Shelby AC Cobra

Carroll Shelby schuf mit dem Cobra ein Auto, das durch pure Gewalt besticht. Die Bärenkräfte der hubraumstarken Maschine nehmen ohne aerodynamische Hilfen den Kampf gegen den Luftwiderstand auf.
Seien Sie doch ehrlich. Wenn Sie das Wort Cobra hören, kommt Ihnen zuerst das nach einer Idee des Amerikaners Carroll Shelby entstandene Automobil in den Sinn - und dann erst das in Südasien beheimatete, gleichnamige Reptil. Und fühlen Sie dann nicht auch diese unendlich große Enttäuschung, wenn Sie vergeblich Ihre Garage nach diesem großvolumigen, von einer rassigen Roadster-Karrosserie eingehüllten V8 absuchen?Falls Sie auch noch Herzklopfen und Gänsehaut bei dem Gedanken bekommen, in einem Cobra durch "pedal to the metal" zügig in Bewegung versetzt zu werden - Sie kennen die Legende, dass es dem Beifahrer ein einem vollbeschleunigenden Cobra nicht gelingt, einen an der Scheibe oder Sonnenblende befestigten Geldschein gleich welchen Wertes an sich zu bringen - dann bliebt Ihnen nichts übrig, als weiterzulesen.
Glühend heiße sidepipes
Motor Klassik wollte es nämlich wissen: Sind Cobras wirklich so giftig? Um diese Frage zu klären, bedurfte es eines großzügig bemessenen Geländes ohne Geschwindigkeitsbegrenzung - Motor Klassik wählte deshalb den Hockenheimring, und dort jene Waldgegend, wo Formel 1 des Baujahrs 1987 weit über 300 km/h zu erreichen pflegen. Drei Cobras reisten zur Prüfung an: ein schwarzer des Typs 289 street, Baujahr 1964, ein silberner 289 in Renn-Trimm, Baujahr 1964, und schließlich ein 1966 entstandener, roter 427.
Die Erlebnisse mit diesem Wagen hinterließen bleibende Eindrücke. Der Lärm hochdrehender Achtzylinder sorgt jetzt noch für dumpfes Dröhnen in meinen Ohren, meine Nase scheint ständig den Geruch von Verbrennungsgasen und verbranntem Kupplungsbelag wahrzunehmen, im Rücken spüre ich noch die Sitzlehne, gegen die ich gepresst wurde, und meine Hosenbeine sind in Knöchelhöhe schwarz, weil ich beim Aussteigen nach der Beschleunigungsorgie mit dem glühend heißen side pipe in Berührung kam.
289 als klassischer Cobra
Aber bevor wir auf das Kräftemessen eingehen, wollen wir uns die Prüfkandidaten einmal näher ansehen. Den 289 möchte ich als den klassischen Cobra bezeichnen - klassisch deshalb, weil seine Karosserie es dem Betrachter leicht macht, Parallelen zum Cobra-Ursprung zu ziehen, dem AC Ace ("Ass"). Aufgrund der nicht leicht angedeuteten Kotflügelverbreiterungen wirkt der 289 im Vergleich zum 427 gestreckter - aber auch harmloser. Ihn darum mit einer Cobra zu vergleichen, der die Giftzähne herausgebrochen wurden, wäre schlicht falsch. Ein Blick auf die Messwerte genügt, um das Gegenteil vor Augen geführt zu bekommen.
Die Form des Cobra erinnert an frühe Ferrari-Barchettas und lockt begeisterte Zuschauer an, die manchmal dem Wagen liebevoll über die Kotflügel streicheln. Das, was ein von Meisterkoch Paul Bocuse bereitetes Menü für den Gaumen des Gourmet bedeutet, das bietet der Cobra dem Auge eines Automobil-Liebhabers: die Erfüllung höchster Genussansprüche. Nicht, dass es sich bei der Aluminiumhaut des Cobra um eine stylistische Meisterleistung handelt, vielmehr leidet die Objektivität bei der Schönheitsbewertung stark unter einem Gedanken, der sich immer wieder in den Vordergrund drängt: Mit diesem Ding kannst du fast alles verblasen, was Dir auf der Straße begegnet.
Der Cobra hat betont rundliche Formen
Doch wollen wir uns zunächst noch zusammenreißen und uns noch etwas mit den stehenden Cobra befassen. Man kommt nicht umhin, dem Wagen eine gewisse erotische Ausstrahlung zu bescheinigen. Betont rundliche Formen prägen sein Erscheinungsbild. In der Seitenansicht verläuft der Vorderbau von den Frontscheinwerfern aus in leichtem Schwung nach hinten, so dass die Höhe der Gürtellinie sanft abfällt, hinter der Tür aber wieder ansteigt, um genügend Raum für die Radausschnitte zu gewähren. Die Motorhaube senkt sich zum Bug hin leicht ab. Sie liegt tiefer als die Vorderkotflügel, wodurch diese hervorgehoben und besonders wuchtig erscheinen. Und im Zusammenhang mit den weit außen angeordneten Rädern wirkt der Wagen in der Vorderansicht außerordentlich bullig und kraftvoll.
Der Cobra zeigt schon im Stand, was den Piloten nach Starten des Motors erwartet. Modischen Schnickschnack sucht man an der Karosserie vergebens, denn als Renommier-Kutsche war der Cobra nie gedacht. An Chromteilen gibt es nur die Stoßstangen vorne und hinten - jeweils ein in sich geschlossenes Rohrgebilde mit zwei senkrecht stehenden Hörnern - die Lampenzierringe, den Tankdeckel und den Kofferraumdeckelgriff. Ferner weist der 289 noch einen verchromten Kühlergrill und Drahtspeichenräder auf. Daneben erreuen die seitlichen Luftschlitze am Vorderkotflügel und das kleine rechteckige Emblem mit dem Hinweis auf den Hubraum der eingebauten Ford-Maschine (289 bedeutet 289 cubic inches, wobei ein cubic inch 16, 387 cm³ entspricht) das Auge. Und nicht zu vergessen das Markenzeichen, das Front und Heck des Wagens schmückt: der Kopf einer Kobra mit drohen gespreiztem Nackenschild.
Beim Cobra zählt jede Gewichtseinsparung
Die Rennversion des Cobra verzichte auf Stoßstangen und Kühlergrill, denn wenn es auf Schnelligkeit ankommt, zählt jedes eingesparte Gramm. Dennoch bringt der Renner 1.100 kg auf die Waage (289 street 1.040 kg), was wohl hauptsächlich zu Lasten des stabilen Überrollbügels geht. Kotflügelverbreiterungen und Reifen der Größe 5.50 M 15 vorne, 6.50 M 15 hinten, lassen den Wagen nicht nur in die Breite gehen, sondern sorgen dafür, dass er optisch kürzer und wendiger wirkt. Eine Hutze auf der Motorhaube weist darauf hin, dass hier ähnliche PS-Vorräte lauern, wie sie der mit gleicher Haube angetretene 427 bereithält.
Damit lassen sich Anfahrspuren in den Asphalt fräsen, die so lang sind wie die Bremsspur anderer Autos, die etwa aus 100km/h mit blockierenden Reifen zum Stillstand gebracht werden. Im Rücken des Fahrers wächst aus dem Heckteil des 289 race ein eindrucksvoller Bügel als Schutz bei Überschlägen heraus. Dieser Bügel wird noch durch ein in Fahrzeug-Längsrichtung geneigtes Rohr gleicher Stärke abgestützt, das auf der Beifahrerseite neben dem Mitteltunnel im Boden verschwindet.
Zu den weiteren Details, die an der Rennversion auffallen, zählen der freistehende Ölkühler unter dem Frontblech, die beiden daneben angeordneten Lufteinlässe für die Kühlung der Scheibenbremsen (für den kühlen Kopf des Fahrers sorgt der Fahrtwind), und natürlich die links und rechts unter der Tür mündenden, schalldämpferlosen Auspuffrohre.
Der dritte Wagen des Motor Klassik-Vergleiches, eine rote Siebenliter-Version, verkörpert den Cobra, wie ihn sich wohl jeder vorstellt: scheinbar mehr Tier als Auto. Die gegenüber dem 4,7 Liter-Modell veränderte Frontpartie mit zwei übereinander angeordneten Lufteinlässen verschiedener Größe ist tiefer über der Erde. Wie vier Schlangen winden sich die Auspuffleitungen aus einer Öffnung im Vorderkotflügel und vereinigen sich zum klassischen side pipe (wie die Haube mit Hutze ein Competition-Version entliehenes Detail) mit dem Durchmesser eines Ofenrohres. Die gewaltigen Kotflügelverbreitungen lassen den 427 aussehen wie ein 289, der seine Muskeln anspannt.
Die Cobra ist bereit zum Angriff
Lassen Sie uns also mit Herzklopfen einsteigen. Im Sinne der Leistungs-Hierarchie beginnen wir mit dem 289 street. Die fehlenden Türgriffe geben dem Fahrer die Chance, seine Sportlichkeit unter Beweis zu stellen, in dem er den Passagierraum mit einem kühnen Sprung entert. Wesentlich ungefährlicher - aber auch weniger effektvoll - ist es, sich über die Tür zu beugen und diese von innen zu entriegeln.
Die Sitze können nicht gerade als überdimensioniert bezeichnet werden, doch genügen sie zur Aufnahme mittelgroßer Maschinisten. Besonders langgeratene Cobra-Bändiger müssen jedoch auf einen Schutz ihrer oberen Extremitäten vor Wind durch die Frontscheibe ebenso verzichten wie auf eine vollkommene Rückendeckung durch die Sitzlehne. Die Hände des Schlangenbeschwörers leiten Richtungsänderungen über ein dreispeichiges Lenkrad mit hölzernem Kranz ein, zum Sortieren der Gänge animiert ein Mittelschalthebel mit hölzernem (original wäre Kunststoff) Knauf. Während die Füße mit den Buchstaben AC geschmückte Pedale treten, können sich die Augen anhand zahlreicher Instrumente über das Wohlbefinden des Cobra informieren. Neben einem Drehzahlmesser und einem 160 Meilen pro Stunde reichenden Tacho drängeln sich in der Mitte des Armaturenbretts ein Ampèremeter, ein Öldruckmesser, ein Benzin- und eine Zeituhr wie Temperaturanzeiger für Wasser und Öl. Das Zündschloss befindet sich am Armaturenbrett.
271 PS
Wer dazu den passenden Schlüssel besitzt, kann die Herrschaft über 271 Pferdestärken an sich reißen. Die Geräuschkulisse, die sich dann im Rücken der Besatzung entfaltet, liegt ein paar Phonzahlen über dem Achtzylindergeblubber, wie wir es von den amerikanischen V 8-Limousinen her kennen - ein Sound, der zumindest bis Anfang der 70er Jahre ein Garant für schwindelerregend hohe PS-Zahlen und üppiges Drehmoment darstellte.
Auch der Cobra hält, was er akustisch verspricht. Am Anfang einer mehreren 100 Meter langen Geraden nimmt er Aufstellung, an seiner linken Flanke klebt das Peiseler-Rad, ein unbestechliches Messaccessoire zur Ermittlung der Beschleunigung. Kurze Gasstöße halten den Motor über Leerlaufdrehzahlen und erhöhen den Pulsschlag der Besatzung. Das pulsierende Grollen des Achtzylinders flößt der Umwelt Respekt ein - so wie eine Kobra, die mit erhobenem Kopf und gespreiztem Nackenschild dem Feind mit ihren Giftzähnen droht, bevor sie zustößt.
Die gerade noch völlig unbeweglich verharrenden Chromspeichen der Räder verwischen zu einem silbernen Kreis. Der Wagen hebt sich vorne aus den Federn, geht an der Hinterachse in die Knie, bollernd wie eine nicht enden wollende Kanonen-Salve entledigt sich der Motor seiner Verbrennungsgase und treibt das Fahrzeug ungestüm dem Ende der Geraden entgegen. Zurück bleiben zwei schwarze Striche auf der Straßenecke und eine Dunstwolke, an deren Entstehung sich Reifen und Motor gleichermaßen beteiligten.