VW 411 - ein Auto, zwei Geschichten
Der Typ 4 war kein Ruhmesblatt für VW: auto motor und sport-Tester Manfred Jantke erkannte 1967 das Dilemma des Grossen VW. Alf Cremers trifft den Nasenbären und erfreut sich an dessen Andersartigkeit.
Manfred Jantke testete den VW 411 LE für auto motor und sport, sein Kurztest erschien in Ausgabe 20/1067: "Aus dem für VW-Maßstäbe miserablen Verkaufserfolg des Typs 411 hat das Volkswagenwerk kurzfristig Konsequenzen gezogen. Zwar wurde der Mittelklassewagen noch nicht durch einen neuen Typ ersetzt, aber es wurden nach einjähriger Bauzeit bereits einschneidende Änderungen vorgenommen."
Schüchterne Schönheitsoperationen am VW 411
Naturgemäß zielten sie auf jene Punkte, die das Käuferinteresse vor allen Dingen gelähmt hatten: die mangelnde Leistung und das lästige Motorgeräusch des VW 411. Auch an dem unglücklich geformten Wagenbug versuchte man zu retten, was zu retten war, doch blieb es hier bei ziemlich schüchternen Schönheitsoperationen.
80 PS statt 68 PS weist der Kraftfahrzeugschein für die neuen VW 411-Modelle aus, und zwar einheitlich für alle Versionen dieses Typs. Der neue E-Motor entspricht im Grundaufbau dem bisherigen 1,7-Liter-Triebwerk, ist aber im Detail gehörig umgekrempelt worden. Im Motorraum sieht man es auf den ersten Blick: Aus dem Zweivergasermotor ist ein Einspritzmotor geworden.
Gute Ausnutzung des Kraftstoffs durch exakte Gemischaufbereitung, Begünstigung der Motorelastizität, automatische Anpassung der Einspritzmenge an unterschiedliche Druckverhältnisse (dadurch geringerer Leistungsabfall in großen Höhen) und weniger giftige Abgase sprechen für dieses System. Beim Typ 411 ging es VW aber vor allem um einen Leistungsgewinn, denn der große Volkswagen hielt in den Fahrleistungen einen unsympathischen Abstand zu gängigen Mittelklassekonkurrenten, aber nicht im Preis.
Einspritzanlage des VW 1600 und weitere Maßnahmen hieven die Leistung auf 80 PS
Mit Hilfe neuer Kolben, geänderter Zylinderköpfe mit größeren Einlassventilen, geänderter Nockenwelle und höherer Verdichtung wurde dem Boxermotor darum zusätzlich Wind gemacht. Bei der Kraftstoffeinspritzung des VW 411 handelt es sich um die vom VW 1600 bekannte, elektronisch gesteuerte D-Jetronic von Bosch. Ihr Steuerteil sitzt im 411 in der linken Verkleidung des Motorraums.
Nach dem Anlassen entwickelt der VW 411 E-Motor im Leerlauf zunächst das gleiche Geräusch wie sein Vorgänger. In Fahrt bei höherer Drehzahl aber zeigen sich Unterschiede: Das Motorgeräusch ist nicht nur leiser, es ist auch summender geworden. Tatsächlich läuft der Einspritzmotor durch die gleichmäßige Kraftstoffverteilung auf alle vier Zylinder runder als der Vergasermotor. Auch wirkt die Maschine lebendiger im oberen Drehzahlbereich, 6.000/min. werden in den Gängen immerhin recht zügig erreicht, eine für VW-Motoren ganz respektable Marke. Als darüber hinaus die Tachonadel auf ebener Fahrbahn nicht selten magische 160 km/h erreichte, waren wir bereit, dem VW 411 E gefühlsmäßig einen merklichen Leistungszuwachs zu bescheinigen.
E – wie Enttäuschung
Wie sehr Gefühle trügen können, zeigte sich freilich in der Stunde der Wahrheit, die dem VW 411 E auf einer von VW-Technikern häufig benutzten Messstrecke in Niedersachsen schlug: Die Leistungsmessungen ergaben für den Einspritzer nur ein kleines, kaum nennenswertes Plus gegenüber dem bisherigen 411.
Die Differenz betrug im Schnitt nur 0,8 bis 1,3 Sekunden. Null bis 100 km/h wurden nun in 17,9 statt 17,0 Sekunden erreicht. Weil die Werte deutlich unter den Werksangaben (0 - 100 km/h in 15 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 155 km/h) lagen, machte sich auto motor und sport die Mühe, die Messungen eine Woche später auf der gewohnten Messstrecke in Hockenheim zu wiederholen. Das Volkswagenwerk glaubte, den Fehler in der Einspritzsteuerung gefunden zu haben und schickte einen anderen Wagen.
Doch das Ergebnis war das Gleiche, die Werte deckten sich mit den in Norddeutschland ermittelten fast genau. Bei einer Analyse der Messwerte ließ sich feststellen, dass die Maschine im oberen Drehzahlbereich lebhafter geworden ist, jedoch über den gesamten Drehzahlbereich kaum an Elastizität gewonnen hat. Ein gut eingefahrener VW 411 E, der Testwagen hatte erst 2.500 km auf dem Zählwerk, könnte sich den Werksangaben durchaus weiter annähern.
Leistungszuwachs muss angezweifelt werden
Dennoch muss die nominelle Leistungsdifferenz von 12 PS zwischen dem alten und dem neuen VW 411-Motor angezweifelt werden, wahrscheinlich zu Gunsten des alten und zu Ungunsten des neuen Modells. Nach ersten Verbrauchswerten ist der Einspritzmotor keineswegs sparsamer als sein Vorgänger.
Die minimale Mehrleistung muss sogar durch einen höheren Benzinverbrauch erkauft werden, zu dem sich noch der Mehrpreis für Superbenzin gesellt. Erfolgreicher als die Leistungskur waren die Maßnahmen zur Geräuschdämpfung am VW 411. Dazu gehört eine neue elastischere Lagerung des Antriebsblocks in vier (statt bisher drei) Gummi-Metalllagern, die zudem eine neue Anordnung erfahren haben. Weiterhin trennte sich VW von dem Magnesium-Gussstück für Motorblock und Ölwanne, das nunmehr aus Aluminium-Druckguss besteht, und schließlich wird auch in die Karosserie zusätzliches Isoliermaterial eingebaut.
Innengeräusch deutlich leiser
Diese Maßnahmen hatten spürbaren Erfolg. Die Geräuschwerte sanken vor allem im Bereich über 80 km/h um vier bis sechs Dezibel. Mit diesen Phonzahlen zählt der E-Typ nicht gerade zu den leisen Autos der Mittelklasse, doch ist das Geräusch leiser und weniger lästig als bisher. Angenehm wirkt beim VW der absolut vibrationsfreie Lauf bei hohen Drehzahlen. Übrigens verhallte auch die Kritik der Tankwarte über die schlechte Zugänglichkeit beim Ölservice in Wolfsburg nicht ungehört. Beim VW 411 E liegen Peilstab und Öleinfüllöffnung nun auf der Oberseite des Motors.
Unübersehbares, äußeres Kennzeichen des VW 411 E sind Doppelscheinwerfer, mit denen er etwas weniger langweilig dreinschaut als sein glotzäugiger Vorgänger. In ihnen stecken Halogen-H1-Leuchten, die ein ausgezeichnetes Licht geben. Eindrucksvoll ist immer wieder die hervorragende Verarbeitungsqualität der VW-Autos.
Modernes Fahrwerk und ungünstige Achslastverteilung
Nach knapp einjähriger Bauzeit hat auch der VW 411 den hohen Wolfsburger Standard erreicht, denn erstklassige Verarbeitung ist zwar eine Wolfsburger Spezialität, aber auch dort gelingt natürlich der 5.000ste Wagen besser als der 500ste.
Bekanntlich verfügt der große VW 411 über ein modernes, hoch entwickeltes Fahrwerk, doch sind seine Fahreigenschaften wegen der ungünstigen Achslastverteilung nicht unproblematisch. In Kurven kennt der Wagen sowohl eine ausgeprägte Untersteuerneigung als auch eine Übersteuertendenz, die bei extremer Kurvenfahrt abrupt eintreten kann. Der Übergang war für den Fahrer nicht ganz leicht und nicht immer rechtzeitig auszumachen.
Bessere Kurvenlage beim neuen VW 411
Hier hat eine kleine Fahrwerkskorrektur in Form eines zusätzlichen Drehstabstabilisators an der Hinterachse Besserung gebracht: Der Übergang zum Übersteuern erfolgt nun weicher und besser wahrnehmbar, der VW 411 E übersteuert etwas williger, aber besser kontrollierbar als sein Vorgänger. Die eigentliche Stärke dieses Fahrwerks liegt nach wie vor im Federungskomfort, denn der Wagen schluckt kleine und große Bodenunebenheiten besser als viele seiner Klassenkonkurrenten.
Nachdem nun auch die Sitze stimmen, fährt man im großen VW wirklich bequem. Im Raumangebot kann der VW 411 in der Mittelklasse recht gut mithalten. Selbst der Frontkofferraum verfügt, obwohl ziemlich zerklüftet, über ein befriedigendes Fassungsvermögen. Das E hat aus dem 411 kein neues Auto gemacht, aber zweifellos ein besseres. Nach Behebung offenkundiger Mängel wirkt der Wagen abgerundeter, und man wünschte sich, er wäre vor einem Jahr gleich so erschienen.
Da der verbesserte 411 nicht teurer geworden ist, stellt er eine attraktivere Offerte dar als vor einem Jahr, aber doch keine, die in der Mittelklasse brilliert. VW hat es zwar verstanden, mit dem Typ 3 schon andere, nicht sehr erfolgreiche Modelle weiterzuboxen. Auf lange Sicht kann aber der 411 kaum der Wagen sein, auf den das Volkswagenwerk seine Mittelklasse-Zukunft stellt.