Eine Reise ins Ungewisse
auto motor und sport zählt zu den wenigen Publikationen, die direkt vom ersten Geisterrennen der Formel 1 berichten dürfen. Es ist eine Reise ins Ungewisse mit vielen Hindernissen und Einschränkungen, stellte Michael Schmidt fest.
Die Geschichte des GP Österreich beginnt in Australien. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als um 10.07 Uhr Ortszeit in Melbourne der Saisonauftakt abgesagt wurde. Die Vorbereitungen zum ersten Grand Prix des Jahres befanden sich quasi auf der Zielgerade, als der positive Corona-Befund eines McLaren-Mechanikers alles auf Null stellte.
Es herrschte eine Art Endzeitstimmung im Fahrerlager, als die Teams damit begannen, Hunderte von Tonnen Material wieder zusammenzupacken und alle aus dem Zirkus gleichzeitig versuchten, ihre Rückflüge umzubuchen. Ohne den Umweg Bahrain. Irgendwie hatte ich da schon das unbestimmte Gefühl: Es wird lange dauern, bis wir uns alle wiedersehen. Der lockere Spruch "See You in Baku", erschien mir wie ein Wunschkonzert.
Seit dem schwarzen Freitag von Melbourne sind 109 Tage vergangen. Autorennen fanden in der Zwischenzeit nur virtuell statt. Bis auf Lewis Hamilton, Sebastian Vettel, Daniel Ricciardo und Kimi Räikkönen nahmen alle Fahrer teil. Die Teams sperrten 63 Tage lang ihre Fabriken zu. Das Personal wurde in Kurzarbeit oder ins Home Office geschickt, die Kommunikation auf Digitalplattformen wie Zoom, Teams oder Webex verlegt. In der Zwischenzeit wurden neue Reglements geschrieben, Sparpläne ausgeheckt und Rettungsschirme aufgespannt. Am 2. Juni gab es doch tatsächlich einen Kalender. Die ersten acht Rennen nur, aber man ist ja bescheiden geworden, in diesen Tagen.
Papierkram vor erstem Rennen
Die erste Nachricht klang nicht gut. Medien bleiben ausgesperrt, teilte das Formel 1-Hauptquartier mit. Das erste Sicherheitskonzept der FIA wollte dem Risiko keine Chance geben. Keiner wollte ein zweites Melbourne erleben. Es war für den Fortbestand der Serie einfach zu wichtig, dass eine Mindestzahl an Rennen stattfindet. Und da galt die Regel: Je weniger Personen vor Ort, umso besser. Das ganze wurde dann aufgeweicht, als die Formel 2, Formel 3 und der Porsche Cup mit in das Programm aufgenommen wurden. Money talks. Auch wir haben uns für unsere Sache stark gemacht, haben bei FIA-Präsident Jean Todt und Formel 1-Sportchef Ross Brawn interveniert und auf die Wichtigkeit einer unabhängigen Berichterstattung hingewiesen.
Vier Wochen vor dem ersten Rennen gab es dann grünes Licht. Acht TV-Anstalten, 23 Journalisten, 30 Fotografen bekamen eine Zulassung. Unter strengsten Sicherheitsbestimmungen und eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten. Die TV-Blase darf ins Fahrerlager aber nicht ins Pressezentrum. Print- und Online-Medien sind im Pressesaal festgenagelt. Es gibt Fotografen für die Strecke, für die Boxengasse und die Garagen. Keiner darf alles, jeder bekommt ein bisschen. Wer glaubt, die Deutsche Fußball-Liga hätte mit seinem Hygienekonzept alle Unwägbarkeiten abgedeckt, der hat den Covid-19 Plan der Formel 1 noch nicht gesehen. Der Bundesliga-Restart orientiert sich an einem 41-seitigen Dokument. Die Formel 1 hat alle Sicherheitsmaßnahmen auf 73 Seiten niedergeschrieben.
Vor unserer Abreise nach Spielberg baute die Formel 1 für alle Teilnehmer noch einige Hindernisse auf. Der Papierkram hätte auch eine Reise zum Mond gerechtfertigt. Zunächst einmal mussten wir den Verhaltenskodex des Covid-19-Delegierten anerkennen. Elf Seiten mit Hinweisen, was man darf und was nicht. Die FIA verlangte eine schriftliche Auflistung unserer Reisepläne, unserer Hotels und Transportmittel vor Ort.
Wir brauchten eine Bestätigung der Redaktion, dass wir an diesem Rennen auch wirklich teilnehmen wollten, eine Versicherung unsererseits, dass wir alles verstanden haben und eine ärztliche Bestätigung, dass wir gesund sind. Ohne negativen Corona-Test brauchte man sich erst gar nicht auf den Weg machen. Der Test durfte bei Ankunft nicht älter als 96 Stunden sein. Einmal im System wird man jetzt alle fünf Tage daran erinnert, einen neuen Test zu machen. Ich habe den Eindruck: Kein Ort der Welt ist in diesem Moment sicherer vor Corona als der Red Bull-Ring.
Keine Werbung, keine Plakate
Dann ging es endlich los. Mit einem komischen Gefühl. Es ist nach 640 Formel 1-Rennen auch für mich eine Premiere. Mein erster Geister-Grand Prix. Das erste Rennen, an dem ich die Fahrer nur auf den Bildschirmen sehe und die Autos aus 20 Meter Distanz vom obersten Stockwerk der Haupttribüne. Jetzt, wo gerade ein Wolkenbruch über die 4,318 Kilometer lange Strecke niedergeht, fühle ich mich in meiner Loge ganz wohl. Unten in der Boxengasse wird eilig eine Plane über den schwarz lackierten Mercedes geworfen. Der FIA-Technik-Kommissar bittet gerade einen McLaren in sein Reich.
Ich habe mich einen Tag später als sonst auf die Reise gemacht. Unser Fahrerlager-Report vom Mittwoch muss ausfallen, solange das Fahrerlager für uns gesperrt ist. Nach 16 Wochen Pause fühlte ich mich auf sechs Stunden Autofahrt in die Steiermark fast so wie auf den 20 Stunden Flug nach Australien. Nach so langem Stillstand mutet jeder Ortswechsel wie eine Reise ins Ungewisse an.
Dass nichts ist wie sonst, merkt man schon auf den letzten Kilometern vor der Rennstrecke. Kein einziges Plakat weist auf den Grand Prix hin. Hitradio Ö3 schweigt den Grand Prix am Donnerstag noch tot. Sonst gab es da immer schon stündliche Live-Berichterstattung vom Ring. Das Schild, wo man sich anmelden muss, ist so dezent, dass man es kaum sieht. Keiner soll mit der Nase drauf gestoßen werden, dass hier ein Grand Prix stattfindet.
Noch nicht einmal auf der Zufahrtstraße zur Rennstrecke gibt es einen Hinweis auf das Rennen. Am Eingang steht ganz neutral: "Servus am Spielberg". Unter normalen Umständen wären die Wiesen rund um die Strecke am Donnerstagmittag bereits gut gefüllt mit Campern, Zelten und Autos. Jetzt grasen hier höchstens ein paar Kühe. So soll es auch bis zum Sonntag bleiben. Zuschauer sind in diesen Zeiten unerwünscht.
Eine neue Welt auch beim Zutritt zum Hauptgebäude. Am Eingang wird Fieber gemessen, geprüft, ob man auch wirklich eine Einladung hat. Dann schleusen einen Pfeile auf dem Boden in ein Einbahnsystem, das für das gesamte Gelände gilt. Sobald man sich von A nach B bewegt, herrscht Maskenpflicht. Auch dann, wenn die Gefahr besteht, auf Mitglieder aus anderen Blasen zu treffen. Das Isolationskonzept sieht im Idealfall vor, dass sich die einzelnen Gruppen nie begegnen. Obwohl die Pressekonferenzen ohne Publikum stattfinden, Fragesteller und Befragte mindestens drei Meter auseinandersitzen, tragen alle eine Maske. Die ersten beiden Rennen in Spielberg sind ein Pilotprojekt, das unbedingt funktionieren muss. Da werden von allen Opfer verlangt.