So fährt sich der Mercedes 500 SLC
Sein Name führt in die Irre. Das 500 Sport Leicht Coupé wiegt trotz Türen, Hauben und einem V8-Motor aus Leichtmetall üppige 1570 Kilo. Jedoch entschädigt es mit eigenwilliger Schönheit und souveräner Kraftentfaltung.
Der Auftritt ist imposant. Schon bei Schritttempo wirkt das Auto eindrucksvoll, wenn es den Mosaikpflaster- Bogen vor der noblen Villa mit den drei hoch gewachsenen Birken im engen Radius nimmt. Die beiden Flügel des Garagentores sind noch offen. Breit und niedrig grüßt die Front. Das freundliche lächelnde Gesicht mit dem großen SL-Stern in der Mitte – fein gezeichnet, dezent mit Chrom betont. Es ist kein banales Losfahren, es ist ein Auftritt. Ein SLC setzt sich in Szene, nicht manieriert, sondern mit jener natürlichen Anmut, wie es aufregend schöne Frauen tun.
Starker V8-Motor
Das Motorgeräusch lässig dumpf, schon die Leerlaufdrehzahl klingt verheißungsvoll nach vielen Zylindern. Immerhin sind es acht, die beim 500 SLC auf der Lauer liegen. Rasch erhebt der Motor sein sonores Grummeln, der Drehzahlmesser streift die 1500er- Markierung, jetzt kommt der massive Vorderwagen mit der gewölbten Motorhaube ein wenig aus den Federn. Die 240 PS sind längst noch nicht wach. Er braucht sie nicht, um anzugeben. Er ist sich seiner Macht bewusst.
Sekunden später verlässt das große Coupé das Parkgrundstück und reiht sich in den Feierabendverkehr der Allee ein. Schwimmt im Strom der modernen Wagen wie ein exotischer Fisch: Silbern, lang, leise, mit eleganten Bewegungen wechselt er die Spur. Die letzten Sonnenstrahlen fangen sich in den Lamellen des Seitenfensters, die auch Kiemen sein könnten. Seine Flanke ist unten dunkler und geriffelt, das macht ihn noch gestreckter.
Die blaue Stunde naht, sein Ziel ist der Containerhafen. Es ist keine gute Gegend – erst recht nicht für einen SLC. Doch wenn es Nacht wird, entfaltet sie einen seltsamen Zauber. 20 Kilometer sind es noch bis zum Ostkai. Der Verkehr lichtet sich, die Bundesstraße lädt ein zu zügiger Fahrt. 100, 120 sind jetzt drin. Leise säuselt der Leichtmetall-Achtzylinder in der vierten Fahrstufe vor sich hin, 2500 Touren bedeuten nur ein leichtes Muskelanspannen. Es gibt nur wenig Windgeräusche, die Karosserie wirkt solide wie eine Burg. Leise spielt die Miles Davis-Cassette im Radio Becker Mexiko „Sketches of Spain“. Der Fahrer sitzt tief im Veloursessel hinter dem großen Lenkrad, tippt nur selten kurz aufs breite Bremspedal im ungewöhnlich langen Fußraum.
Eigenwillige Details
Beide Schächte sind beleuchtet, wenn sich die breiten Türen öffnen, langbeinige Damen werden so besonders reizvoll illuminiert. Schade, dass es 1980 noch keinen Dimmer für die Innenbeleuchtung gab. Ein SLC ist im Detail durchaus eigenwillig, aber nicht perfekt. So ist die Sitzposition weder besonders sportlich noch wirklich passend. Zu kurz ragt die Lenksäule in den Passagierraum, das attraktiv gestaltete Instrumentenbrett mit schmalem Wurzelholzfurnier verschanzt sich raumgreifend hinter der Windschutzscheibe.
Die Wischer kleben in Ruhestellung leider beharrlich vor den Augen des Fahrers. Zierlichen Damen nimmt die imposant gewölbte Motorhaube etwas die Sicht. Der Fahrer wünscht sich wie in der S-Klasse W116 die Armlehne mit integriertem Zuziehgriff, um sich dort gelegentlich bei entspanntem Cruisen lässig einzuklinken. Man ahnt noch nicht, dass SL auch etwas mit Sportlichkeit zu tun hat. SLC-Lösung wird Mercedes-Standard
Andere Dinge wiederum sind beim SLC genial gelöst. So werden die Lehnen der Vordersitze ohne lästige Hebelei einfach per Unterdruck verriegelt, sobald der Fahrer den Motor anlässt. Im Fond ist dank des üppigen Radstands von 2,82 Meter genügend Platz für zwei, die breite Mittelarmlehne ersetzt die Einzelsitzausformung. Die kuppelförmige, im Grundriss fast runde Verbundglas-Heckscheibe ist nicht nur ein schönes Stilelement. Sie schafft auch eine große Hutablage mit elegant versenktem Verbandskasten. Eine SLC-Lösung, die danach zum Mercedes-Standard erhoben wird. Die beleuchtete Kranbrücke des Containerhafens rückt langsam näher. Ein forsches Rudel schwerer Sattelschlepper nimmt den SLC in die Zange.
Ein Tritt aufs Gaspedal wird dank der 400 Newtonmeter zum Befreiungsschlag, in einer Gasse zwischen bunten Hyundai- und Maersk-Containerstapeln bringt sich der 500 SLC vor Actros, MAN und Scania in Sicherheit. Das grelle Licht der Straßenbeleuchtung dringt mit entlarvender Kälte an seine Wellblech-Flanken. Während der Fotograf die Kamera schussbereit macht, ist Zeit für eine Designdiskussion. Wegen der Lamellenfenster kommt kein SLC an ihr vorbei. Schon gar nicht der 500 SLC mit der auffälligen Bauchbinde in Neutralgrau-metallic (Mercedes-Jargon) und den schüchternen Spoilern an Front und Heck, die den cW-Wert immerhin von 0,42 auf 0,39 senken.
Ein Sport-Leicht-Coupé
Motor, Türen und die Hauben sind beim 500 SLC aus Aluminium. Das hat eine Gewichtsersparnis von 115 Kilogramm gegenüber dem 450 SLC zur Folge. Leichtmetallräder, elektrische Fensterheber, die Zentralverriegelung und Metallic-Lack waren beim Spitzenmodell sogar serienmäßig. Der Listenpreis betrug im August 1980 stattliche 68 400 Mark. Horst Wolf aus Bergheim bei Esslingen ist Besitzer dieses prächtigen Exemplars in Topzustand. Der Kraftfahrzeug- Sachverständige kaufte das astralsilberne Coupé mit blauem Velourspolstern vor 13 Jahren von einem Fabrikanten aus erster Hand, mit weniger als 100 000 Kilometern.
Es gibt nur 1154 Exemplare dieser nach dem 450 SLC 5.0 letzten SLC-Entwicklungsstufe mit der neuen Viergang-Automatik und dem modifizierten Lenkrad aus der damals brandneuen S-Klasse. Wolf, der als SLC-Sektierer unverdächtig ist, weil er auch einen 500 E und einen 107er-Roadster besitzt, hält ein überzeugendes Plädoyer für das Coupé. „Eigenwillige Stilelemente wie die Jalousien oder das Riffelblech, der scheinbare Widerspruch von konkav gewölbter Motorhaube und glattem Kofferraumdeckel machen das SLC-Design spannend, zeitlos und attraktiv.
Ihnen verdankt der Wagen seine außergewöhnliche Präsenz. Allzu große Harmonie bedeutet immer auch Langeweile“, führt Wolf weiter aus – die formalen Stärken des SLC sieht er vor allem in seinen Proportionen „lang, breit, niedrig“, und im „Lichtspiel der feinen Sicken, speziell bei hellen Metallic- Farben“. Wolf hat die Highlights der aparten SLC-Figur mit breiten 15-Zoll-Felgen im Originaldesign und üppiger Bereifung kosmetisch sanft betont. Er vermisst nur noch den feinen Lidstrich der Scheinwerfer-Reinigungsanlage.
SLC-Styling Gags, die auffallen
Die Baureihe 107 läutete 1971 eine neue Ära des Mercedes-Designs ein. Weg von der filigranen Schönheit der Sechziger mit ihren vertikalen Scheinwerfern, schmalen Dachpfosten, den kleinen Rückleuchten und den ziselierten Instrumentenbrettern, hin zur wuchtigen Massivität monolithischer Formen, in denen sich Qualität und passive Sicherheit manifestierten. Das Sicherheit.lenkrad mit großem Pralltopf feierte im 107er ebenso Premiere wie der von innen verstellbare Außenspiegel, die asymmetrischen Scheibenwischer, die schmutzabweisenden Scheibenrahmen und das unfallsichere Cockpit mit den tief versenkten Instrumenten.
Karl Wilfert, Leiter der Karosserieentwicklung, und Friedrich Geiger,Chef der Abteilung Stilistik, zeichnen für das Design von 350 SL und SLC verantwortlich. Bereits das üppige Mehrgewicht von über 200 Kilo im Vergleich zum 280 SL/8 erforderte den neu konstruierten 200 PS starken Achtzylinder aus dem 300 SEL 3.5. Der Roadster bekam das Pagodendach als Leitmotiv, der SLC brach – historisch einmalig –, mit der Mercedes-Tradition, das große Coupé stets von der S-Klasse abzuleiten. Vom Strichacht stammte das neue SL-Fahrwerk mit Fahrschemel und hinterer Schräglenkerachse. Bereits in der Entwicklungsphase war das Styling des SLC umstritten.
Spannung in der Seitenlinie
Auf die beliebte Frage, was denn die Lamellen zu bedeuten haben, antwortete der Wiener Wilfert in der für ihn typischen provokant entwaffnenden Art: „Damit der Fahrer besser herausschauen kann.“ Dabei hat das aufwändig zu fertigende Doppelglasfenster mit eigener Belüftung einen triftigen Grund. Der feststehende Teil mit den Lamellen ist notwendig,weil sich eine große Scheibe nicht völlig versenken ließe. Der hintere Radkasten ist dabei schlicht im Weg. Im Hafen ist es kühl. Dennoch surren die vier Fensterheber, und der 500 SLC verwandelt sich im Handumdrehen in ein Hardtop-Coupé. Kein Fensterspalt stört die Linie – ein reizender Anblick wie bei einem trägerlosen Abendkleid. Kein Mensch glaubt heute, dass die wuchtigen SLC einst unter Erich Waxenberger erfolgreiche Rallye-Autos in Afrika waren. Aber es gibt sie, die sportliche Seite des SLC – vor allem beim 500er-„Leichtbau-Coupé“ .
Horst Wolf führt sie vor, macht das Straßenlabyrinth am Hafen zu später Stunde zu einem virtuellen kleinen Rundkurs. Akustisch erwacht der Motor über 4000/min zu feurigem Leben – Dr. Jekyll wandelt sich zu Mr. Hyde. Es ist einfach forciertes Fahren, keine Reifenquietsch- Einlagen stören den lebensfrohen Bariton des Achtzylinders. Nur die Karosserie neigt sich ein bisschen. Der SLC war dank langem Radstand stets gutmütiger als der im Grenzbereich nervöse SL. Eigentlich käme das Coupé sogar ohne die stabilisierende Koppelachse aus. Aber selbst ein 500 SLC inspiriert nicht zum schnellen Fahren. Lieber gleitet man über die Boulevards der Großstadt, vorzugsweise nachts bei offenem Schiebedach und leiser Musik. Das passt viel besser zu ihm.