Steckt in diesem AMG wirklich ein Pagani-Motor?

Der Wagen ist in Brilliant Silver Metallic lackiert, besitzt ein Hardtop und ein elektrisch betätigtes schwarzes Stoffverdeck.
Wenn AMG in den 1990er Jahren Hand anlegte, entstand aus einem SL 600 ein echtes Sammlerstück. Der SL72 ist das seltenste Kapitel dieser Geschichte – und genau ein solches Exemplar steht jetzt zur Auktion.
Der SL72 AMG gehört zu den seltensten Ausbaustufen des R129. Technisch ist er ein Stück authentischer AMG-Manufakturarbeit, optisch bleibt er bewusst zurückhaltend. Genau ein solches Exemplar kommt nun in den USA unter den Hammer. Bei Bring a Trailer steht ein 1995er SL72 als Premium-Listing. Das aktuelle Gebot liegt bei 295.000 US-Dollar (etwa 253.050 Euro), das Auktionsende ist auf den 17. Oktober 2025 datiert.
Umbau bei AMG – so war das damals üblich
Das Fahrzeug wurde 1995 zunächst als SL 600 mit dem großen M120-V12 bei Mercedes produziert und über ART Sports in Tokio ausgeliefert. Am 1. Juni 1995 erfolgte dann bei AMG der werksseitige Umbau zum SL72, dokumentiert durch eine AMG Classic Conversion Confirmation. Das ist keine Besonderheit, sondern entsprach der damaligen Praxis: Solche Hochleistungsmodelle entstanden Mitte der 1990er Jahre nicht als separate Baureihen, sondern als von AMG ausgeführte Kundenumbauten auf Basis regulärer Mercedes-Modelle. Ein SL 72 ist also in aller Regel ein originaler AMG-Umbau auf SL-600-Basis und gilt mit entsprechender Dokumentation als authentischer AMG.
Der Wagen trägt die Farbe Brilliant Silver Metallic, verfügt über ein Hardtop in Wagenfarbe und ein elektrisch betätigtes schwarzes Stoffverdeck. Die Karosserie wurde 2003 neu lackiert. Auf den zeitgenössischen 17-Zoll-AMG-Aero-III-Felgen von OZ sind frische Michelin Pilot Sport 4S montiert, zudem wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Auktion die Achsgeometrie neu vermessen. Der Tacho steht bei 68.000 Kilometern. Papiere, Servicebelege sowie CarVX- und Carfax-Berichte liegen vollständig vor.
Der Motor mit Pagani-Verwandtschaft
Kern des Umbaus ist der auf 7,2 Liter vergrößerte M120-V12. AMG gibt dafür rund 525 PS an. Der Motor arbeitet frei saugend mit Vierventiltechnik und zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderbank. Titanpleuel und eine AMG-Sportabgasanlage gehören ebenso zur Ausstattung wie das für AMG typische Feintuning der Peripherie. Die Kraft wird über eine vierstufige Automatik an die Hinterachse übertragen. Für Traktion und Fahrstabilität sorgen ASR und das adaptive Dämpfungssystem ADS mit automatischer Niveauregulierung. Das Resultat ist ein ausgesprochen souveräner, langstreckentauglicher R129 mit einem sehr eigenständigen Charakter.
Die oft zitierte "Pagani-Verbindung" bezieht sich auf die gemeinsame technische Basis. Pagani nutzte im Zonda AMG-Derivate dieser M120-Familie, vor allem mit 7,0 und 7,3 Litern Hubraum. Der SL72 teilt die Architektur und den Charakter dieser Baureihe, ist aber nicht identisch mit den späteren Zonda-Aggregaten. Wer ihn fährt, erlebt dennoch die gleiche technische DNA – nur im Serien-Mercedes.
Handwerkskunst im Innenraum
Im Innenraum zeigt sich der für AMG typische Mix aus Zurückhaltung und handwerklicher Individualisierung. Exclusive-Leder in Schwarz mit kontrastierenden französischen Nähten, ein AMG-spezifisches Holzfinish und das AMG-Lenkrad prägen das Ambiente. Zur Ausstattung gehören Klimaautomatik, ein Bose-Audiosystem mit Kassettengerät, beheizbare und elektrisch verstellbare Sitze mit je drei Memory-Stufen sowie ein 300-km/h-Tacho im VDO-Kombiinstrument.
Auch außen bleibt der SL72 unaufdringlich: Hardtop in Wagenfarbe, schwarzes Stoffverdeck, dezentes AMG-Bodykit, Xenon-Scheinwerfer mit Reinigungsanlage, Kotflügelentlüftungen und eine Spoilerkante am Heck. Die Aero-III-Felgen von OZ sind ein typisches Erkennungsmerkmal dieser Ausführung.
Seltenheit und Historie
Der SL72 zählt zu den seltensten Varianten des R129. In der Fachszene ist seit Jahren von rund 35 gebauten Fahrzeugen die Rede, offizielle Werkszahlen existieren nicht. Hintergrund ist die damalige Umbaupraxis bei AMG: Diese Modelle entstanden nicht auf dem Fließband, sondern wurden individuell für Kunden gefertigt.
Das Auktionsfahrzeug verfügt über eine AMG-Classic-Bestätigung mit Umbau-Datum und eine lückenlose Historie mit Serviceunterlagen und Carfax/CarVX-Berichten. Solche Nachweise unterscheiden einen originalen AMG-Umbau klar von späteren Nachrüstungen und sind für Sammler ein zentraler Faktor.
Einordnung innerhalb der M120-Familie
Innerhalb der M120-Linie steht der SL70 AMG am unteren Ende der Hierarchie. Sein V12 wurde auf 7,0 Liter vergrößert und leistet je nach Quelle und Bauzeitraum rund 490 bis knapp 500 PS. Die Stückzahlen sind gering, aber höher als beim SL72. Der SL72 platziert sich in der Mitte. Der SL73 AMG bildet den oberen Abschluss. Sein 7,3-Liter-V12 wurde gegen Ende der R129-Baureihe offiziell angeboten und leistet nominell ebenfalls rund 525 PS. Durch die größere Hubraumreserve und die enge Verwandtschaft zu den später in Pagani-Zonda-Modellen eingesetzten Motoren ist der SL73 das bekannteste Modell dieser Dreiergruppe.
Allen Varianten gemeinsam sind der Charakter des großvolumigen Saug-V12 und die Verbindung mit der Vierstufenautomatik. Der SL70 markiert den Einstieg, der SL72 ist die extrem rare Zwischenstufe, der SL73 das prestigeträchtige Topmodell. In Sammlerkreisen gilt insbesondere der SL72 als eine der exklusivsten Spielarten des M120-Erlebnisses.
Markt und Auktion
Mit rund 253.000 Euro im aktuellen Stand bewegt sich das Auto bereits in einem Bereich, der Seltenheit und Dokumentation widerspiegelt. Frische Reifen, Achsvermessung und vollständige Unterlagen sind für den Ausgang einer Online-Auktion erfahrungsgemäß wertrelevant. Classic Analytics taxiert den SL72 in gepflegtem Zustand allerdings auf 180.000 Euro. Vielleicht erreicht dieses Exemplar einen neuen Rekordwert.