Supertest Opel Corsa OPC

Der vom Opel Performance Center aufgerüstete Corsa hat mit einem niedlichen Kleinwagen nicht mehr viel gemein: Wenn 192 Turbo-PS an den Vorderrädern zerren, zeigt der optisch markant auftretende Kompaktsportler ein bissiges Naturell.
Er ist zwar nur vier Meter lang und gerade mal 1,70 Meter breit, verfügt aber über einen Radstand, der um ganze 16 Zentimeter länger ist als der eines Porsche Turbo: 2.511 Millimeter. In der Höhe überragt er Letztgenannten sogar um glatte 20 Zentimeter – von wegen Kleinwagen! Und schämt sich auch nicht, selbstbewusst mit der derzeitigen Radstandardgröße der Sportwagenelite – veritablen 18-Zöllern –vorzufahren. Hier macht einer mit seinen großen (aufpreispflichtigen) Rädern, ausgestellten Kotflügeln, kiemenartigen Lufteinlässen, dem Auspuffendrohr in kecker Dreiecksform und einem Heckdiffusor mal richtig dicke Backen. Er scheut sich damit ebenso wenig, sich zumindest bei der bislang überwiegend vernunftbetonten Opel Corsa-Klientel ganz gezielt ins Gerede zu bringen.
Die im Hinterkopf unter dem Namen Corsa gespeicherten Attribute – süß, zierlich, unbedarft und preiswert –, verblassen nämlich angesichts der energisch dreinblickenden OPC-Variante recht zügig und tauchen bei Licht betrachtet schließlich auch überhaupt nicht mehr auf. Da sich Größe bekanntlich nicht nur in Zentimetern ausdrückt, tun sich vor dem Hintergrund seiner Herkunft aus dem Kleinwagen-Genre große Chancen auf. Klein bedeutet in der Regel nämlich auch leicht und handlich, was aus sportlicher Sicht Hoffnungen weckt und in der Folge große Erwartungen schürt. Aber ganz so zierlich und leicht wie gemäß seiner Herkunft erhofft, ist er – wie bereits erwähnt – leider doch nicht. Mit randvollem, bezeichnenderweise nur Kleinwagen-typisch 45 Liter fassendem Kraftstofftank bringt der Corsa OPC stolze 1.262 Kilogramm auf die Waage, womit die Kleinwagen-Posse getrost gänzlich ad acta gelegt werden darf.
1.262 Kilogramm sind ein stolzes Gewicht
So liest sich auch die Ausstattungsliste des Testwagens wie eine Agenda aus der Luxusklasse: Vorzüglich passende Ledersitze, eine Klimatisierungsautomatik, Bordcomputer und DVD-Radio samt MP3-Player und Navi-Anlage sind, um die wichtigsten Posten zu benennen, ganz selbstverständlich mit an Bord und sorgen für ein Ambiente von ungewohnt eindrucksvoller Opulenz. Nanu – so kommt es einem in den Sinn – in welchem Luxus- Ambiente bin ich denn hier gelandet? Der Basispreis von 22.700 Euro ist damit natürlich überholt. Letztlich sind es nunmehr 25.950 Euro, die als Investition für einen OPC-Luxus-Corsa mit Klavierlack-Intarsien und sonstigem Schickimicki zu berappen sind. Der überraschende Eindruck von klassenübergreifendem Status kommt aber nicht nur hinsichtlich des Ausstattungsangebots auf. Auch auf technischem Gebiet hat der Corsa den kleinbürgerlichen Rahmen längst gesprengt.
Knapp 200 PS im Opel-Einstiegsmodell – diese stolze Ansage versetzt jeden spontan in ehrliches Erstaunen. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h ist im Kreise wenig Kleinwagen-affiner Autointeressierter durchaus dazu angetan, sich hochachtungsvoll in Respektsbekundungen zu ergehen. Tatsächlich ist es so, dass sich ein energisch dem Tempogewinn gewidmeter Corsa OPC auf der Geraden nur schwer abschütteln lässt. Besorgte Blicke im Rückspiegel vorausfahrender PS-Boliden zeugen von der eindrucksvollen Dominanz, die ein mutmaßlicher Kleinwagen heutzutage vermitteln kann. Dabei ist hier nur ein 1,6-Liter-Motor am Werk, der aber mit der Masse von doch fast 1,3 Tonnen so locker umzugehen versteht wie ein Großer.
Dank seines direkt im Krümmerbereich eingesetzten Turboladers sind sowohl das Ansprechverhalten als auch das Drehmoment von allererster Güte. Der mit 1,4 bar unter Druck gesetzte Vierventiler produziert im Overboost-Bereich kurzzeitig ein maximales Drehmoment von 260 Newtonmetern. Im Normalfall lässt er es bei 230 Newtonmeter bewenden. Jene liegen aber auch schon bei einer für diese Motorgröße sehr zivilen Drehzahl von nur 1.980/min an. Auch die Höchstleistung von nominell 192 PS wird schon bei weniger als 6.000/min geboten. Das hat eine bemerkenswerte Leistungscharakteristik zufolge, die mit der klassischen Sportmotor-Charakeristik, die ja normalerweise mit hohen Drehzahlen einhergeht, nicht mehr viel gemein hat.
Man muss den kleinen Vierzylinder drehzahlmäßig überhaupt nicht fordern, um sich selbst gegenüber der vermeintlich stärkeren Konkurrenz locker durchzusetzen. Die guten Durchzugswerte sind ein starkes Indiz dafür: 6,9 Sekunden von 80 auf 120 km/h im fünften Gang können sich wahrlich sehen lassen. Wird im sechsten Gang aus 80 km/h voll beschleunigt, liegt 21,8 Sekunden später bereits Tempo 160 km/h an. Der flotte Tempozuwachs hat selbstverständlich auch damit zu tun, dass die als Turbo-Gedenksekunde bekannte Verzögerung in der Leistungsabgabe bei diesem Turbo-Aggregat so gut wie keine Rolle spielt. Fast könnte man meinen, es hier mit einem großvolumigen Sauger und nicht mit einem kleinen Turbomotor zu tun zu haben.
Der Corsa OPC legt keine Turbo-Gedenksekunde ein
Die auch an anderen Hersteller-Fronten zunehmend vertretene Auffassung, nach der aufgeladene Motoren mit kleinem Hubraum und folglich geringer Innenreibung wegen ihrer guter Anlagen in puncto Effizienz und Schadstoffemission die Zukunft gehöre – Stichwort Downsizing –, ist von dieser Stelle aus und mit Blick auf den Testkandidaten allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn was den Spritkonsum dieses zweifellos mit toller Durchzugskraft und ausgeprägtem Leistungswillen gesegneten 1,6-Liter-Turbos angeht, haben wir es keineswegs mit einem Kostverächter zu tun. Der Minimalverbrauch von 9,2 Liter Superkraftstoff sagt bereits einiges über die Einspritzmengen aus, die der Vierzylinder schon in normalen Fahrzyklen aquiriert. Anzüglich wird es aber, wenn man sich die Spitzenverbräuche von bis zu 17 Liter auf 100 Kilometer vergegenwärtigt. Angesichts des Durchschnittsverbrauchs von 12,8 Liter, der immerhin über die lange Distanz von knapp 3.000 Kilometern ermittelt wurde, kommen einem doch starke Zweifel an Motorkonzepten dieser Art, die ehrlicherweise ja immer auch im Zusammenhang mit ihrem direkten Umfeld betrachtet werden müssen.
Der mögliche Vorwurf, das Leistungsangebot des Corsa OPC doch in ungebührlicher Weise ausgekostet zu haben, lässt sich mit Hinweis auf die beschriebene Leistungscharakteristik leicht entkräften. Drehzahlorgien sind schlicht nicht erforderlich, um im Alltag angemessen vorwärtszukommen. Auf seine Durchzugskräfte bauen zu können, ist schließlich Teil der Sympathiestrategie, die der Corsa OPC von Haus aus verfolgt. Der von Opel formulierte Slogan "Corsa-Fahrspaß in Reinkultur" lässt sich aber nicht nur vor diesem Hintergrund in Frage stellen, denn die Motorcharakteristik zeigt – so praktikabel sie auch sein mag – in diesem Umfeld eine weitere Schwäche auf, die nur schwer wegzudiskutieren ist.
Das starke Drehmoment und das veritable PS-Angebot sind nahezu jederzeit in der Lage, die Traktionsnachteile des konzeptbedingt mit einer unausgewogenen Gewichsverteilung kämpfenden Fronttrieblers in den Fokus zu rücken. Trotz des hohen Gewichtsanteils, der auf der Vorderachse lastet (62,6 Prozent), neigen die Antriebsräder im Extremfall bis in den dritten Gang zum Durchdrehen. Die zuvor noch als agil und messerscharf agierend empfundene Lenkung wird mit dem Haftungsverlust eines oder beider Räder zunehmend teigig und unpräzise. Das erschwert nicht nur die Linienführung, sondern minimiert auch den Fahrspaß deutlich. Dass die Traktionsschwäche. seitens sport auto so extrem empfunden werden, mag mit dem Umstand zusammenhängen, dass sämtliche Versuche grundsätzlich mit ausgeschaltetem elektronischen Fahrsicherheitssystem vorgenommen werden. Die natürlichen Anlagen, oder besser: der Charakter des Fahrzeugs wird so in schonungsloser Offenheit dargelegt. Von der vom Opel Performance Center angekündigten, "auf der Nordschleife ausgefeilten Balance" ist trotz des verstärkten Hinterachsprofils mit geändertem Einschweißwinkel der Torsionslenkerachse, neuer Feder-/Dämpferabstimmung, Zehn-Millimeter-Tieferlegung und der verstärkten Stabis bei energisch vorgetragenem Einsatz nicht allzu viel zu spüren.
Der Corsa OPC zeigt deutliche Traktionsschwäche.
Angesichts der offenkundigen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Leistung in diesem grundsätzlich doch für andere Aufgaben vorgesehenen Umfeld scheint es fast so, als habe man sich bei der Entwicklung des Super-Corsa im Wesentlichen darauf beschränkt, das ESP umfänglich und penibel an die veränderten Bedingungen anzupassen. Denn bei eingeschalteter elektronischer Überwachung offenbart sich der Corsa OPC plötzlich als ein im Grenzbereich sehr umgänglich agierender und gut zu beherrschender Fronttriebler, noch dazu als einer, der das Fach Traktion aus dem Effeff zu beherrschen scheint – welch Wunder ... Überzeugender als im Corsa OPC ist die segensreiche Wirkung der übergeordneten Elektronik bisher jedenfalls noch nicht dokumentiert worden. Ob mit oder ohne gedrückte ESP-Taste: Übergebührliches Untersteuern ist Gott sei Dank nicht zu beklagen. Auch wenn durch provozierte Lastwechsel mit dem Heck angemessen "gearbeitet", also die Linie mit einem künstlich hervorgerufenen Heckschwung bewusst optimiert werden kann, zeigt der auf der Hinterachse doch vergleichsweise leichte Corsa OPC keine zickigen Reaktionen.
Das hohe Maß an Fahrsicherheit ist also unter allen Umständen gewährleistet. Das Thema Bremsen lässt sich wie das Fahrwerkskapitel gleichfalls nicht nur mit einem Satz abhandeln: Trotz der in der Hoffnungsfarbe Blau lackierten Festsättel ist die Bremsanlage mit ihren vorn immerhin 308 Millimeter großen Stahlscheiben nicht frei von Fading. Die für einen Sportler ohnehin nicht sonderlich überragenden Verzögerungsleistungen von maximal 10,5 m/s² reduzieren sich in heißem Zustand auf 9,7 m/s² – akzeptabel, aber eben auch nicht wirklich gut. Zudem sind im Extremfall die ABS-Eingriffe so abrupt, dass die Regelung sehr starken Einfluss auf das Fahrverhalten nimmt. Die durch die selektiven Eingriffe an den Vorderrädern hervorgerufenen, zackigen Links-Rechts-Bewegungen des Vorderwagens lassen am Ende der Geraden wieder dieselben Bewegungsmuster entstehen wie zu Beginn auf Grund der beschriebenen Traktionsschwäche. Der Aufenthalt im Grenzbereich ist also nicht gerade von Lässigkeit geprägt, was den Fahrer allenthalben dazu veranlasst, vorschriftsmäßig beide Hände am Lenkrad zu lassen. Das etwas prätenziöse Verhalten eines schnell gefahrenen Corsa OPC hängt allerdings auch mit seinem speziellen Fahrwerks-Setup zusammen, dessen Charakter von dem spürbaren Wunsch der Fahrwerksingenieure geprägt ist, schwerpunktmäßig den Anforderungen des Alltags zu entsprechen. Der OPC-Corsa rollt dementsprechend weder hart noch steif und bockelig ab. Vielmehr weist er unerwartet viel Komfort auf, weshalb dem bemerkenswert sicher geradeaus laufenden Viersitzer auch eine akzeptable Tauglichkeit für die Langstrecke bescheinigt werden kann.
Das Fahrwerk des Corsa OPC will dem Alltag genügen
Die negativen Aspekte dieser Abstimmung aus sportlicher Sicht sind leicht auszumachen: So, wie die Karosserie bei schnellem Einsatz in den Kurven in Bewegung gerät, kommt kein sportliches Feeling auf. Entweder sind es die für einen knackigen Kompaktsportler doch zu moderaten Feder- beziehungsweise Dämpferraten oder es sind die noch immer zu weichen Stabilisatoren, die der Wankneigung der Karosserie Vorschub leisten. Wie auch immer: Ein etwas strafferes Setup hätte dem Corsa OPC nicht nur gut zu Gesicht gestanden, es hätte womöglich auch geholfen, das eine oder andere Resultat doch noch etwas zu frisieren. Von einem der jüngsten Vertreter der sportlichen Kompaktklasse hätte man in dynamischer Hinsicht nämlich vielleicht doch etwas mehr Durchsetzungsvermögen erwartet. Oder waren die Erwartungen unsererseits schlicht zu hoch geschraubt, weil uns der extrem forsche Auftritt geblendet und die Ansagen des Opel Performance Center so heiß gemacht haben?