„Keine 8 oder 9 Mercedes-Kopien“
Die Sportkommissare wollten es mit dem Urteil in der Causa Racing Point allen Recht machen. Tatsächlich aber ist es kein Kompromissurteil. Weil es zu viele Widersprüche gibt. Racing Point behauptet, nichts falsch gemacht zu haben. Renault und Ferrari sind die Sanktionen zu gering. Und die Fans sind verwirrt.
Am Mittwoch, den 12. August, lief die letzte Berufungsfrist in der Causa Racing Point ab. Renault und Ferrari haben ihren Antrag auf einen Rekurs vor dem FIA-Berufungsgericht bestätigt. McLaren und Williams machten einen Rückzieher mit der Begründung, dass die FIA versprochen hat, die Regularien dahingehend umzuschreiben, damit der Fall Racing Point nicht ein zweites Mal auftritt. Beide Teams haben nach eigenen Worten ihr Ziel erreicht. Außerdem verfolgen Ferrari und Renault den Fall ja weiter.
Der Beklagte wehrt sich gegen die Einschätzung der Sportkommissare, dass die Entwicklung der hinteren Bremsbelüftungen am Racing Point RP20 mit unerlaubter Hilfestellung von Mercedes erfolgt ist. Die Kläger finden das Urteil mit 15 Punkten Abzug und 400.000 Euro Strafe zu milde. Und sie wundern sich, dass Racing Point ein Teil weiter verwenden darf, das nach dem ersten Urteil in einem illegalen Designprozess hergestellt wurde.
Der Sport in der Kritik
Das ist nur eine von vielen Ungereimtheiten in diesem Fall. Er zeigt wie schon der Streit um die automatische Bremskraftverstellung im letztjährigen Renault, dass die Reglements viel zu kompliziert sind. Vor allem die Trennung zwischen Technischem und Sportlichem Reglement, wenn es eigentlich nur um ein technisches Detail geht. Das mag juristisch korrekt sein, bringt die Richter aber in Erklärungsnot. Und die Beteiligten in Rage. "Wie kann ein Teil, das auf illegalem Weg entwickelt wurde, für den Rest der Saison legal sein", polterte McLaren-Chef Zak Brown noch am vergangenen Wochenende. Wenn nicht einmal Eingeweihte diese Frage beantworten können, wie sollen es dann die Fans?
FIA-Technikchef Nikolas Tombazis erklärt: "Die Sportkommissare haben eine Sportstrafe verhängt, weil nur der Prozess illegal war, nicht das Teil selbst." Die Außenwirkung solcher Urteile ist dennoch denkbar schlecht. Wenn die Strafen für ähnlich gelagerte Fälle dann auch noch unterschiedlich ausfallen, steht der Sport erst recht in der Kritik.
Renault war bis zum GP Japan 2019 auch mit einer Technologie unterwegs, die technisch legal war. Doch der Betrieb der automatisierten Bremskraftverteilung war nach dem Sportgesetz eine unerlaubte Fahrhilfe. Renault wurde für das Rennen disqualifiziert, bei dem Racing Point Protest einreichte. Und das System musste sofort stillgelegt werden. Racing Point dagegen bekam einen pauschalen Punkteabzug für die ganze Saison, kann aber mit den Bremsbelüftungen weiterfahren, obwohl das Copyright immer noch bei Mercedes liegt.
Vorwürfe von Stroll sind lächerlich
Racing Point-Besitzer Lawrence Stroll hatte sich vor dem Start zum "GP 70 Jahre F1" in England in einem Statement bitter beklagt, dass sein Team in eine Betrügerrolle gedrängt worden sei. Er bezichtigte die Teams, die Berufung angekündigt hatten, der Unsportlichkeit. Das ist so lächerlich wie dumm. Keiner steht über dem Gesetz, auch ein Milliardär nicht. Findet auch Bernie Ecclestone: "Stroll muss sich nicht aufregen. Racing Point hat die Regeln ein bisschen zu weit ausgereizt und jetzt die Quittung dafür bekommen. Er kann froh sein, dass sie ihm vor zwei Jahren den Weg in die Formel 1 so einfach gemacht haben. Er durfte ein Team mit all seinen Rechten aus der Insolvenz holen. Bei mir hätte er bei einem Namenswechsel mit diesem Team ein Jahr später wieder bei Null begonnen."
Niemand wirft Racing Point Betrug vor. Sie haben in einer Grauzone gefischt und sind in erster Instanz damit auf die Nase gefallen. Weil die FIA und die Sportkommissare den Fall anders interpretiert haben. So etwas kommt vor. Renault hat sein Bremsbalance-System auch nicht in der Absicht gebaut zu betrügen. Man wollte schlauer sein als die Konkurrenz und ist dabei einen Schritt zu weit gegangen. Es ist ein völlig normaler Vorgang, dass Teams, die eine andere Interpretation der Dinge haben, dagegen protestieren oder in Berufung gehen, wenn sie mit dem Urteil nicht zufrieden sind.
Racing Point hat diesen Konflikt mit seinem dreisten Nachbau des Vorjahres-Mercedes provoziert. Ihnen musste klar sein, dass sich Teams wie Renault dagegen wehren werden, weil es sie unmittelbar bedroht, wenn Kundenteams ganze Autos kopieren. Die FIA hat sich mit der Statusänderung der Bremsbelüftungen keinen Gefallen getan, weil das Raum für unterschiedliche Auslegungen lässt. Man hätte damit auch warten können, bis das neue Technik-Reglement kommt. So kann es keine faire Lösung geben.
Es ist unmöglich Racing Point zu zwingen, andere Luftschächte zu bauen. Wie sollen die aussehen? Tombazis bedauert: "Es wäre unvernünftig zu glauben, dass Racing Point sein Wissen vergisst. Jede Neukonstruktion würde wieder so aussehen wie jetzt. Und wie sollen wir festlegen, wie groß der Unterschied sein muss, damit er als eigene Konstruktion durchgeht? Jedes Design stützt sich auf einer Basis ab, die das Team sich über Jahre erarbeitet hat."
Wie will FIA Kopien verhindern?
Racing Point beruft sich darauf, dass die FIA es versäumt hat, den Teams klare Richtlinien aufzuzeigen, wo das Selberbauen beginnt und das unerlaubte Kopieren aufhört. Außerdem hätten FIA-Prüfer das Auto nach einer Inspektion Anfang März in der Fabrik nach Offenlegung aller Daten für legal erklärt. Tombazis erwidert, dass es dabei nur um die generelle Ähnlichkeit des RP20 mit dem Mercedes W10 gegangen sei, nicht aber um Details wie die Bremsbelüftungen.
Racing Point wiederum muss sich fragen lassen, warum man die FIA nicht explizit gefragt hat, ob der Designprozess der vorderen und hinteren Bremsschächte den Regeln entspricht. Haas führte einen ausführlichen Schriftverkehr mit der FIA zu diesem Thema: "Die FIA hat Ferrari ausdrücklich verboten, uns Informationen zu den Bremsbelüftungen zukommen zu lassen. Und wir wurden daran erinnert, dass wir die Dinger selber bauen müssen", berichtet Teamchef Guenther Steiner.
Die endgültige Entscheidung liegt jetzt in der Hand von Zivilrichtern. Mercedes-Teamchef Toto Wolff glaubt, dass die sich eher den Argumenten von Racing Point anschließen könnten. Das jedenfalls liest er aus der Beurteilung des Falles durch seine eigenen Juristen. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen. Bei Renault arbeiten offenbar ehemalige Racing Point-Mitarbeiter, die vor einem Berufungsgericht wahrscheinlich als Zeugen herangezogen werden.
Einen Erfolg kann Renault auf jeden Fall für sich verbuchen, selbst wenn sie vor dem Berufungsgericht verlieren. Ihre Aktion hat die Debatte um Kundenautos neu angeschoben. Und diesmal so, dass die FIA reagieren will. Tombazis bestätigt: "Renault und andere Teams haben Sorge, dass das Racing Point-Beispiel Schule macht. Wir haben viel Zeit verwendet, dieses Problem zu diskutieren. Kopieren gab es schon immer in der Formel 1. Leute machen Fotos von Details und bauen sie ähnlich oder identisch nach. Racing Point hat das auf neues Niveau gehoben und gleich das ganze Auto kopiert. Dafür können wir sie nicht bestrafen. Sie haben es in gutem Glauben getan, dass das so korrekt ist."
Der Weltverband will genau das aber für die Zukunft verhindern. "Wir wollen nicht acht oder neun Mercedes-Kopien im Feld, wo es nur noch darauf ankommt, wer das Auto am besten kopiert. Wir werden in Kürze die 2021er Regeln dahingehend anpassen, dass die Teams nicht mehr ein ganzes Auto anhand von Fotos nachbauen können. Kopien von Details werden weiter erlaubt sein. Es wird aber Richtlinien geben, dass uns 2021 nicht das Gleiche noch einmal passiert. Wir können allerdings nicht verhindern, dass die Teams ihr Wissen auslöschen."
Details dazu nennt Tombazis nicht. Es könnte sein, dass dreidimensionale Kameras an der Rennstrecke verbannt, dass Fotografen zum Parc Fermé nicht mehr zugelassen werden oder dass die FIA in jedes Team einen Aufpasser einschleust.