Unterwegs mit pinkem Bad

1995 tritt der Mercedes Sprinter auf die Transporterbühne und mit ihm der Westfalia-Ausbau James Cook in der zweiten Generation. Eine Zeitreise ins letzte Jahrtausend.
Es gibt Produkte, die einer ganzen Kategorie ihren Namen geben. Klebeband, Taschentücher, Küchenrollen oder Haselnusscreme – praktisch jeder denkt hier an die gleichen Markennamen. Bei den leichten Transportern hat diesen Job der Mercedes-Benz Sprinter übernommen und der Klasse seinen Stempel aufgedrückt. Als Basis von Reisemobilen führte er jedoch lange ein exklusives Nischendasein.
Erst mit der Einführung der aktuellen Generation, VS 30 genannt, die 2018 auf den Markt kam, ändert sich das so langsam. Und auch eine Neuauflage des von Westfalia ausgebauten James Cook gibt es aktuell – mit ganz neuem technischen Ansatz in Form eines Heck-Slide-outs, der kompakte Fahrzeuglänge mit hohem Schlafkomfort verbindet. Für viele James-Cook-Fans bleibt aber die erste Generation, die auf dem Sprinter basierte, die einzig wahre Variante. Warum das so ist, probieren wir aus – in einem 96er Modell.
Spritztour mit dem Sammlerstück
In einem unscheinbaren Gewerbekomplex in der Nähe von Stuttgart hat Mercedes seine historischen leichten Transporter versammelt und von jeder Generation mindestens ein fahrbereites Exemplar in einer Halle geparkt. Vor gar nicht allzu langer Zeit erst dazugekommen ist "unser" James Cook in strahlendem Weiß und optisch sehr gutem Zustand.
Also schnappen wir uns den Schlüssel und entern das Cockpit. Hier empfangen Sitzpolster mit psychedelisch gemusterten Bezügen die Passagiere. Das Design würde man im verklärten Rückblick eher den 80ern zuordnen, es war aber tatsächlich ein Jahrzehnt später State-of-the-Art. Die Instrumente sind sehr gut ablesbar – besser als in manch aktuellem Transporter – , und das große Lenkrad liegt gut in der Hand.
Nach dem Dreh am Zündschlüssel erwacht der Fünf-Zylinder-Diesel gut vernehmlich zum Leben. Mit 2,9 Litern Hubraum und 122 PS markiert dieser Motor die goldene Mitte der zur Wahl stehenden Antriebe. Serienmäßig sorgte ein etwas schwachbrüstiger 2,3-Liter-Vierzylinder mit 79 PS für Vortrieb. Ein ebenfalls 2,3 Liter großer Benziner mit 143 PS markierte die Topmotorisierung. Die Kraftübertragung auf die Hinterräder erfolgt über eine Fünf-Gang-Handschaltung mittels Schaltknüppel, der aufgrund seiner üppigen Dimensionen diesen Namen wirklich zu Recht trägt.
Unterwegs fällt sofort das butterweiche Fahrwerk auf. Sänftengleich – für ein Nutzfahrzeug – bügelt es Bodenunebenheiten weg und hinterlässt den Eindruck, dass man im 96er James Cook problemlos und ohne Ermüdungserscheinungen auch lange Etappen meistern kann. Kehrseite dieser Abstimmung – zusammen mit dem über drei Meter hohen Aufbau – ist aber das starke Wanken in Kurven. Besonders in Kreisverkehren muss man sich daran erst gewöhnen.
Solide und durchdachte Inneneinrichtung
Erstaunlich ist auch, dass man trotz des hohen Fahrzeugalters vom Möbelbau während der Fahrt praktisch keine Geräusche hört. Das spricht für den soliden Ausbau. Laut zeigt sich dagegen der rau laufende Turbodiesel. Überschreitet man die Tempo-100-Marke, ist eine Unterhaltung mit dem Beifahrer nur noch mit erhobener Stimme möglich.
Für kurze Pausen sind an der Seitenwand neben der Rückbank zwei Getränkehalter und ein kleines Klapptablett angebracht. Der große Sitzgruppentisch kann dabei in seinem sicheren Fach über dem Fahrerhaus und unter dem Dachbett bleiben. Wird er benötigt, ist er mit wenigen Handgriffen an der Wand- und in der Fußbodenschiene eingehängt. Mit gedrehten Fahrersitzen ist so ausreichend Platz für das Dinner zu viert.
Viel Platz zum Kochen
Das kann in der für die Fahrzeuglänge geradezu riesigen Winkelküche zubereitet werden. Zwar gibt es nur zwei Gasflammen, aber die Arbeitsfläche zum Schnibbeln und Vorbereiten macht so mancher Appartement-Küche Konkurrenz. Optional war sogar eine Einbaumikrowelle erhältlich. Verderbliche Lebensmittel reisen in einer Kompressorkühlbox mit 50 Liter Volumen mit. Das Kühlabteil ist in zwei Bereiche teilbar und ziemlich tief.
Damit genügend Autarkie trotz strombetriebener Kühlbox gegeben ist, hat der James Cook serienmäßig zwei 80-Ah-Gel- Aufbaubatterien an Bord. Der Gasvorrat von zwei Fünf-Kilo-Flaschen wird übrigens nur zum Kochen und zur Warmwasserbereitung im Boiler benötigt. Geheizt wird mit einem Diesel-Ofen.
Die Stauräume finden sich allesamt im Fahrzeugheck. Hänge- und Unterschränke in der Küche haben ausreichend Platz für alle Kochutensilien. Sogar unter der Abtropfschale der Spüle haben die Konstrukteure noch ein Staufach vorgesehen. Die Schale kann am Griff hochgeklappt und darunter etwa Geschirr eingelagert werden. Ein Tresor ist ebenfalls serienmäßig an Bord.
Der Kleiderschrank ganz hinten rechts im Fahrzeug fällt zwar schmal aus, ist aber sowohl von innen als auch via Hecktür gut erreichbar. An zusätzlichen Kleiderhaken kann hier auch die Outdoorgarderobe aufgehängt werden. Pfiffig: Statt Fenstern sind in den Heckflügeltüren insgesamt fünf offene Ablagen für Kleinteile integriert. Der größte Stauraum liegt unter dem Badpodest und hat auch eine Durchladenische unter den Küchenboden. So können auch lange Gepäckstücke wie Skier mit auf die Reise gehen. Tatsächlich ist jede Ecke genutzt, um in dem kompakten Camper Stauraum zu schaffen.
Rosa Heckbad
Ein Highlight der besonderen Art ist schließlich das Bad links im Heck. Öffnet man die Tür, springen einen die Sanitärmöbel in einem Farbton an, der als Rosa oder Pink bezeichnet wird. Es gab den Raum auch in schlichtem Weiß, aber die "plüschige" Farbgebung erfreute sich offenbar großer Beliebtheit. Der gesamte Raum ist wasserfest eingerichtet; so bedarf es keiner weiteren Abtrennung, um die integrierte Dusche zu nutzen. Als praktische Sonderausstattung findet sich über dem Spiegel eine ausziehbare Vierfach-Wäscheleine. Die Größe des Bads ist angesichts der Fahrzeugmaße wirklich üppig.
Schlafplätze für vier
Vier Personen finden im James Cook einen Schlafplatz. Zwei etwas kleinere Reisende liegen auf der Rückbank, die mit wenigen Handgriffen zum Bett umgeklappt wird. Die Füße ragen dabei bis in den Küchenblock hinein. Im Dachbett mit 2,0 mal 1,55 Meter großer Liegefläche können dagegen auch größere Camper gut nächtigen. Der Schlafkomfort ist dank ausreichender Kopffreiheit und bequemer Matratzen besser als in manch aktuellem Exemplar. Etwas abenteuerlich ist jedoch der Aufstieg ohne Leiter. Braucht man das Bett nicht mehr, wird es einfach zusammengeschoben.
Nach der ausgiebigen Ausfahrt müssen wir den James Cook leider wieder zurück zu seinen historischen Kollegen in die Halle stellen. Zurück bleibt der Eindruck, dass der Satz "früher war alles besser" zwar nicht immer, aber an der ein oder anderen Stelle durchaus seine Berechtigung hat.
Technische Daten: Mercedes James Cook (1996)
Länge/Breite/Höhe: 5.585/1.933/3.080 mm Zul. Gesamtgewicht: 3.500 kg Leergewicht: 2.780–2.850 kg, je nach Motorisierung.
Motorvarianten:
- MB 308 D (OM 601): 2,3 L Hubraum, 4 Zylinder, Turbodiesel, 79 PS
- MB 312 D (OM 602): 2,9 L Hubraum, 5 Zylinder, Turbodiesel, 122 PS
- MB 314 (M 111 E): 2,3 L Hubraum, 4 Zylinder, Benziner, 143 PS.
Getriebe: Fünfgang-Schaltgetriebe Kraftstofftank: 74 Liter Gurtplätze: 5 Stehhöhe: 1.950–2.360 mm Alkovenbett: 2.000 x 1.550 mm Frischwassertank: 100 L Abwassertank: 70 L Kühlschrank: 50-Liter-Kompressorkühlbox Batterie: 2 x 80-Ah-Gel-Bordbatterien
Die Mercedes-Benz Sprinter.Historie
Die Geschichte des Sprinter beginnt eigentlich schon 40 Jahre vor seiner Markteinführung. Den Anfang machte der L319, der von 1955 bis 1968 gebaut wurde. Von 1967 bis 1996 gab es dann den T2 bzw. T2N. Da er im Werk in Düsseldorf gebaut wurde, erhält er den Beinamen Düsseldorfer Transporter oder DüDo. Bis heute sieht man die 3,49- bis 6,79-Tonner noch häufig im kommunalen Einsatz.
1977 folgte dann der T1, der direkte Vorgänger des Mercedes-Benz Sprinter. Bis 1984 wurde er in Bremen gebaut, darum der Spitzname "Bremer". Auf dem T1 debütierte auch das erste James-Cook-Modell. Später wird die Produktion nach Düsseldorf verlagert und 1995 vom T1N, dem Sprinter, abgelöst.
Von 1995 bis 2000 gibt es den Sprinter mit einem 143-PS-Benziner oder in drei Dieselvarianten mit 79, 102 oder 122 PS. Im Jahr 2000 kommt das erste Facelift mit geänderter Front und überarbeiteten Motorvarianten mit bis zu 156 PS. Ein zweites kleines Facelift folgt bereits 2002. Bestes Erkennungszeichen dieses Modells ist der in Wagenfarbe lackierte Kühlerrahmen.
2006 startet dann die intern NCV 3 (New Concept Van 3) genannte zweite Generation. Der von vielen geliebte Fünfzylinder-Diesel entfällt, dafür sind starke Sechszylinder-Motoren mit bis zu 258 PS erhältlich. 2013 folgte das Facelift mit Euro-6-Motoren, leicht geänderter Front und zahlreichen Assistenzsystemen.
2018 kommt schließlich der VS30, der neue Mercedes-Benz Sprinter, auf den Markt, der erstmals mit Vorderradantrieb und als Triebkopf erhältlich ist.