Der Lamborghini Gallardo LP 560-4 im sport auto Supertest
Mehr Leistung fühlt sich zwar immer gut an, ist aber in puncto Sportlichkeit nicht in jedem Fall zielführend. Der neue, 560 PS starke Lamborghini Gallardo LP 560-4 zeigte neben einer eindrucksvollen Längsdynamik ein paar Anlaufschwierigkeiten, die seine Performance auf dem Ring schmälerten.
Wer einen Achttausender erklimmen will, sollte extrem gut vorbereitet sein. Nordic Walking-Stöcke – schön und gut. Mehr Kondition durch das Zehner-Abo in der Mucki-Bude – okay. Die Wanderschuhe von der letztjährigen Bergtour im Schwarzwald – auch nicht schlecht. Aber wer Höhen von Messnerschen Dimensionen ins Auge fasst, sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Anstieg in die höchsten Sphären kein Zuckerschlecken, sondern eine ganz ernsthafte Prüfung ist. Eine zu hohe Erwartungshaltung bei der Planung, eine falsche Strategie oder fehlerbehaftetes Material, und schon ist der Gipfelstürmerei ein vorzeitiges Ende gesetzt.
Was der Achttausender beim Bergsteigen, ist die Acht-Minuten-Zeitgrenze auf der Nordschleife des Nürburgrings. Wer hier wie dort nicht über Topmaterial verfügt und/oder mental und körperlich schlecht vorbereitet die höhere Weihen verheißende Herausforderung in Angriff nimmt, hat schon im Basis- beziehungsweise Fahrerlager verwachst. Das Prinzip Hoffnung gilt in beiden Fällen nämlich ausschließlich in Bezug aufs Wetter. Unwissenheit hingegen führt geradewegs in den Abgrund und Blauäugigkeit im günstigsten Fall in tiefe Talsohlen der Schmach. Die Analogie zwischen dem Achttausender und der Acht-Minuten-Marke auf der Nordschleife verdeutlicht die Problematik, vor die sich selbst ausgewiesene Topathleten vom Schlage des neuen Lamborghini Gallardo LP 560-4 angesichts der extremen Herausforderung gestellt sehen: Die Luft an der Spitze ist extrem dünn.
Der Lamborghini Gallardo LP 560-4 atmet dünne Luft
Kleine Fehler im System können – wie geschehen – den grundsätzlich keineswegs abwegigen Anspruch, die Grenzen noch ein Stück weiter auszudehnen, schneller zunichte machen, als man gucken kann. Nun ist es keineswegs so, dass der mit dem neuen 560 PS starken Zehnzylinder gestärkt ins Rennen um Bestzeiten gehende Gallardo die Messlatte signifikant verfehlt hätte. Den Achttausender hat er locker gemeistert. Nur gelang es ihm nicht, die Vorgabe seines um 60 PS schwächeren Vorgängers – 7.52 Minuten für die Umrundung der Nordschleife – zu toppen. Was angesichts seiner erhöhten nominellen Stärken eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Aber es gab – und gibt – triftige Gründe, warum der LP 560-4 das vom Werk avisierte Ziel, zumindest die vom Superleggera vorgelegte Zeit von 7.46 Minuten zu schlagen, deutlich verfehlte.
Vermutlich waren es ausgerechnet die neuen, in den auch geometrisch überarbeiteten Radaufhängungen eingesetzten High-Tech-Lager aus einer speziellen Gummi-Metall-Kombination, die dem Fahrverhalten des Gallardo zumindest bei den ersten beiden im Rahmen des Supertests am Ring gefahrenen Modellen eine – sagen wir besondere Note verliehen. Etwa so, als werde der wie gehabt mit einer zentralen Viscokupplung, einem mechanischen Sperrdifferenzial an der Hinterachse und einer elektronischen Differenzialsperre vorn bestückte und damit Ganzjahres-taugliche Allradler ungleichmäßig unter Spannung versetzt, liefen beide getesteten Versionen schon anlässlich kleiner Lastwechsel – wie sie etwa beim Schalten auftreten –, leicht, aber merklich aus dem Ruder: mal ein Zucken nach links, mal nach rechts, jeweils abhängig von Schub und Zug.
Während solche unliebsamen Bewegungsmuster bei Geradeausfahrt bei abgebrühteren Naturen (oder Ignoranten) nur ein Achselzucken hervorrufen, taugen sie in Kurven schon eher für den einen oder anderen Schreckmoment. Lastwechsel, egal ob durch Schalten verursacht oder einfach nur durch wechselhafte Gaszufuhr, machen sich wegen des damit meist verbundenen Drängen des Hecks in Biegungen bekanntlich nicht so gut. Besonders dann nicht, wenn es darum geht, die so reizend auf Abruf bereitstehende Leistung auch in achtbare Rundenzeiten umzusetzen. Immerhin sind es 560 Pferdestärken, die hier am Werk sind – noch dazu solche, die mit bester Traktion gesegnet sind.
Immerhin zeigten die kritischen Bemerkungen zum Fahrverhalten auf dem Ring seitens Lamborghini umgehend Wirkung. Das dritte Modell – nach einem gelben und grünen zum guten Schluss ein weißes – trat dem Vernehmen nach erstmals wieder mit den in der Shorehärte verstärkten Elastokinematik-Elementen in den Radaufhängungen an. Damit zeigte der LP 560-4 am fahrdynamischen Limit schließlich wieder genau jene Vertrauenswürdigkeit im Grenzbereich, mit der schon der erste Gallardo im Supertest vorstellig geworden war, und die zur intimen Annäherung an die physikalischen Grenzen grundsätzlich unerlässlich ist. Dass die Rundenzeit mit dem subjektiv erheblich besser eingestellten Sportfahrwerk beim dritten Anlauf nicht verbessert werden konnte, hat einen weiteren, fast kurios anmutenden Grund: Ausgerechnet die Sportreifen, die im Sinn besserer Fahrdynamik zumindest bei solchen Sportwagen Standard geworden sind, die im harten Wettbewerb um die besten Supertest-Rundenzeiten stehen, waren Anlass für erhebliche Irritationen im System.
Sportreifen irritieren das System
Die vom Hersteller selbst für den besonderen Einsatzzweck auserkorenen Pirelli P Zero Corsa stellen zwar die erwarteten Gripeigenschaften zur Disposition. Aber was in der Begeisterung für die gewonnene Querdynamik vielfach vergessen wird, ist der Einfluss der Reifen auf die Bremsleistung – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Die Eingriffsmodalitäten des ABS sind nämlich keineswegs unabhängig von der Qualifikation der Reifen. Da allem Anschein nach keine Adaption vorgenommen worden war, sorgten die veränderten Reibwerte dafür, dass das ABS an neuralgischen Stellen der Nordschleife unangenehm früh mit Regeleingriffen vorstellig wurde – besonders in Bremszonen, in denen topografisch bedingte Radlastveränderungen auftreten.
Eine dadurch einmal erlebte Bremsweg-Verlängerung führt in der Folge automatisch zu vorgezogenen Bremspunkten, was im Sinne niedriger Rundenzeiten auf Dauer kontraproduktiv ist –1 womit die enttäuschende Rundenzeit weitestgehend erklärt wäre. Zugunsten des Angeklagten darf man allerdings davon ausgehen, dass er die Runde mit der zivileren Reifen-Spezifikation (Pirelli P Zero Rosso) und mit folglich angemessen hoher Eingriffsschwelle des ABS mindestens genauso schnell bewältigt hätte wie mit den Sportreifen – wenn nicht gar schneller. Vermutlich wird der LP 560-4 auch in der Lage sein, die bisherige, vom Vorgänger namens Superleggera im Supertest gefahrene Bestzeit (7.46 Minuten) zu knacken, sofern die notwendige Harmonie zwischen Sportreifen und ABS erst einmal hergestellt ist.
Denn im Grunde genommen ist das technische Potenzial, das der LP 560-4 in die Waagschale werfen kann, dazu geeignet, höchsten Ansprüchen sowohl in Bezug auf die Längs- als auch auf die Querdynamik zu genügen. Die Mittelmotor-Bauweise mit der zwar nicht paritätisch ausgewogenen, aber immerhin traktionsfördernden Gewichtsverteilung von 42,1 zu 57,9 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse ist schließlich die ideale Voraussetzung für eine Vorstellung nach Maß. In Hockenheim ließ der 1.590 Kilogramm schwere und daher mit einem Leistungsgewicht von nur 2,8 Kilogramm pro PS antretende Zweisitzer jedenfalls nichts anbrennen, obwohl er im Badischen noch in der ursprünglichen Fassung – also mit den in der Shore-Härte nachgiebigeren Achslagern – an den Start ging. Die definierte Nachgiebigkeit in den Radaufhängungen, die fraglos einem erhöhten Abrollkomfort gewidmet ist, gerät ihm auf diesem vergleichsweise ebenen Geläuf weniger plakativ zum Nachteil wie auf dem Nürburgring mit dessen be- und entlastender Berg-und-Tal-Topografie.
Immerhin war der Gallardo auf dem Kleinen Kurs in der Lage, die von der Leichtbau-Version des Vorgängers vorgelegte Zeit (1.10.9 Minuten) wenigstens annäherungsweise zu erreichen – wenn auch im Nachblick nicht ganz so souverän. Mit der Hockenheim-Runde in 1.11,3 Minuten reiht er sich – alle Achtung – nur um zwei Zehntelsekunden geschlagen gleich hinter dem Porsche GT3 RS ein. Und er schafft auch einen Achtungserfolg gegenüber der Corvette Z06 , die den Kleinen Kurs um vier Zehntelsekunden langsamer absolvierte. Und das alles trotz der Eigenart, schon beim zackigen Einlenken anzuzeigen, dass mit ihm nicht immer und überall gut Kirschen essen ist.
Achtbare Hockenheimrunde trotz mangelnder Souveränität
Im weiteren Kurvenverlauf wird durch die beschriebenen Lastwechselreaktionen das Heck zuweilen so unruhig, dass im Ernstfall auch mal das Fahrkönnen des Fahrers intensiv auf die Probe gestellt wird. Auch energisch betriebene Bremsmanöver sind nicht nur hinsichtlich der Verzögerungsleistung eindrucksvoll, sondern auch in ihrer spannungsgeladenen Dramaturgie: Das seitlich wechselhafte Aus-der-Spur-Laufen ist vermutlich auch das Ergebnis einer nicht optimal koordinierten Zusammenarbeit zwischen Sportreifen und ABS. Der unruhige Bremsverlauf ist darüber hinaus dem Nicken der Karosserie geschuldet, das letztlich ebenso ein Zeichen vergleichsweise moderater Federraten und/oder partieller Unterdämpfung ist wie die in Kurven recht starke Seitenneigung.
Das mit Abstand erfreulichste Kapitel betrifft den Antrieb des neuen LP 560-4: Der von der Audi-Mutter beigesteuerte, dank Benzin-Direkteinspritzung immerhin von der Papiernorm her in puncto Spritverbrauch und Emissionsverhalten doch etwas zurückhaltender agierende 90-Grad-V10-Motor ist jedenfalls keiner, der seinen Auftrag nur halbherzig erfüllen würde. Er geht am liebsten immer und überall aufs Ganze.
Schon subjektiv offenbart sich der im Rücken der Besatzung förmlich vor Tatendrang bebende Zehnzylinder als ein Triebwerk von so eindrucksvoller Ausdrucksstärke, dass es einem schon angesichts der Klanggewalt schlicht die Schuhe auszieht. In Verbindung mit dem bereits vom Vorgänger bekannten, automatisierten Sechsganggetriebe (e-gear) sind jedenfalls vom Grundsatz her so erstklassige Bedingungen geschaffen, dass die Konkurrenz spontan in Schreckstarre verfallen müsste. Zusammen mit dem im Verlauf intensiver Überarbeitung nicht nur erleichterten, sondern in der Schaltgeschwindigkeit auch um 40 Prozent verbesserten Getriebes stellt der LP 560-4 einen Antriebsstrang zur Verfügung, den allen hochmodernen technischen Ingredienzien zum Trotz noch immer die betörende Aura eines Rennmotors aus den sechziger Jahren umgibt – laut, aggressiv und für ungewohnte Ohren manchmal auch beängstigend.
In der ersten Warmlaufphase, also dann, wenn die Auspuffklappen für ein paar Sekunden lang auf Durchzug stehen, werden die Trommelfelle energisch massiert und die Nackenhaare stramm ausgerichtet. Nach der eindrucksvollen Ouvertüre geht die Maschine zunächst bis 4.000/min vergleichsweise zivilisiert zur Sache, um dann ab 4.000 Touren wieder die Klappe aufzureißen und den wilden Mann zu spielen. Das passt zwar nicht unbedingt zu jedem Auftritt. Aber jeder Auftritt ist ein klares, unmissverständliches Statement nach dem Motto: Hoch lebe der Verbrennungsmotor – dreimal hoch.
Eine eindrucksvolle Ouvertüre für die Trommelfelle
Das automatisierte Sechsganggetriebe mit der nun komplett im Inneren des Gehäuses untergebrachten Hydraulik überzeugt außerdem in der jüngsten Fassung mit einer deutlich verbesserten Arbeitsweise. Die Gangwechsel gehen nicht nur schneller, sondern auch erheblich verschliffener vonstatten. Kein Vergleich mehr mit den teils ruppigen Gangwechseln bisheriger Versionen, die beim Herunterschalten mit extrem lauten, auf Dauer doch eher nervenden Zwischengasfanfaren um Aufmerksamkeit buhlten.
Einen sanften Umgang mit dem Gaspedal vorausgesetzt, wird in der alternativ angebotenen Automatikebene sogar der Eindruck erweckt, es mit einem auf Komfort hingetrimmten Antrieb zu tun zu haben. Diese ambivalenten Charakterzüge – Kraftmeierei auf der einen und angepasste Zivilisiertheit auf der anderen Seite –, ist sicher den Audi-Genen zu verdanken. Diese sind der technischen Substanz des Gallardo wohl oder übel implantiert und machen sich als vermittelnde Instanzen hier und da bemerkbar – siehe die Verarbeitungsqualität im Allgemeinen und die Cockpit-Anmutung im Besondern. Dass bei angemessenem Freilauf die Leistungsentfaltung jedesmal aufs Neue in irrsinnigen Gewalttätigkeiten gipfelt, ist jedoch ein ganz typisches Lamborghini-Merkmal.