Das SID-Kalenderblatt am 18. Juli: Das Todesdrama um Casartelli

Das SID-Kalenderblatt am 18. Juli: Das Todesdrama um Casartelli
Köln (SID) - Hin und wieder halten Radfahrer inne, hält ein Auto an dieser eigentümlichen Sonnenuhr aus weißem Stein an der Departement-Straße 618 beim Örtchen Boutx in den Pyrenäen. Wer liest, was auf der daneben angebrachten Gedenktafel geschrieben steht, erhält eine leise Ahnung dessen, welche Tragödie sich hier am 18. Juli 1995 beim schlimmsten Rennunfall der Geschichte der Tour de France ereignet hat.
Auf der halsbrecherischen und teils über 17 Prozent steilen Abfahrt vom Col de Portet d'Aspet flogen Fabio Casartelli, sein italienischer Landsmann Dante Rezze und der deutsche Profi Dirk Baldinger bei Tempo 90 ab. Baldinger erlitt einen offenen Hüftbruch, doch Casartelli, das war sofort ersichtlich, hatte es viel schlimmer erwischt.
Der 24-Jährige, 1992 Olympiasieger in Barcelona, war mit dem Gesicht voran auf einen Begrenzungsstein geprallt. Erbarmunglos hielt die TV-Kamera fest, wie Casartelli bewusstlos auf dem flirrenden Asphalt lag, das Blut in Strömen aus seinen Wunden schoss. Innerhalb von zehn Sekunden waren die Ärzte bei ihm, konnten ihn reanimieren - doch drei Stunden später starb Casartelli im Krankenhaus von Tarbes.
Fast drei Jahrzehnte, seit dem Drama um Tom Simpson am Mont Ventoux 1967, war die Tour ohne tödlichen Zwischenfall im Rennen geblieben. Casartellis Schicksal rief allen Beteiligten ins Gedächtnis, wie lebensgefährlich das rasende Geschäft auf den dünnen Pneus sein kann. Einen Helm hatte kaum jemand getragen, er hätte Casartelli, womöglich gerettet.
Die folgende Etappe wurde als Gedenkfahrt ausgetragen, das Motorola-Team Casartellis radelte stumm voran. Zum Team gehört ein junger Amerikaner. Sein Name: Lance Armstrong. Drei Tage nach dem Tod des Kollegen gewinnt er die Etappe nach Limoges, deutet im Ziel gen Himmel. Sein bitterster Sieg bleibt einer der wenigen, die Armstrong knapp zwei Jahrzehnte später nicht aberkannt werden.