Lotus Exige S im Test
Über dem Lotus-Werk kreisten die Pleitegeier bedrohlich tief. Nach der Krisen-Ära um Dany Bahar besinnt sich die Traditionsmarke wieder auf alte Werte. Wir sind mit dem neuen Lotus Exige S in Hockenheim und auf der Nordschleife durchgestartet. Ob der Sportwagen den englischen Hersteller zumindest in sportlicher Hinsicht retten kann, klärt unser Test.
„Wo hast du das Auto her? Ich dachte Lotus gibt es gar nicht mehr“, lautet die Begrüßung der meisten Kollegen. Vor uns steht keine automobile Fata Morgana, sondern die neue Lotus Exige S.
Da laufen ja fast die Freudentränen, denn wir hatten den Glauben an ein Wiedersehen mit der Purismus-Göttin schon fast aufgegeben. Da war ein erstes Date auf der IAA 2011, anschließend eine Eintagesaffäre mit lasziven Drifteinlagen im April 2012 auf der Lotus-Teststrecke, danach verloren wir uns aus den Augen – Ende, Aus, Vorbei? Für immer?
Lotus scheint dank neuem Chef vor der Pleite gerettet
Zum Glück nicht. Gerade noch rechtzeitig musste der hochmütige Lotus-CEO Dany Bahar im Juni 2012 den Chefsessel räumen. Der Schweizer hatte das legendäre Chapman-Fever nie richtig inhaliert, fuhr mit einem moppeligen Porsche Panamera aufs Werksgelände der Leichtbau-Jünger und kündigte vollmundig eine überzogene Modelloffensive mit fünf neuen Sportwagen bis 2016 an.
Zum Glück wurde der Modellirrsinn komplett gestoppt, Lotus konzentriert sich wieder auf seine Hardcore-DNA. Nachdem die Produktion wegen nicht bezahlter Zuliefererrechnungen 2012 teilweise zum Erliegen kam, geht es bei Lotus jetzt wieder langsam aufwärts. Bis Ende August hat Lotus im Jahr 2013 bereits 864 Fahrzeuge verkauft und produziert rund 50 Wagen pro Woche (Absatz im Jahr 2012: knapp 1.000 Fahrzeuge).
Herzklopfen, heute lassen wir die Lotus Exige S nicht mehr gehen. Tür auf, wie haben wir die Joga-Turnübung an der tiefen Dachkante und dem breiten Schweller vorbei vermisst. Im asketisch leergeräumten Cockpit hat sich fast nichts verändert. Rein in die Schalensitze mit dünnem Stoffbezug. Zwischen Hintern und Straße passt jetzt gefühlt höchstens noch eine Zigarettenschachtel.
Neuer Loxus Exige S mit 350 PS V6-Kompressor
Ein kerniger Brunftschrei mit einer Prise Kompressorzischen – 2GR-FE ist hellwach. Dahinter versteckt sich in der Lotus Exige S der bereits aus dem Lotus Evora S bekannte Kompressor-V6, dessen Abgasanlage beim Kaltstart ihr Bypass-Ventil sperrangelweit aufreißt. So haben wir es gern! Wenn wir um sieben Uhr morgens zur Arbeit fahren, soll kein Nachbar mehr schlafen. Unterhalb der Gürtellinie gleitet die nur 1,129 Meter flache Flunder an Passanten vorbei und schnüffelt im Gruppe-C-Gedächtnislook auf Höhe von Lkw-Radnaben durch die Stadt.
Während ein blaues Wasserlämpchen im Kombiinstrument um eine gesittete Warmlaufphase bittet, lassen wir die Lotus Exige S vorsichtig über die Rollen gleiten. Zu Beginn der Testphase besuchen wir den Maha-Leistungsprüfstand, auf dem auch alle Supertest-Fahrzeuge gemessen werden. Mit 327,4 PS liegt die ermittelte Leistung nach EWG-Norm 22,6 PS unter der Werksangabe (max. Drehmoment: 395,2 Nm, Werksangabe 400 Nm). Oder kurz: Ein ehrlicher Testwagen, der nicht präpariert wurde.
Exige S ist schnellster je gemessener Lotus auf 100 km/h
Wap, wap, wap – das mittige Endrohr feuert Abgassalven ab, während die Drehzahlnadel um die 3.500 Touren zuckt. Kupplung fliegen lassen, die Lotus Exige S stürmt wild tösend vom Fleck. Das optionale Race Pack enthält nicht nur das sogenannte Lotus Dynamic Performance Management (DPM) mit den vier Fahrprogrammen Touring, Sport, Race und Off, sondern auch eine Launch Control, welche die richtige Anfahrdrehzahl perfekt auswählt.
Leichtfüßig stürmt unsere britische Besucherin in 4,1 Sekunden auf 100 km/h und kürt sich zum schnellsten je von sport auto gemessenen Lotus über diese Distanz. Für Lotus-Verhältnisse ist die aktuellste Ausbaustufe des manuell zu bedienenden Sechsganggetriebes vom Typ EA60 in der Lotus Exige S ein Fortschritt. Früher ging’s bei ultraschnellen Schaltvorgängen hakeliger zu, und man hatte schon mal den ganzen Schalthebel inklusive der Schaltseile in der Hand.
Gierig, radikal, puristisch – der Heckmotor spricht nicht mit dir, nein – er schreit dir vor Sehnsucht ins Ohr. Weniger die Sehnsucht nach Stadtverkehr oder der Autobahn, auf der die Exige mit einer GPS-ermittelten Höchstgeschwindigkeit von bis zu 279 km/h dahinfliegen kann, sondern die Sehnsucht nach verwinkelten Landstraßen oder der Rennstrecke regiert die Lotus Exige-Welt. Auf nach Hockenheim.
Hier lässt sich Hüftspeck nie ganz wegdiskutieren, doch die Lotus Exige S weiß ihr Gewichtsplus von über 100 Kilo gegenüber der letzten von sport auto getesteten Vorgängerversion (Exige S RGB, 942 kg) geschickt zu kaschieren. Schwerer sollte die Purismus-Göttin aber bitteschön nicht mehr werden.
Messerscharfes Einlenkverhalten mit Cup-Reifen
Die Pirelli Trofeo-Reifen kleben mit höherem Gripniveau auf dem Asphalt als die zuvor montierten Yokohama A048-Cupreifen. Als ob Fahrerhirn und Spurstangen unmittelbar vernetzt wären, lenkt die Lotus Exige S messerscharf ein. So schmeckt Direktheit – servofreie Lenkung statt elektromechanischer Kompromiss aus Komfort und Sport bei der Konkurrenz. Mit einer Übersetzung von 17.25:1 statt 18.5:1 schärfte Lotus die Lenkung nochmals. Dank der breiteren Spurweite (plus 25 mm vorn, 38 mm hinten), modifiziertem Fahrwerk, 70 mm längerem Radstand und breiteren Reifen verspeist die Exige Kurven stabiler und mit noch besserer Traktion.
Auf Lastwechsel kontert sie immer noch mit erfrischend eindrehendem Heck. Und diese Heckschwenks der Lotus Exige S sollten aktiv genutzt werden, denn unter Last drängt die Exige zumindest in den engen Ecken des Kleinen Kurses sachte ins Untersteuern. Hierfür sind unter anderem das ungleiche Verhältnis zwischen Vorder- und Hinterachsbereifung (205 zu 265), aber auch die Achsgeometrie mit wenig Sturz vorn und gleichzeitig viel Sturz hinten verantwortlich (sport auto-Messwerte: Vorderachse: Spur: 0°02‘, Sturz: -0°44‘ , Hinterachse: Spur: 0°37‘, Sturz: -2°04). Schwamm drüber, wir jammern auf hohem Querdynamik-Niveau.
Die Lotus Exige S bremst nicht nur die gesamte Konkurrenz mit grandiosen Verzögerungswerten von bis zu 14,70 m/s² auf dem Kleinen Kurs in Grund und Boden, sondern krönt sich auch mit einer Rundenzeit von 1.11,3 Minuten zum schnellsten Lotus aller Zeiten im sport auto-Test (Exige Cup 260: 1.12,8 min, 2-Eleven: 1.11,9 min). Angesicht dieser Bestzeit können Porsche Cayman S, Audi TT RS und Co. nur hilflos zusehen.
Lotus Exige S mit ESP fahren ist wie Tonic ohne Gin
Und wie schlägt sich die Lotus Exige S auf dem schönsten Spielplatz der Welt? Wir könnten mit den Leserbriefen zu diesem Thema die Redaktionsräume locker neu tapezieren. Vom Hockenheim.ing geht’s auf die Nordschleife.
Wenn schon Eifelachterbahn, dann auf die harte Tour – also DPM off. Der Race-Mode der Lotus Exige S arbeitet zwar ganz okay, mehr aber auch nicht. Schon in Hockenheim hat das von Bosch mitentwickelte System samt Elektronik-Spielereien wie Corner Brake Control, Electronic Differential Lock, Traction Control und Electronic Stability Control mit zu viel Regeleingriffen eher gebremst.
Lotus Exige S-Fahren mit ESP ist außerdem wie Tonic ohne Gin – mal ehrlich: Den ganzen Elektronikmist sollte man bis auf das ABS rauswerfen und stattdessen eine mechanische Differenzialsperre reinzimmern.
Die Sperre wird jedoch nur einmal im Streckenabschnitt Ex-Mühle vermisst, wenn ein Hinterrad bergauf unter Last kurzzeitig nach Traktion jault. Obwohl das 15 Prozent straffere Sportfahrwerk des Race Pack installiert ist, könnte die Feder-Dämpfer-Abstimmung der Lotus Exige S für die Nordschleife härter sein. Trotz vielen Karosseriebewegungen auf den Bodenwellen greift der Leichtbau-Extremist ausgesprochen motiviert an.
In 7:53 Minuten über die Nürburgring-Nordschleife
Dank höherem Abtrieb als beim Exige S-Vorgänger, der bereits 2008 im Supertest war, ringt die Lotus Exige S schnelle Passagen wie die Fuchsröhren-Kompression mit beeindruckenden 234 km/h unter Volllast nieder. Dabei sind Popeye-Arme gefragt, weil die Lenkung hier extrem verhärtet.
In schöner Regelmäßigkeit tänzelt die britische Krawall-Lady bei Lastwechseln mit dem Hintern – ständige und schnelle Lenkradkorrekturen begleiten den gesamten Nordschleife.ritt.
Nach 7.53 Minuten wird die Adrenalin-Fahrspaß-Nadel abrupt wieder aus dem Arm gerissen, aus dem Kompressorfauchen scheint plötzlich ein schmutziges Kichern zu werden. Verständlich angesichts der Zeit der Vorgängerversion der Lotus Exige S (8.25 min), aber vor allem beim Blick auf die Zeiten der Konkurrenz – Porsche Cayman S: 8.05 Minuten und Audi TT RS: 8.09 Minuten.