Olympia-Historie: Als Jacobellis ihr Gold wegwarf
Olympia-Historie: Als Jacobellis ihr Gold wegwarf
Anlässlich der Winterspiele in Pyeongchang erinnert sport.de an prägende Momente der Olympia-Geschichte. Heute: Ein überflüssiger Trick kurz vor der Ziellinie kostet Snowboarderin Lindsey Jacobellis 2006 in Turin die sichere Goldmedaille.
Ob Muhammad Ali, Michael Jordan oder Michael Phelps - große Athleten haben Momente, die ihre Karriere definieren. So auch Lindsey Jacobellis. Danach fragen sollte man den US-amerikanischen Snowboard-Star aber besser nicht.
Und doch bohren die Journalisten, zumindest alle vier Jahre. Wie es denn dazu kommen konnte? Was sie daraus gelernt hat? Und wie sie seitdem nach vorne blickt? Meist ist die US-Amerikanerin gut vorbereit und pariert gekonnt. Doch manchmal wird Jacobellis schnippisch. Sie verweist dann darauf, dass viele Leute ihren Sport einfach nicht verstehen.
Um ihre Gefühle nachzuvollziehen, muss man zwölf Jahre in der Zeit zurückreisen. Nach Italien, genauer nach Turin. 2006 fanden in der Metropole die Olympischen Winterspiele statt. Mit dabei war endlich auch die Cross-Fraktion der Snowboarder. Nach jahrelangem Ringen hatte das IOC den Sport ins olympische Programm aufgenommen.
Gute Nachrichten vor allem für Jacobellis. Die US-Amerikanerin galt als die große Favoritin auf die Goldmedaille. Jacobellis dominierte ihre Disziplin seit einiger Zeit. Sie reiste mit dem Selbstvertrauen von mehreren X-Games-Triumphen und als amtierende Weltmeisterin zu den Spielen.
Jacobellis scheinbar sicher auf Gold-Kurs
Mit Leichtigkeit erreichte die damals 20-Jährige das Finale und schickte sich an, auch dort ihre Konkurrentinnen zu deklassieren. Bereits beim ersten größeren Sprung stürzte die Kanadierin Maëlle Ricker. Für Landsfrau Dominique Maltais endete das Rennen nur zwei Kurven später im Fangzaun.
Übrig blieben nur Jacobellis und die Schweizerin Tanja Frieden. Doch die Eidgenossin musste gegen einen riesigen Rückstand ankämpfen, befand sich gute 70 Meter hinter der Amerikanerin. Eine Ewigkeit auf der Piste. "Jacobellis mit einer scheinbar unantastbaren Führung. Sie fährt das hier ganz entspannt runter", schrie der TV-Kommentator ins Mikrofon. Sogar das Wort "Ehrenrunde" fiel.
Und tatsächlich konnte Frieden den Rückstand nur minimal verkürzen, zu weit voraus war Jacobellis. Im Zielbereich feierten die Amerikaner schon die nächste Goldmedaille für ihr Olympiakonto. Doch dann verzockte Jacobellis sich.
Beginn eines olympischen Traumas
Den vorletzten Sprung des Rennens nutzte sie, um einen Method hinzulegen. Der Trick, bei dem Ober- und Unterkörper eine Gegenrotation durchführen, während man die Hacken anzieht, misslang. Jacobellis stürzte in den Schnee.
Zwar war die scheinbar sichere Siegerin schnell wieder auf den Beinen, doch nicht schnell genug. Frieden fuhr an ihrer Konkurrentin vorbei und sicherte sich die wohl dramatischste Goldmedaille der Spiele von Turin.
Jacobellis, die sekundenlang fassungslos hinter der Ziellinie stand, blieb hingegen nur die Silbermedaille - und ein Makel, der ihrer Karriere bis heute anhaftet.
Obwohl sie ihren Sport weiterhin dominiert, wurde Jacobellis ihr Olympia-Trauma nie ganz los. in Vancouver 2010 stürzte sie im Finale erneut, Sotschi 2014 endete bereits im Vorlauf durch eine Disqualifikation.
Es sind die Spiele in Turin, ihr verkorkster Method und die nervenden Journalisten die ihre Karriere (bislang) definieren.
Simon Lürwer