ESP-Systeme im großen Test - Teil 2
Jetzt, unter optimalen Trockenbedingungen, wächst der Abstand zwischen Mensch und den ESP-Systemen von Nissan 370Z, BMW M4, C63 AMG und 911 - aber zum Teil weit weniger drastisch als erhofft.
Manchmal ist einfach der Wurm drin. Und die vergangene Ausgabe war ein Paradebeispiel dafür. Erst verdarb uns das Wetter unseren fein säuberlich vorbereiteten Sport-ESP-Test, und dann streikte auch noch die Messdatenaufzeichnung, sodass der Vergleich zwischen Porsche 911 und Mercedes-AMG ohne Rundenzeitengrafik auskommen musste. Sie glauben nicht, wie wir geflucht haben vor Weihnachten.
Immerhin folgt ein Monat später nun das Glück im Unglück. Nicht nur, dass uns der Januar einen Messtag nach Hockenheim gezaubert hat, wie wir ihn uns nicht auszumalen getraut hätten. Sondern auch, weil sie bei Porsche mitgedacht haben und just jenen Carrera S schickten, der im Dezember gegen den AMG GT antrat.
Maximale Performance trotz eingeschaltetem ESP?
Der Grund, dass es diesmal sogar noch einen Tick schneller ging, mag in den Minusgraden zu suchen sein und/oder darin, dass der Sener einen richtigen Sahnetag erwischt hatte. Doch weder die Tatsache noch die Ursachen spielen für diese Geschichte eine Rolle. Denn wie schon beim ersten Teil, der wie gesagt im Regen stattfinden musste, geht es auch hier nicht um absolute Zeiten, sondern um relative, also um die Abstände, die man in den verschiedenen ESP-Stellungen rausfährt oder eben nicht. Im Klartext: Wir wollen wissen, was dran ist an der Aussage vieler Hersteller, wonach man das ESP zum Erreichen maximaler Performance gar nicht mehr abschalten müsse.
Im Nassen hatte sich dieses Horrorszenario tatsächlich bewahrheitet. Zumindest insofern, als der Unterschied zwischen den Zeiten mit und ohne ESP-Unterstützung derart gering gewesen ist, dass man von einem Unterschied eigentlich gar nicht mehr sprechen konnte. Das beste Beispiel lieferte der C 63. Er splittet sein Stabilitätsprogramm – wie heutzutage üblich – in drei Modi auf: On, Off sowie die Zwischenstufe Sport. Und obwohl sich die Unterschiedlichkeit all dieser Stellungen im Fahrgefühl klar bemerkbar machte, verdichteten sich alle drei Rundenzeiten in einem Bereich von zwei Zehntelsekunden. Und der ist praktisch zu vernachlässigen, wenn man bedenkt, dass man nicht jede Kurve in jeder Runde gleich gut trifft.
Kaum Differenzen bei feuchten Bedingungen
Doch wie lautet dann die Schlussfolgerung daraus? Heißt das wirklich, dass man als Fahrer keinen entscheidenden Vorsprung mehr auf die Elektronik herausholen kann? Unsere Antwort: ein energisches Nein. Denn die Ursache für die geringen Differenzen lag nicht im Geschick irgendwelcher Sensoren oder Eingriffe, sondern schlicht am geringen Reibwert und der Art und Weise, wie man damit umgehen muss.
Konkret: Unter nassen Bedingungen pushst du ein Auto nicht ans Limit, du balancierst es daran entlang. Statt es in Kurven zu werfen und voll rauszupowern, fährst du sensibel, tastest mit den Finger- und Zehenspitzen nach Grip respektive Traktion, sodass du den Punkt, an dem sich die ESP-Stellungen vermeintlich auseinanderdividieren, meist gar nicht erst erreichst – oder bestenfalls touchierst.
Nissan 370Z Nismo entweder fahrsicher oder fahrdynamisch
Im Trockenen ändern sich die Benimmregeln grundlegend, und damit auch die Anforderungen an die Regelung – mit deutlichen Auswirkungen, wie insbesondere der Nissan 370Z Nismo illustriert. Als Einzigem innerhalb dieses Quartetts fehlt ihm im Stabilitätsprogramm der sportliche Zwischenschritt. Bedeutet: Sein ESP kennt nur An oder Aus. Und das führt in seinem Fall zu einem Entweder-oder-Problem – entweder fahrsicher oder fahrdynamisch. Bei aktivierter Elektronik ist die Leine für die Rennstrecke schlicht zu kurz. Beim Einlenken spielt das zwar noch keine Rolle, weil man ihn erst mal an seinem Untersteuerdrang vorbeistreicheln muss. Ab dem Scheitelpunkt jedoch packt die Technik einen am Krawattl und lässt einen so lange nicht los, bis sie ganz, aber wirklich ganz sicher ist, dass Haftung in ausreichendem Maß vorhanden ist.
Mit Abschalten des ESP vergrößert die Elektronik den fahrerischen Freiraum, jedoch ohne das Feld völlig freizuräumen. Die Traktionskontrolle ist dann zwar völlig lahmgelegt, sodass man kurvenausgangs das Heck fliegen lassen kann. Lastwechsel beim Einlenken gestattet sie aber grundsätzlich nicht. Ihnen entgegnet sie – genau wie im Nassen – energische Bremsimpulse an der Vorderachse, die alles sofort wieder in geordnete Bahnen lenken. Dennoch beträgt der Abstand zwischen den Modi On und Off am Ende überaus üppige 2,3 Sekunden, was den ursprünglichen Zweck eines ESP recht eindrucksvoll belegt.
Porsche 911 performt mit verschiedenen ESP-Modi
Sein Aufstieg vom Sicherheits- zum Performance-Tool zeigt sich indessen im 911, vor allem im Facelift-Modell, in dem sie erstmals eine ausgewiesene Sport-Stufe erhält. Doch es ist nicht nur die engere Abstufung zwischen den Modi, die den Unterschied macht, sondern die Sensibilität, mit der sie vorgeht. Im 370Z greift sie ein. Und zwar so, wie man sich Eingreifen vorstellt: hinlangen, anpacken. Der Porsche hingegen wird von ihr nur angestupst, ganz zart und nie länger als zwingend erforderlich. Entsprechend eng fällt der Zeitensplit aus. Zwischen Off-Modus und Vollzeitregelung liegen gerade mal neun Zehntel, der Sport-Modus kostet sogar nur deren vier – allerallerhöchstens! Denn solange man sauber fährt, sich an der Ideallinie einklinkt, spürt man von der Elektronik nichts. Dann lebt der Elfer von seinem mechanischen Grip und den ausgeklügelten Fahrdynamiksystemen wie Hinterachslenkung und Wankstabilisierung, mit denen er die Fliehkräfte schon kurveneingangs zu überlisten scheint.
Will man jedoch das Letzte rausholen, muss man ihn rannehmen, reinreißen in Kurven und beim Herausbeschleunigen über die Kerbs prügeln. Ersteres kapiert die Elektronik noch, selbst Schwimmwinkel beim Rausbeschleunigen lässt sie in ausreichendem Rahmen zu, bloß mit dem Gerüttel auf den Randsteinen ist sie sich nicht so richtig sicher. Und weil sie – bei allem Fokus auf die Fahrdynamik – ja vor allem für Sicherheit stehen muss, nimmt sie vorsorglich etwas Bewegung raus.
BMW M4 fordert sein ESP durch ausgeprägte Heckagilität
Beim BMW geht dieser Sicherheitsbezug noch weiter, was mit seiner deutlich laxeren Beziehung zur Straße zusammenhängt. Im Gegensatz zum Porsche ist der M4 permanent in Bewegung, dreht schon beim Einlenken aus der Hüfte mit und wird erst dann richtig flink, wenn man ihn im Slide aus Kurven powert. Dass da das ESP eher konservativ ausgelegt ist, leuchtet ein. Der Sport-Modus vertrüge trotzdem etwas mehr Freizügigkeit. Bis zum Scheitelpunkt lässt einen die Elektronik zwar machen, selbst wenn man letzte Rille in die Ecke wurstelt.
Sobald Drehmoment und Querbeschleunigung jedoch gleichzeitig anliegen, nimmt sie panisch Leistung weg – vom Prinzip her ein bisschen wie im Nissan. Und freilich schlägt diese – im Wortsinn – Zurückhaltung in die Zeiten durch: Über zwei Sekunden büßt der M4 mit der sogenannten Dynamikstellung auf eine Runde ohne ESP-Unterstützung ein.
Mercedes-AMG C 63 mit freizügigem ESP-Sport-Modus
Und das ist viel, wenn man bedenkt, dass der C 63 beide Modi innerhalb von drei Zehnteln unterbringt. Auch seine Elektronik tritt in erster Linie als Traktionskontrolle in Erscheinung, also erst mit dem Scheitelpunkt. Allerdings gibt es zwei Unterschiede in der Art, wie sie zum Tragen kommen: Zum einen hat der Mercedes von Haus aus mehr Traktion, also schon mal weniger zu kontrollieren, zum anderen gestattet das ESP der Hinterachse im Sport-Modus mehr Spiel. Heißt im Umkehrschluss: Die Kraft darf früher fließen, oder besser gesagt: früher in höherer Dosierung.
Nur, was heißt das jetzt generell? Nun ja, vor allem heißt es eines: nämlich dass das Dynamikpotenzial eines ESP weniger von der technischen Machbarkeit abhängt als vielmehr von der Philosophie des Herstellers und nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen des jeweiligen Fahrzeugs. Mit anderen Worten: Dass der Porsche heraussticht, ist keine Überraschung. Denn kein Hersteller legt seine Elektronik derart konsequent auf Performance aus, und keiner hat eine Basis, die so viel Performance so gut verträgt.
Die Agilität bleibt unberührt
Dennoch gibt es am Ende eine Gemeinsamkeit, zumindest unter den drei deutschen Bewerbern: All deren Systeme treten erst unter Last so richtig in Aktion, also erst dann, wenn es darum geht, ein vermeintliches Missverhältnis aus Lenkwinkel und Motorkraft abzufangen. Die reine Agilität bleibt von Regelungen hingegen relativ unberührt, ablesbar vor allem an verschwindend geringen Zeitdifferenzen im Slalom. Die Ausnahme ist der simpel elektronisierte Nissan, der damit die Regel bestätigt.
Den ersten Teil des sport auto ESP-Tests finden Sie hier.