„Möglich, dass wir 2030 nur E-Autos verkaufen“

Klimaneutral bis 2040: Volvo setzt sich hohe Klimaziele. Der aktuelle Firmenchef sieht die Schweden in neun Jahren sogar als reine Elektroauto-Marke.
Volvo bringt mit dem Volvo XC40 Recharge aktuell sein allererstes rein elektrisch angetriebenes Modell auf den Markt – und ist damit deutlich später dran als die meisten Konkurrenten. Umso überraschender erscheint die nun getätigte Aussage des Firmenchefs: "Ich wäre nicht überrascht, wenn wir 2030 nur noch elektrische Fahrzeuge ausliefern würden", sagte Hakan Samuelsson bei einer Veranstaltung des Wirtschafts-Blattes "Financial Times".
Deutsche Konkurrenz plant konservativer
Bieten die Schweden in gut neun also nur noch E-Mobile an? Genau diese Schlussfolgerung werde verfrüht gezogen, sagt ein Sprecher auf Nachfrage. Das Volvo-Management habe bisher kein derartiges Ziel definiert. Samuelssons Aussage stehe im Kontext mit seiner Feststellung, dass die Abgasvorschriften in dieser Zeit immer strenger werden dürften und mit Verbrennern immer schwieriger einzuhalten seien. Zumal Volvo bestrebt sei, seine Modellpalette immer im Voraus an die Regularien anzupassen.
Tatsächlich wäre eine zu hundert Prozent elektrische Modellpalette bis 2030 ein extrem ambitioniertes Ziel. Volvos deutsche Premium-Konkurrenz kalkuliert da deutlich konservativer. In einer exklusiven Analyse für auto motor und sport kommt der Marktbeobachter IHS Markit zu dem Ergebnis, dass 2030 bei BMW trotz der geplanten Modelloffensive nur 17 Prozent der globalen Herstellungskapazitäten mit reinen Elektroautos belegt sind. Bei Mercedes erwartet IHS Markit in zehn Jahren einen Produktionsanteil von 24 Prozent, bei Audi von gut 34 Prozent. "Auch in zehn Jahren bleiben Autos mit Verbrennungsmotoren mit großen Abstand die wichtigste Fahrzeugklasse", so das Ergebnis der Markit-Analyse, deren Details Sie in der aktuellen Ausgabe der auto motor und sport (Ausgabe 26/2020) lesen können.
Strenge Vorgaben für Zulieferer
Volvo setzt sich selbst strenge Klimaziele: Bis 2025 will der schwedische Autohersteller den CO2-Fußabdruck eines jeden Autos über dessen Lebenszyklus um 40 Prozent senken – und zwar im Vergleich zum Stand von 2018. Dazu zählt, dass 2025 jeder zweite verkaufte Volvo einen vollelektrischen Antrieb haben soll, was allein die CO2-Emissionen um 50 Prozent pro Auto reduzieren soll. "Unsere Batterie-Zulieferer LG aus Südkorean und CATL aus China haben uns in langfristigen Verträgen zugesichert, für dieses Vorhaben genug Akkus liefern zu können", sagte Volvo-Chef Hakan Samuelsson in einem früheren Gespräch, in dem es um die künftige Strategie des Autobauers ging.
Aber auch das Unternehmen selbst will klimafreundlicher werden. Konkret: Über den eigenen Geschäftsbetrieb inklusive Fertigung und Logistik bis hin zur globalen Lieferkette will Volvo bis 2040 klimaneutral unterwegs sein. Als Zwischenschritt streben die Schweden bis 2025 eine CO2-Reduzierung von 25 Prozent bei der eigenen Autoproduktion und der Logistik an. Gleiches gilt für die globale Lieferkette. Volvo will seine Zulieferer also zu mehr Klimaschutz verpflichten: "Wir können sie natürlich nicht bis ins Detail kontrollieren, wollen aber Vorbild sein und strikte Vorgaben machen", sagt Samuelsson. Solche Vorgaben werden auch jene Energiekonzerne erhalten, die Volvo und die Zulieferer mit Strom beliefern sollen, der zu möglichst hohen Anteilen aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Anreize für die Kunden
Volvo benennt auch konkrete Maßnahmen, wie die eigenen Produkte umweltfreundlicher werden sollen. So soll 2025 der Anteil an recycelten Kunststoffen in neuen Volvo-Fahrzeugen auf 25 Prozent steigen. Außerdem will der Hersteller seine Kunden zu mehr Klimaschutz erziehen. Zum Beispiel Plugin-Hybrid-Fahrer: Die Teilzeit-Elektroautos sollen künftig ermitteln, wie oft der Fahrer im rein elektrischen Pure-Modus unterwegs war (natürlich nur, nachdem dieser zuvor über die Volvo On Call-App zugestimmt hat).
Wer dabei erfolgreich abschneidet, darf sich früheren Samuelsson-Aussagen zufolge am Ende über einen "Weihnachts-Bonus" freuen: "Wir wollen unsere Plug-in-Hybrid-Kunden ermutigen, mindestens 50 Prozent elektrisch zu fahren", sagt der CEO und Präsident von Volvo Cars. "Also werden wir ihnen die zu Hause zum Laden des Autos verwendeten Kilowattstunden am Jahresende bezahlen, und zwar gemessen am lokalen Strompreis."
Verbrennungsmotoren für den Geely-Konzern
Auch die jüngste strategische Entscheidung, Volvo mittelfristig "von allen Verbrenneraktivitäten" abzutrennen, muss im Kontext der neuen Klimaziele gesehen werden. Anfang Oktober 2019 gaben die Schweden und ihre chinesische Konzernmutter Geely bekannt, ein neues Joint Venture zu gründen. Das Gemeinschaftsunternehmen soll neue Verbrennungsmotoren und Hybridantriebe entwickeln und produzieren. "Das neue Unternehmen wird über zwei Millionen Motoren im Jahr bauen", sagt Samuelsson.
Und zwar nicht nur für den eigenen Konzern, zu dem neben Volvo Cars auch Marken wie Proton, Lotus und Lynk & Co. gehören. Die neue Firma soll ein globaler Zulieferer werden. Die Belieferung von anderen Fahrzeugmarken sei "möglich" und biete "Wachstumschancen". "Die Motoren werden sowohl in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit als auch beim Preis absolut wettbewerbsfähig sein", sagte Samuelsson damals. Man spreche aber noch nicht mit anderen Autoherstellern, um diese mit den Verbrennern zu beliefern. Dafür sei es noch zu früh.
Volvo konzentriert sich auf E-Antriebe
Das neue Joint Venture soll es Volvo ermöglichen, sich in Zukunft auf die Entwicklung reiner Elektroantriebe zu konzentrieren. Und wenn das Ziel tatsächlich erreicht wird, dass 2025 jeder zweite verkaufte Volvo rein elektrisch angetrieben ist und die andere Hälfte Hybridantriebe hat, werden die Schweden im Laufe der Zeit immer weniger Verbrenner des neuen Joint Ventures benötigen. Doch auch "Hybridautos brauchen die besten Verbrennungsmotoren", sagt der Volvo-Chef. "Diese neue Einheit wird über die Ressourcen, die Größe und das Fachwissen verfügen, um solche Antriebsstränge kosteneffizient zu entwickeln."
Volvo will 3.000 und Geely 5.000 Mitarbeiter in das neue Joint Venture entsenden. Wie die neue Firma heißen wird, wann genau mit der Gründung zu rechnen ist und wann sie ihre Arbeit aufnehmen wird, ist derzeit noch unklar. Diese Dinge werden Volvo zufolge gerade mit den Gewerkschaften, dem Vorstand und den Behörden abgestimmt.
Volvo ist nicht der erste Autohersteller, der sich konkrete Klimaziele setzt. Im Mai 2019 stellte der damals neue Daimler-Chef Ola Källenius die "Ambition 2039" vor. Deren Kernpunkte: Bis 2039 soll die Neuwagenflotte von Mercedes-Benz CO2-neutral werden. 2030 sollen mehr als 50 Prozent aller verkauften Autos Elektrofahrzeuge oder Plug-in-Hybride sein. Und ab 2022 will Mercedes in Europa CO2-neutral produzieren.