mercedes GLE eine erholsame Ruhe aus, die wundersam auf die Passagiere übergreift. Nun dürften die wenigsten SUV-Erwerber Altruismus als Kaufgrund anführen und sich stattdessen fragen: „Was bringt mir das als Fahrer?“ Die Antwort: erholsame Ruhe – am Steuer. Denn da lenken sich die Kurven praktisch von alleine.
Erstaunlicherweise fühlt sich der Mercedes GLE 350 d handlicher an als der BMW X5, obwohl dieser voll auf Sport setzt. So kommt der BMW xDrive 30d mit Sportdifferenzial, Sportauspuff, Sportgetriebe sowie Sportbremse. Zusätzlich gönnt sich der Testwagen 21-Zöller mit 315er-Hinterreifen samt sportlichem Profil (2.100 Euro), Luftfederung rundum (1.250 Euro) und Hinterachslenkung (1.250 Euro).
Einige dieser Optionen sind an das 7.000 Euro teure M-Sportpaket gekoppelt, weshalb wir dessen Preis bei den Kosten einkalkulieren. Das bedeutet Punktabzug für den BMW, den er mit der großzügigeren Garantieleistung allerdings wieder ausgleicht.
Zudem erkauft sich der BMW X5 mit den Sport-Extras einen Agilitätsvorteil. Entsprechend hoch motiviert legt er los. So sehr, dass man den Überschwang korrigieren muss. Denn die Lenkung ist spitz ausgelegt: Sie packt aus der Mittellage heraus so direkt an, dass der Geradeauslauf auf der Autobahn leicht fahrig wirkt.
Auf ringeligen Landstraßen setzt der X5 seine Dynamikoptionen ein, präsentiert bei Lastwechseln oder zu hastigem Einlenken stolz sein Heck. Das wirkt in engen Kurven höchst agil, in schnellen Passagen dagegen höchst irritierend und kann zu schwitzigen Handflächen führen.
Es stampft im Aufbau
Diese Abstimmung soll über das enorme Gewicht von 2,3 Tonnen (inklusive Fahrer) hinwegtäuschen, doch vor allem beim Umsetzen materialisiert es sich wieder: in stampfenden Aufbaubewegungen und im Platzbedarf – der BMW X5 rutscht über die Hinterachse. Bei den Fahrdynamiktests muss man also den Grenzbereich akribisch unterfahren, um schnelle Zeiten zu erreichen.
Nun ist das Thema Fahrdynamikzeiten bei SUV-Riesen eher Randerscheinung. Was dagegen zählt? Platz. Auf den Rücksitzen des X5 kann man es sich schon gemütlich machen, aber erst der Mercedes GLE rechtfertigt seine beträchtliche Verkehrsfläche – sie entspricht einem Studentenzimmer mit zehn Quadratmetern – auch innen: 835 Millimeter Normsitzraum liegen über S-Klasse-Niveau. Auch das Gepäckabteil beeindruckt mit bis zu 2.055 Litern Volumen (BMW: 1.860 Liter). Zudem darf der Mercedes 139 Kilogramm mehr schleppen.
Was noch zählt: luxuriöses Ambiente. Beim Zeigen-was-man-hat sparen beide Hersteller nicht, ziehen diverse Register, um ihre Klientel zu beeindrucken: BMW fährt Glasapplikationen im Swarovski-Look auf, Mercedes vertäfelt mit offenporigem Holzfurnier, das aus dem Vollen geschnitten scheint. Letzteres bringt einen Hauch analoger Authentizität in das digitale Umfeld zurück. Denn natürlich breiten sich auch in den Luxus-SUV die unvermeidlichen Touchscreens samt unzähliger Daddelfunktionen aus.
Ihre enorme Fülle lässt sich im BMW X5 per Dreh-Drück-Steller etwas einfacher steuern als im Mercedes GLE mit seiner komplexen Bedienfläche – letztere kennt man vor allem von Notebooks. Im Gegenzug überrascht der Mercedes mit einer Sprachsteuerung, welche diejenige des BMW an Kognition nochmals übertrifft.
Piepsen bringt Punkte
Diese Unterschiede werden Zweiflern wohl keinen Ausschlag für das eine oder andere Modell geben. Ebenso wenig, dass der X5 dem GLE einen Concierge-Service, ein DVD-Laufwerk sowie einen Streaming-Dienst für Musik voraus hat. Oder einen Warnpiepser, falls man beim Aussteigen sein Smartphone in der induktiven Ladeschale vergisst. Aber sie bringen Punkte ein, mit denen der BMW sein Defizit im Komfortkapitel ausgleicht.
Er muss aufholen, denn der GLE hat vorgelegt. Unter anderem mit seinem großzügigen Platzangebot und der unerschütterlichen Fahrsicherheit bei gleichzeitig hoher Handlichkeit. Auch mit dem etwas kürzeren Bremsweg aus Tempo 100.
Blieben die Motoren und ihre Peripherie. Beide SUV-Giganten schieben ihre schweren Leiber mit Dreiliter-Reihensechszylindern an, lassen diese selbstzünden und dabei vorwiegend säuseln. Der Mercedes GLE 350 d ist etwas niedertouriger ausgelegt, packt früher an. Der BMW X5 30d dagegen dreht freudiger hoch und stiebt fast eine Sekunde schneller aus dem Stand auf 100 Stundenkilometer.
Doch sein eigentliches Ass zieht der BMW erst noch aus dem Ärmel: den Verbrauch. Den 30d sparsam zu nennen, wäre ein Euphemismus. Immerhin ist er sparsamer als der 350 d, kommt mit 9,2 statt 9,8 Litern Diesel auf 100 Kilometer. Entsprechend emittiert er weniger CO2. Das geht besonders streng in die Bewertung ein – der X5 kassiert ein Plus von fünf Punkten. Reicht das, um am GLE vorbeizuziehen?
Nein, denn auch der Mercedes hält noch ein Ass im Ärmel: die Abgasreinigung. Er ist bereits nach der derzeit schärfsten Norm 6d ohne Temp eingestuft – das bringt nicht nur Sauberkeit, sondern auch den Sieg.