Wie taktieren die Teams?

Mit der Energie kämpfen Autos gegen Fahrwiderstände an. Für hohe Geschwindigkeiten wird der Luftwiderstand bestimmend und frisst große Mengen an Energie.
2021 greift erstmals in der Formel 1 eine Ausgabenobergrenze. Bis dahin dürfen die Teams so viel investieren, wie es der Geldbeutel hergibt. Weil die aktuellen Autos nach und nach eingefroren werden, dürfte es in den kommenden Monaten zu einem Wettrüsten kommen.
Auf die Formel 1 wartet die größte Zäsur ihrer Geschichte. Ab 2021 werden den Teams erstmals Limits gesetzt. Die FIA erlaubt nur noch Ausgaben von maximal 145 Millionen Dollar. Es gibt zwar noch Ausnahmen, wie die Gehälter der Fahrer und die Motorenentwicklung, doch es ist nach Meinung aller Experten ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit in der höchsten Spielklasse des Motorsports.
Der zweite Einschnitt folgt 2022. Dann greifen neue Chassis-Regeln. Die Autos werden ihr Aussehen verändern und wieder langsamer sein. Die Macher der Regelrevolution hoffen, dass dadurch das Überholen einfacher und damit die Action auf der Rennstrecke größer ausfallen wird.
Entwicklungen bis Ende 2020
Das ist die mittel- und langfristige Perspektive der Formel 1. Doch wie sieht es mit der kurzfristigen aus? Die Formel 1 hofft, in diesem Jahr noch wenigstens 15 Rennen fahren zu können. Das würde den Teams die Einnahmen aus den TV- und Sponsorenverträgen der Königsklasse sichern. Und damit wohl allen zehn Rennställen das Überleben.
Vorausgesetzt die Formel 1 kann in diesem Jahr noch eine verkürzte Saison fahren: Was bedeutet das für die Entwicklung der Autos und die Strategie der Rennställe? 2020 dürfen die Teams noch so viel Geld ausgeben, wie sie möchten. Das Reglement setzt ihnen wenige Grenzen. Einschränkungen für das Budget gibt es nur wegen Corona. Individuelle Sponsoreneinnahmen, die an gewisse Rennen gekoppelt sind, könnten entfallen. Ansonsten stecken die Ressourcen die Spielwiese ab: die Personalstärke und die Restriktionen bei Windkanal- und CFD-Nutzung.
Weil es 2020 noch kein Ausgabenlimit gibt, 2021 eine Budgetobergrenze greift und die diesjährigen Autos ein zweites Mal gefahren werden, erwartet die Formel 1 ein großes Entwicklungsrennen in den nächsten Monaten. Chassis und 20 Fahrzeugkomponenten werden erst nach und nach mit Blick auf die nächste Saison eingefroren. Nur die Aerodynamik und zwei ausgewählte Bereiche sind vom Entwicklungsstopp ausgeschlossen. Das soll Geld sparen.
2022 erst ab Januar im Kopf
Es kommt noch eine weitere Komponente hinzu. Den Teams ist es untersagt, bis Januar 2021 an den 2022er Autos zu arbeiten. Erst dann dürfen sie sich voll auf die Entwicklung für die neue Formel 1 stürzen. Mit anderen Worten: Bis dahin können sie das vorhandene Geld und die Ressourcen nur in das Projekt 2020-2021 investieren.
Es ist davon auszugehen, dass die Teams den Großteil der Entwicklung für das Auto, das in zwei Saisons eingesetzt wird, in diesem Jahr stemmen. Weil sie sich danach auf 2022 konzentrieren werden müssen. Wer ab Januar zu viele Ressourcen in die aktuelle Fahrzeuggeneration steckt, droht ab dem übernächsten Jahr den Anschluss zu verlieren. Und auf diesen Regularien wird die Formel 1 ein paar Jahre aufbauen.
Renaults Teamchef Cyril Abiteboul kündigte im Interview bereits an: "Wir nutzen dieses Auto praktisch für zwei Jahre. Wir dürfen bis Januar keine Aeroentwicklung am 2022er Auto betreiben. Das macht die Entscheidung einfach. Wir werden in dieser Saison so hart wie möglich pushen und so lange wie möglich entwickeln. So lange wir es uns leisten können."
Hoffnung für die kleinen Teams
Die Wintertestfahrten im Februar offenbarten, dass die Top-Teams Mercedes, Red Bull und Ferrari auch dieses Mal dem Mittelfeld ein Stück voraus sind. Es ist zu erwarten, dass sie diesen Vorsprung halten oder sogar weiter ausbauen werden. Krisen machen die Großen meistens stärker und die Kleinen schwächer. Deshalb ist der Budgetdeckel von 145 Millionen Dollar ab 2021 umso wichtiger.
"Wir müssen den Teams Hoffnung geben, die vielleicht in diesem Jahr finanziell stärker leiden werden. Aber auch auf der Strecke leiden werden. Die einzige Möglichkeit, Chancengleichheit zu erzeugen, ist das Budgetcap. Besser wäre es, es jetzt zu haben. Aber das Virus hat leider nicht auf das Budgetcap gewartet", sagt Abiteboul.
Zwar bleiben aerodynamische Entwicklungen ab 2021 mit den aktuellen Autos erlaubt. Doch die Frage ist, wer dann überhaupt noch gewillt sein wird, in ein Auslaufmodell (Zeit und Geld) zu investieren. Wer vorne ist, sicher nicht. Und wer abgeschlagen hinterherfährt, sollte besser an 2022 denken. Zumal das Reglement weitere Einschränkungen macht.
Was machen die großen Drei?
Die Top 3 der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft 2020, wahrscheinlich Mercedes, Red Bull und Ferrari, sollen 2021 mit weniger Windkanalzeit auskommen. Sie dürfen das Entwicklungswerkzeug nur zu 70 Prozent nutzen. Ab Platz vier geht es in 5-Prozent-Schritten aufwärts.
Vor diesem Hintergrund wird es spannend werden, wie die Top-Teams vorgehen. 2020 werden sie alles Verfügbare in die Fahrzeugentwicklung stecken. Doch was passiert ab Januar 2021? Wer dann zweigleisig fährt, könnte sich für die letzte Saison unter dem alten Regelwerk einen Vorteil verschaffen, andererseits aber für die Zukunft abgestraft werden. Die Top-Teams werden abwägen müssen: kurzfristiger Erfolg, ein WM-Titel oder doch besser in die Zukunft investieren?
Ferrari könnte das Auto die Entscheidung abnehmen. Der SF1000 war bei den Wintertests nicht gerade eine Offenbarung. Die Frage lautet auch, wie die Teams und Konzerne sich ausrichten, ob das Investment Formel 1 langfristig ausgelegt ist.
Im Mittelfeld dürften die Prioritäten abgesteckt sein. Teams wie Renault, McLaren und Aston Martin (Racing Point) müssen sich eigentlich auf die Entwicklung des 2022er Autos stürzen, um dann vielleicht endlich gegen die Großen ankommen zu können. 2021 werden sie die Topteams nicht einholen, weil deren Vorsprung zu groß ist. Da helfen auch ein paar Windkanalstunden mehr nichts.
Budgetcap für offene Regeln?
Es bleibt abzuwarten, wie die Topteams die großen Einschnitte verdauen werden. Sie müssen schon 2020 ihre Strukturen anpassen, um ab der kommenden Saison unter dem neuen Budgetdeckel operieren zu können. Das wird sie in gewisser Weise ablenken, und vermutlich nicht ohne Störgeräusche ablaufen.
Weniger Geld, weniger Personal, weniger Entwicklungszeit: Da muss viel angepackt werden, um ein effizientes Gerüst für die Zukunft zu schaffen. Teams wie Renault und McLaren, die schon nahe dem Budgetdeckel agieren und keine derart drastischen Einschnitte beim Personal vernehmen werden müssen, hoffen, dann zu profitieren.
Das Budgetcap wird vermutlich in diesem und im nächsten Jahr nicht zu engeren Rennen führen. Der Reiz liegt vielmehr in der Strategie. Wer macht die richtigen, wer die falschen Züge für die Zukunft? Durch den Aufschub der neuen Regeln von 2021 auf 2022 hat die Formel 1 immerhin erreicht, dass die großen Teams sich in einem Jahr ohne Beschränkungen einen Vorteil für die Zukunft erschleichen können. Das wäre wohl passiert, wenn Corona nicht gekommen und dadurch die neuen Regeln bereits 2021 gegriffen hätten.
Neben der erhöhten Wahrscheinlichkeit auf mehr Chancengleichheit bietet ein funktionierendes Budgetcap noch eine andere verlockende Perspektive. Die FIA könnte in der Folge von ihrer restriktiven Politik abrücken, und das Regelwerk lockern. Renaults Teamchef Abiteboul will erst einen Schritt nach dem anderen gehen, meint aber auch: "Ein offeneres Reglement würde die Kreativität in die Formel 1 zurückbringen. Es wäre ein Rennen um Kreativität statt eines um die größten Ressourcen."