Vierzylinder-Motor mit agiler Fahrweise

Der Mercedes Sprinter bekommt einen neuen Dieselmotor. In der kleineren V-Klasse ist der schon Standard.
Der Mercedes Sprinter bekommt einen neuen Dieselmotor. In der kleineren V-Klasse ist der schon Standard. Geht das auch im größeren und schwereren Sprinter gut? Test des neuen 170-PS-Top-Motors.
Downsizing – in manchen Ohren klingt das Wort nicht unbedingt verheißungsvoll, vor allem wenn es um große und potenziell schwere Autos geht. Doch, wie das so üblich ist, rühmt der Pressetext zur Einführung des neuen Dieselmotors im Mercedes Sprinter dessen Vorzüge. Leise und laufruhig sei der OM 654, dazu sauberer wegen der aufwendigen Abgasnachbehandlung.
Selbstredend sinke auch der Verbrauch, und dazu soll neben einer deutlichen Verringerung des Gewichts und ein paar anderen Feinheiten aus der Hightech-Trickkiste von Mercedes Benz Pkw eben auch die Reduktion des Hubraums von bislang 2143 cm³ beim OM 651 auf 1950 cm³ beitragen. Was nicht so einfach zu verstehen ist: In der V-Klasse leistet der neue Dieselmotor bis zu 239 PS; im größeren Sprinter schwingt er sich maximal zu 170 PS Spitzenleistung auf.
Klar klingt das immer noch ausreichend. Probieren wir’s einfach aus und schwingen uns hinters schicke Ledervolant, wobei wieder einmal auffällt, wie leicht sich wegen des weiten Lenkrad-Verstellbereichs eine angenehme Sitzposition finden lässt. Der Testwagen hat sogar eine elektrische Sitzverstellung – ja, das gibt’s! – samt praktischer Memoryfunktion, z. B. bei regelmäßigen Fahrerwechseln. Die großen Fensterflächen lassen das Cockpit luftig wirken; die fehlenden äußeren Armlehnen deuten jedoch an, wie schmal das Fahrerhaus tatsächlich ist.
Breite A-Säulen und die Konsole rund um den Innenspiegel, in der die Sensoren für Assistenzsysteme, Fahrlicht- und Wischerautomatik untergebracht sind, stanzen trotz hoher Frontscheibe allerdings beträchtliche Lücken ins Sichtfeld und beschränken unter anderem den Blick auf Ampeln. Insgesamt passt die Übersichtlichkeit jedoch. Die Spiegel dürften zwar größer sein, immerhin warnen sie vor Verkehr im toten Winkel.
Ruhiges Fahrgefühl in der Stadt
Jetzt aber vorwärts: Funkschlüssel in die große Mittelablage; Druck auf den Startknopf. Der OM 654 meldet sich vernehmlich, aber keineswegs aufdringlich und zieht sofort willig los. Innenstadttempo ist zügig erreicht, ohne dass die Drehzahl jemals über 1800 Touren steigt. Bei 45 km/h säuselt der Wagen mit 1250 Umdrehungen angenehm ruhig und kultiviert vorwärts, während die Automatik unmerklich bereits den sechsten Gang serviert hat. 400 Newtonmeter Drehmoment packen bis Landstraßentempo beherzt zu. Gleitet der Wagen mit 80 km/h in der Ebene entspannt dahin, liegen kaum mehr als 1300 Touren an. Bei 120 dreht der Motor im neunten Gang knapp über 2000.
Fahrsituationen, die den Motor richtig fordern, zeigen jedoch die Grenzen der Souveränität. Auf dem Beschleunigungsstreifen wäre mehr Bums durchaus brauchbar, um doch noch vor den nahenden Lkw einzuscheren; die Kraft entfaltet sich nicht gerade explosiv. Auch an Autobahnanstiegen wirkt und klingt der kleine OM 654 angestrengt, obwohl der Wagen für die Testfahrten nicht bis zum Maximalgewicht beladen war. Das Beschleunigungsvermögen ab 120 bleibt limitiert, bis 160 kämpft der Vierzylinder tapfer gegen diverse Fahrwiderstände. Mit Rückenwind und langem Anlauf sind auch mal 170 drin.
Minimaler Wandlerschlupf
Damit das nicht unter den Tisch fällt: Unser Testwagen ist ein Hecktriebler. Dennoch übernimmt – wie bisher nur bei den Versionen mit Vorderradantrieb – eine Neungang-Automatik die Kraftübertragung. Der Grund: Der OM 654 arbeitet alternativ zum manuellen Sechsgang-Schaltgetriebe optional mit der 9G-Tronic zusammen. Der Fortschritt gegenüber dem Sieben-Gang-Wandler ist größer, als es die zwei zusätzlichen Fahrstufen vermuten lassen.
Sehr schnell stellt das Getriebe Kraftschluss her. Der Wandlerschlupf, in dem theoretisch – und früher auch noch sehr ausgeprägt – der Vorwärtsdrang versumpfen kann, ist minimal. Bei gemäßigtem Druck auf das Gaspedal erfolgen die Schaltvorgänge in der Regel sehr früh, sehr schnell und sehr weich. Dabei ist die Spreizung über alle neun Fahrstufen so enorm, dass man fast immer niedertourig unterwegs ist – zumindest bis zur Autobahn.
Gut für den Verbrauch, der sich im Schnitt bei 9,4 Liter je 100 Kilometer einpendelt. Mit zartem Gasfuß und ohne Schnellstraßenanteil sind sogar noch weniger drin. Alles in allem ein guter Verbrauch, aber kein sensationeller.
Technische Daten und Messwerte
Motor/Zylinder: Turbodiesel/4-Zylinder-Reihe Hubraum: 1950 cm³ Leistung: 125 kW/170 PS Weitere Leistungsstufen: 84 kW/114 PS, 110kW/150 PS Drehmoment: 400 Nm bei 1700/min Getriebe: 9-Gang-Wanlderautomatik Antrieb: Hinterradantrieb Beschleunigung 0-50/80/100 km/h: 5,4/11,2/17,2 s Wiederbeschleunigung 60-80/100 km/h: 4,6/11,2 s Testverbrauch: 9,44 L/100 km Testgewicht/zul. Gesamtgewicht: 3070/3500 kg
Motor und Technik: OM 654
Den "Oel-Motor" OM 654 stellte Mercedes erstmals 2016 in der E-Klasse vor. Mittlerweile wird er in zahlreichen Modellen der Marke eingesetzt, seit 2019 auch in der V-Klasse, wo er bis zu 239 PS leistet. Gewichts-, Emissions- und Verbrauchsreduktion standen bei der Entwicklung im Vordergrund. Verschiedene Maßnahmen sollen dazu beitragen, unter anderem eine Verringerung des Hubraums auf knapp zwei Liter.
Erstmals baute Mercedes mit dem OM 654 einen Vierzylinder-Diesel vollständig aus Aluminium. Der Motorblock besteht komplett aus dem Leichtmetall, der Zylinderkopf aus einer Legierung. Die innermotorische Reibung wird unter anderem durch eine nanokristalline Eisen-Kohlenstoff-Beschichtung der Zylinderwände reduziert. Dies soll den Verbrauch ebenso drücken wie das sogenannte Stufenmulden-Brennverfahren mit speziellen Kolben, einer höheren Verdichtung (15,5) und höheren Einspritzdrücken bis 2500 bar. Das Abgas wird in mehreren Stufen gereinigt, um vor allem den Anteil der Stickoxide und Partikel zu verringern.
Im Pkw-Bereich bekam der OM 654 jüngstens sogar Technik aus der Formel 1 eingebaut. Die Diesel- und Benziner-Versionen des Motors in der E-Klasse werden von einem integrierten Starter-Generator unterstützt (ISG), der unter anderem das Turbo-Loch beim Beschleunigen ausgleicht.