Milliardenstrafen, Knast und Fahrverbote
Vor genau 10 Jahren kam der Dieselskandal ins Rollen. Der Betrug um Abgaswerte zog Kreise, die weit über die Autoindustrie hinausgingen. Eine Bilanz zum unrühmlichen Jubiläum.
Am 18. September 2019 platzt eine Nachricht mitten in die IAA in Frankfurt: Volkswagen, der deutsche Vorzeigekonzern, soll in den Vereinigten Staaten im großen Stil die Abgaswerte von Dieselautos manipuliert und damit gegen den US-amerikanischen "Clear Air Act" verstoßen haben. Die Umweltbehörde EPA deckt in ihrer "Notice of Violation" auf, dass Dieselautos aus dem Volkswagen-Konzern dank ihrer Motor-Software erkennen können, wann sie auf einem Prüfstand getestet werden und wann sie normal im Straßenverkehr unterwegs sind. Nur im ersten Fall halten sie die geforderten Abgas-Grenzwerte tatsächlich ein. Der Aufreger weitet sich schnell zum Skandal aus, meist versehen mit dem Präfix "Abgas" oder "Diesel".
Zu diesem Zeitpunkt, der nun genau zehn Jahre her ist, geht es um 482.000 in den USA verkaufte Autos – angesichts des weltweiten Gesamtabsatzes des Konzerns von damals fast zehn Millionen Pkw eine verschwindend geringe Zahl. Doch es dauert nicht lange, und die Sache weitet sich zu einem der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Geschichte aus; einen der wenigen mit großer internationaler Relevanz.
Gefallene Manager und Gefängnisstrafen
Anfangs nimmt VW noch keine Stellung zu den Vorwürfen. Am 20. September äußert sich schließlich der damalige Konzernchef Martin Winterkorn, gibt öffentlich die Manipulation zu und entschuldigt sich. Drei Tage später ist "Wiko" seinen Posten los. Vor strafrechtlicher Verfolgung schützt ihn das freilich nicht. Vor dem Landgericht Braunschweig wird 2024 gegen ihn ein Verfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs, uneidlicher Falschaussage und Marktmanipulation eröffnet. Nach einem häuslichen Unfall ist Winterkorn derzeit jedoch verhandlungsunfähig, der Prozess wegen seiner Gesundheit vorläufig eingestellt.
Damit ist er der namhafteste von vielen VW-Managern und -Entwicklern, die sich wegen des Dieselskandals mit Anklagen konfrontiert sehen. Zu ihnen gehören Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz (beide werden 2023 zu Bewährungsstrafen verurteilt). Einige weniger hochrangige VW-Mitarbeiter müssen sogar ins Gefängnis; speziell jene, die in den USA vor Gericht stehen. Besonders hart erwischt es den VW-Ingenieur und -Manager Oliver Schmidt: Er wird im Dezember 2017 in Detroit zu sieben Jahren Haft und 400.000 Dollar Geldstrafe verurteilt. Absitzen muss er davon gut drei Jahre; die letzten Monate davon in Deutschland.
Betroffene Marken und Anzahl der Autos
Parallel steigt und steigt die Zahl betroffener Autos im Verlauf des inzwischen oft als "Dieselgate" bezeichneten Abgasskandals. Die VW-Geschäftsberichte 2015/16 weisen laut "F.A.Z." insgesamt 10,85 Millionen Fahrzeuge aus, deren Abgasverhalten manipuliert worden ist. Die allermeisten (knapp 8,5 Millionen) sind seinerzeit in den damals 28 EU-Staaten zugelassen und stammen von der Kernmarke VW (5,6 Millionen). Doch auch Audi (2,4 Millionen) und Škoda (1,2 Millionen) werden heftig von den Auswirkungen gebeutelt.
Schnell geraten zudem andere Marken in den Strudel des Abgasskandals. Nicht nur jene des Volkswagen-Konzerns, wobei speziell Audi eine unrühmliche Rolle spielt, da die Premiumtochter eigene Abschalteinrichtungen für größere Dieselmotoren entwickelt hatte. Marken wie BMW, Mercedes, Opel und Fiat sowie der General-Motors-Konzern haben teils bis heute mit den Nachwirkungen von Dieselgate zu kämpfen, wobei bei ihnen die Sachlage oft nicht so eindeutig ist wie bei VW.
Meist stellt sich die Frage: Was ist eine klare Manipulation und wo haben die Hersteller lediglich Schlupflöcher in der Gesetzeslage – Stichwort "Thermofenster" – genutzt? Nicht nur das ist ein Thema, das Anwälte und Gerichte, Hersteller und Kunden sowie die Medien über Jahre beschäftigt. Genau wie die Werkstätten, denn Dieselgate zieht unzählige Rückrufe nach sich, deren Anzahl sich heute kaum seriös beziffern lässt. Mal gibt es Software-Updates; auch richtige Hardware wie ein Luftgitter wird eingebaut. Viele Autos werden nicht nur einmal in die Werkstatt beordert, um die Spuren der Abgasmanipulation möglichst rückstandslos zu beseitigen.
Geldstrafen in Milliardenhöhe
In Nordamerika steigt die Zahl betroffener Autos im Verlauf von Dieselgate übrigens nur geringfügig, nämlich von 482.000 auf 720.000 Fahrzeuge. Das entspricht nur etwa 6,6 Prozent der weltweiten Gesamtzahl. Trotzdem muss VW in den Vereinigten Staaten den allergrößten Teil seiner Strafen zahlen. Die US-Behörden belegen den Konzern mit Sanktionen in Höhe von über 20 Milliarden Dollar (aktuell umgerechnet knapp 16,9 Milliarden Euro). Damit zahlt VW ungefähr die Hälfte seiner gesamten Dieselgate-Strafen von bisher etwa 33 Milliarden Euro in den USA.
Allerdings wächst die Summe nach wie vor an. Kurz vor dem Zehn-Jahres-Jubiläum entschied ein Gericht Mitte September 2025, dass mehr als 100.000 Kundinnen und Kunden in den Niederlanden von VW wegen des Abgasskandals entschädigt werden müssen. Welche erneuten Kosten dadurch auf den Konzern zukommen, steht noch nicht fest. Es läuft auf einen hohen acht- oder niedrigen neunstelligen Eurobetrag hinaus. Und es dürfte nicht die letzte Strafe sein, die VW wegen des Dieselskandals zahlen muss.
Luftqualität und Fahrverbote
Speziell in Deutschland entspinnt sich infolge des Dieselskandals eine weitere, meist sehr emotional geführte Debatte. Die zentrale Frage lautet: Welchen Beitrag leisten Dieselfahrzeuge zur schlechten Luftqualität in vielen deutschen Städten? Am 27. Februar 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: Er ist groß genug, dass Kommunen Fahrverbote für Kraftfahrzeuge verhängen dürfen. Für Fahrzeuge mit Selbstzündermotor gelten im Zuge dessen besonders strenge Anforderungen, weshalb sich schnell der Begriff "Diesel-Fahrverbote" etabliert.
Hamburg ist am 31. Mai 2018 die erste deutsche Stadt, die ein solches Fahrverbot verhängt – auf zwei Straßenabschnitten im Bezirk Altona. Zahlreiche weitere Städte im gesamten Bundesgebiet ziehen nach – manchmal freiwillig, manchmal unter dem Druck von Gerichten, nachdem Umweltverbände mit Verweis auf das Recht auf saubere Luft die Fahrverbote erstritten hatten. Nachdem sich die Luftqualität vielerorts Schritt für Schritt verbessert, werden einige von ihnen wieder aufgehoben.
Allerdings nicht überall. Prominentes aktuelles Beispiel ist München, das sein Diesel-Fahrverbot 2023 eigentlich hätte verschärfen müssen. Doch die Stadt wollte das nicht und führte stattdessen ein 30er-Tempolimit auf einem Abschnitt des Mittleren Rings ein. Da im Zuge dessen die Luftreinhaltungswerte an den entsprechenden Messstellen in den grünen Bereich rutschten, gilt diese Lösung vorerst als akzeptiert – wenn auch von manchen zähneknirschend.
Bedeutungsverlust des Diesels
Die ewigen Debatten um den Abgasskandal und drohende Fahrverbote verunsichern die Autokäuferinnen und -käufer. Was dazu führt, dass der zuvor so beliebte Dieselantrieb peu à peu an Relevanz einbüßt – und heute fast zur Randerscheinung verkommen ist. Im September 2015, also im Monat, in dem der Dieselskandal auffliegt, beträgt der Anteil von Dieselfahrzeugen am Pkw-Markt laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) 46,8 Prozent – und ist damit kaum kleiner als jener von Benzinern (51,5 Prozent).
Das sieht heute deutlich anders aus. Benziner machen 27,6 Prozent des Pkw-Gesamtmarktes aus, Diesel nur noch 13,1 Prozent. Dagegen verfügen im August 2025 satte 39,8 Prozent aller neu zugelassenen Autos über einen Hybridantrieb (in den allermeisten Fällen mit einem Benzinmotor im Antriebssystem). Auch der Marktanteil von reinen E-Autos liegt mit 19,0 Prozent klar über jenem der Dieselautos.
Kulturwandel bei VW?
Insofern kann man es auch so sehen wie Olaf Lies. Er ist heute Niedersachsens Ministerpräsident und war in dem Bundesland Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, als der Dieselskandal aufflog. Wegen Dieselgate habe Volkswagen den Wechsel zur E-Mobilität früher eingeleitet, "als das sonst passiert wäre", sagte kürzlich der SPD-Politiker, der damals wie heute qua seines Amtes einen Sitz im Aufsichtsrat des Konzerns hat. Lies sieht zudem einen Kulturwandel im Unternehmen: "Dort wird heute deutlich sensibler mit Verantwortung und Vertrauen umgegangen." Unbefriedigend bleibe jedoch, "dass wir vermutlich nie genau erfahren werden, wer zu welchem Zeitpunkt was gewusst hat und ob dem Ganzen früher hätte Einhalt geboten werden können".
Hinweis: In der Fotoshow zeigen wir Ihnen einige Diesel von 2016, die somit bald 30 Jahre alt werden und ein H-Kennzeichen erhalten können – sozusagen als Freifahrtschein für die Umweltzone.