Kultiger Kurzhauber als Camping-Grenzgänger
Einst tat er seinen Dienst beim Bundesgrenzschutz – heute dient er als robuster Fluchtwagen aus dem Alltag. Friedlicher, ziviler natürlich, doch im Herzen ist "Emil" immer noch ein solides Raubein mit einer ganzen Menge Charme.
Seinen "Dienstantritt" beim heutigen Besitzer hatte Emil vor fünf Jahren. "Den Namen trug er schon, als er zu mir kam", erzählt Mirko Bänisch. Müßiges Blättern durch Internet-Annoncen führt zum Zufallsfund, der rasches Handeln nahelegte.
Immerhin werden solche Reisemobile nur sehr selten im freien Markt angeboten, das war Mirko Bänisch klar, bei dem es sprichwörtlich in der ersten Sekunde gefunkt hat, wie man so schön sagt, binnen Tagen war der Erwerb getätigt. Der gute Erhaltungszustand der Fahrzeugbasis und die bereits geleisteten Umbauarbeiten im Koffer waren sicher mit ausschlaggebend.
Die Kabine wurde dereinst von der heute noch bestehenden Marke Kögel gefertigt, Basis des Fahrzeugs ist ein Mercedes-Benz 911 aus der legendären"Kurzhauber-Reihe", erstmals eingeführt 1959, als Antwort auf die neuen Vorschriften bei den Maßen und Gewichten. Es war das Ende der traditionellen Langhauber, die sich mit ihren stattlichen Nasen nun auf einmal den Vorwurf der Platzverschwendung zulasten der Ladefläche gefallen lassen müssen.
Die Hauben ein wenig zu schrumpfen, das war Gebot der Stunde. Man möge sich dies vergegenwärtigen, nähert man sich Emils Bug, der bullig, aber doch knuffig wirkt, sympathisch trotz all seiner stählernen Monumentalität. Entstanden ist das Design in den 1950er Jahren, als längst noch nicht klar war, ob sich die Frontlenkerbauweise auf Dauer durchsetzen würde – und ob die Kunden solch einen radikalen Schritt überhaupt gutheißen würden. Für viele hatte ein Laster einfach eine Haube zu haben. Punkt.
"Emils" Anfänge
Erstmals auf die Piste gebracht wurde Emil am 12. Dezember 1977. Als Funkwagen des Bundesgrenzschutzes hatte er seinen Dienst in den Zeiten des Kalten Krieges zu erfüllen. Wie lange und wo genau, darüber kann Mirko Bänisch keine Auskunft geben; immerhin aber steht die Erforschung der bisherigen Fahrzeughistorie noch in seinem ganz privaten Lastenheft. Etwas drängender waren zunächst praktische Anliegen, die der Reisetauglichkeit des einst komplett in "Schwarzgrün" lackierten Gefährts dienlich waren.
Denn wohl hatte der direkte Vorbesitzer in München, obgleich Emil dort nur ein Jahr weilte, eine Menge Arbeit investiert, "es gab aber trotzdem noch viel zu tun, gerade auch in Sachen Rostprophylaxe oder Stromversorgung", erklärt Bänisch und bittet zum Rundgang durch und auf das Fahrzeug.
Das "auf" ist hierbei wörtlich zu verstehen, eine solide Leiter am Heck erlaubt den Zutritt zum Dachgeschoss, wo stählerne Gitter sicheren Tritt erlauben, und auch den Zugang zu den Solarkraftwerken. Gleich zwei AGM-Speicher mit je 120 Ah speichern die Energie, wichtigster Verbraucher ist eine Kompressorkühlbox von Waeco mit 40 Litern. Gekocht wird übrigens auf einem Kartuschenkocher, "eine fest verbaute Gasanlage gab und gibt es nicht, das bleibt auch so".
Für Wärme und warmes Wasser ist eine Diesel-Standheizung von Webasto an Bord, der elf Liter fassende Boiler genügt. Direkt neben der Eingangstür wurde eine Dusche eingebaut, wobei drei Frischwassertanks nach Bedarf je 50 Liter bunkern können. "Kommt eben immer drauf an, ob wir nur übers Wochenende weg wollen – oder mal wieder nach Albanien", schmunzelt Mirko, wobei auch Gattin Sabine inzwischen von den Reisetalenten des markanten Hochbeins angetan ist.
Anfangs fremdelte sie noch ein wenig, sie nahm sich eben Zeit, ihre Zuneigung zu entdecken. Nach der ersten Reise hatte Emil aber auch bei ihr gewonnen, allein wegen der Reisetalente, die in dem umgebauten Funkkoffer stecken.
"Sogar vom Original-Ausbau sind noch Teile vorhanden", erklärt der Besitzer, wobei er nicht nur auf die Fenster aus Einfachglas hinweist, sondern auch auf die zahlreichen Griffe des Mobiliars. "Der Vorbesitzer hat die Original-BGS-Griffe einfach für den Campingausbau genutzt. Eine gute Idee, so solide wie die sind.
"Die aus dem Vollen gefrästen Details scheinen ebenso für die Ewigkeit gebaut wie die Trittstufe oder die mit Schmiernippeln versehenen Scharniere der Tür. Dass hier beim Vorbeigehen eine latente Verfettungsgefahr für feinen Zwirn besteht, darauf sei hingewiesen. Doch auch der Rest der Fuhre ist mit einem Klecks nicht zurückhaltend; Mirko Bänisch gönnte dem rostfreien Laster eine satte Behandlung mit bestem Korrosionsschutzfett, das bei hohen immer weiter in die Ritzen kriecht. Oder eben auf des Autors Klamottage, sei’s drum.
Läuft immer noch einwandfrei
Apropos kriechen: Im Normaltrimm werden die 130 PS des immerhin 5,7 Liter großen Sechszylinder-Diesels von einem Fünfganggetriebe verwaltet. Wird der Allrad aktiviert, ist automatisch auch eine Untersetzung inbegriffen; dann meistert der auf Singlebereifung umgerüstete Benz im langsamen Galopp auch schwieriges Geläuf. "Original hatte Emil eine Zwillingsbereifung auf der Hinterachse, jetzt rotieren auf allen Positionen riesige Pneus im Format 385/65 x 22,5.
Auch der VDO-Tacho musste dafür angepasst werden." Als Höchstgeschwindigkeit ist 103 vermerkt, "das ideale Reisetempo liegt allerdings bei 84 oder 85 km/h, dann gönnt sich Emil knapp 16 Liter aus dem 135 Liter großen Tank". Erstaunlich ist hierbei, wie flott der Wagen seine Reisegeschwindigkeit erreicht. Der Besitzer gestattete dem frisch gefetteten Autor lächelnd eine ausgedehnte Runde am gewaltigen Volant, mit dem der Laster sehr zielsicher dirigiert werden kann.
Auch die Gänge flutschen – ein wenig Zwischengas hilft, angefahren wird im zweiten – satt und fest, nur der Rückwärtsgang," mit Druck nach links und dann nach vorne", braucht Übung. Verbaut ist übrigens der legendäre OM 352: Seit Anfang der 1960er Jahre war dieser "Oelmotor" extrem beliebt; gefertigt wurde er für diverse Modellreihen und auch in Lizenz bis in den Iran.
Die Lizenz zum Durchstarten wiederum hat Emil in längstens einer halben Stunde, "der ist im Prinzip immer fit für nen Trip", freut sich der Eigner, wobei man dem Wagen anmerkt, welche Liebe und Pflege ihm stetig gewidmet wird, "allein das Abschmieren dauert einen halben Tag", erklärt Mirko Bänisch, der die Anschaffung einer pneumatischen Fettpresse grinsend als eine der besten Entscheidungen seines irdischen Daseins bezeichnet.
Aktuell freilich steht die Frage einer neuen Farbgebung des Kofferaufbaus im Raum, der graue RAL-Ton soll ein wenig lässiger gestaltet werden, vielleicht mit einem abgesetzten Streifen. Etwas versonnen schaut Mirko bei diesen Worten auf die Flanke seines Emil, der lässig im hohen Gras parkt, das ihn doch kaum am Bauch kitzelt. Ob ihm ein Zierstreifen an der Seite wächst, das scheint diesem Alltagsfluchtwagen indes leidlich egal zu sein. Warum? Es hat was von Dienstgraden auf Schulterklappen, was ihn schlicht nicht mehr interessiert. Und das ist auch gut so ...
Typenbezeichnung: Mercedes-Benz LA 911B
Erstzulassung: 12. Dezember 1977Länge/Breite/Höhe/: 7,90/2,50/3,20 mRadstand: 4,20 mMotor: Sechszylinder-Diesel, Typ OM 352, 5.675 ccm, 96 kW/130 PS, 363 Nm, Allrad zuschaltbarReifen: 385/65 x 22,5Gewicht: 7.490 kg (abgelastet)