So geht es Michail Gorbatschow heute
Michail Gorbatschow, der Mann, dem die Deutschen maßgeblich ihre politische Einheit zu verdanken haben, ist heute kaum noch zu sehen. So lebt er.
Was macht eigentlich Michail Sergejewitsch Gorbatschow (89)? Der Mann, dem die Deutschen maßgeblich ihre politische Einheit zu verdanken haben, ist fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der 89-jährige Friedensnobelpreisträger lebt zurückgezogen in einer Datscha in einem Vorort von Moskau.
Es heißt, es gehe ihm gesundheitlich nicht besonders gut. Bei einer Buchvorstellung vor zwei Jahren, einem seiner letzten öffentlichen Auftritte, beschreiben Zeugen einen stark gealterten Gorbatschow, der sich auf seinen Gehstock und auf die Hand eines Mitarbeiters stützte.
"Er ist ein wirklicher Revolutionär"
Einst war er einer der mächtigsten Männer der Welt. Der Sohn eines Mähdrescherfahrers im Nordkaukasus wird als einer der großen Reformer und Versöhner mit dem Westen in die Geschichte eingehen. Der letzte Generalsekretär der KPdSU und erste Präsident der Sowjetunion leitete die Perestroika und somit das Ende des kalten Krieges zwischen dem Westen und Osten ein. Der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (1927-2016) sagte über ihn: "Gorbatschow hat mit der Politik der Perestroika eine Revolution eingeleitet. Er ist ein wirklicher Revolutionär. Er hat eine Freiheitsrevolution in Gang gesetzt."
Vor allem hat Gorbatschow schon 1989 die Deutschen zur Wiedervereinigung ermutigt; das galt noch Monate vorher als völlig utopisch. 1990 wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Letztendlich bedeutete seine Öffnung nach Westen auch das Ende des Sowjetreiches, was ihm viele in seiner russischen Heimat nicht verziehen haben. Für manche ist er sogar ein Landesverräter.
Seine Frau musste viel ertragen
Wenige Monate nach einem gescheiterten Putschversuch im August 1991 trat Gorbatschow als Präsident der UdSSR zurück. Zuvor hatten die Präsidenten von Russland, Weißrussland und der Ukraine vertraglich die offizielle Auflösung der Sowjetunion vereinbart. Damit war Gorbatschows politische Karriere beendet. Für die Deutschen war und ist der Russe ein politischer Held. In Deutschland wurde auch Gorbatschows krebskranke Ehefrau Raissa (1932-1999) behandelt. Die charismatische Soziologie-Professorin war seine große Liebe und stets an seiner Seite.
Im Westen war seine Frau ebenfalls sehr angesehen, im Osten dagegen hatte sie aufgrund ihres glamourösen Auftretens bei der Bevölkerung einen eher umstrittenen Stand. Das machten sich politische Kreise zunutze. In der Endphase der Sowjetunion wurden Intrigen gegen Raissa gestreut, um ihren Mann zu treffen. Sie habe sehr an der Kritik und Häme gelitten, der er wegen seiner Reformpolitik ausgesetzt gewesen sei, sagt Gorbatschow in einem "Stern"-Interview. "Meine Familie steckte mittendrin im glühenden Kessel der Perestroika. Sie musste Schreckliches aushalten. Für Raissa, meine Frau, war das einfach zu viel."
Intrigen in Russland
Bereits vor dem Militärputsch von 1991 war sie an Leukämie erkrankt. Es folgten weitere gesundheitliche Rückschläge. Dennoch wurden in Russland Gerüchte geschürt, Raissa Gorbatschowa wolle nur von den Schwächen ihres Mannes ablenken - Intrigen, die ihr Mann bis heute nicht verkraftet hat, wie er dem "Stern" sagte: Kurz vor ihrem Tod habe sie einen Satz gesagt, "der sich für immer in mir eingegraben hat: 'Muss ich wirklich sterben, damit die Menschen mir glauben?'".
Raissa Gorbatschowa starb am 20. September 1999 mit 67 Jahren im Universitätsklinikum Münster und ließ einen völlig verzweifelten Witwer zurück. Seine Tochter Irina (63) sagte damals, er wolle nicht mehr leben. Raissa wurde auf dem Friedhof des Moskauer Neujungfrauenklosters beerdigt. Ihre Grabstätte ziert die Skulptur eines Blumenmädchens, das ihr Mann stets mit frischen Blüten schmücken lässt.
Gorbatschow meldet sich zu Wort
Nach dem Tod seiner Frau besuchte Gorbatschow Deutschland des Öfteren. Tochter Irina hatte in Rottach-Egern am Tegernsee das stattliche Hubertus-Schlössl (17 Zimmer) gekauft, in dem der ehemalige Kreml-Chef gern Urlaub machte und am Tegernsee spazieren ging. Mittlerweile kann er solche Reisen angeblich nicht mehr unternehmen.
Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit meldet sich der Ex-Präsident immer wieder politisch zu Wort. Er schreibt Bücher, kümmert sich um seine Gorbatschow-Stiftung, unterstützt von Tochter Irina, kämpft für die Menschenrechte - und verteidigt seine Heimat. Zu Bild sagte er: "Niemand macht sich mehr Sorgen um die Ukraine als wir Russen. Ich denke bei dieser Frage an meine Mutter. Sie war Ukrainerin. Und die zweite Frau in meinem Leben, die ich ebenfalls verloren habe, Raissa, war auch Ukrainerin."
Nachdem er 2011 mit dem Andreas-Orden, der höchsten russischen Auszeichnung, geehrt wurde, lobte er seinen Nachfolger: "Ich werde Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin [67] entschlossen verteidigen. Ich bin absolut überzeugt, dass Putin heute besser als jeder andere die Interessen Russlands verfolgt. Es gibt natürlich in seiner Politik etwas, das kritisierbar ist. Aber ich will dies nicht tun, ich will auch nicht, dass jemand anderes dies tut."
Er dementiert Meldungen, nach denen er dem Christentum beigetreten sei, ebenso entschieden ("Ich bin nach wie vor Atheist") wie eine Hacker-Attacke, bei der sein Ableben in einem Café in Jekaterinburg bekannt gegeben wurde: "Sie hoffen vergeblich. Ich bin lebendig und mir geht es gut." Ausgelassen feiern möchte er erst wieder am 2. März 2031. Da wird er 100 Jahre alt.